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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

werden. Glücklicherweise liegt die Lösung dieser Aufgabe in den Händen eines
Maines, der im höchsten Grade davon begeistert ist, und dessen vor einigen Jahren
erschienene Monographie über das Cnstel Seine' Angelo und spätere Schriften zeigen, das;
Major Borgatti vom dritten Jngeuieurkorps die Materie vollständig beherrscht.

Es ist ewig schade, daß vor ein Paar Jahren bei der Anlegung der Tiber¬
mauern der bittern Notwendigkeit die prachtvollen, aus jahrhundertlaugcn Auschüttuugeu
wieder auftauchenden Originalansätze der ans das Grabmal vor der Stadt führenden
Brücke des Kaisers geopfert werden mußten. Es tat weh, zu sehen, wie die
mächtigen unversehrten Travertinquadern mit der größten Schwierigkeit auseinander¬
gebrochen wurden, und mau durfte nicht einmal über Barbarei klagen; die moderne
Zeit beansprucht es. Was aber die moderne Zeit nicht verlangt, ist das augen¬
blicklich am verschlossenen Hauptportal der Engelsburg nen angebrachte sehr stilvolle
Schild mit Hinweis ans den modernen Eingang und mit der gedankenvollen Inschrift
in zwei verschiednen Sprachen: Nkmsolizo all ^clrmuo <z Ca.8to? 8. ^n^vio. --
Na>nsolös as ^äricm ot, (ZIMsau 8. L.i>A'ö. Inxresso Ä 95.


Fritz Brunswick
Die Sitten der ersten Christen. Ernst von Dobschütz

hat unter dem
Titel: Die Ur christlichen Gemeinden (Leipzig, I. C. Hinrichs, 1902) nach dem
Neuen Testament und den Schriften der apostolischen Väter eine Reihe von "sitten-
geschichtltchen Bildern" gezeichnet. Bei Durchsicht des Literaturverzeichnisses wunderten
wir uns, daß wir das wichtigste der in Betracht kommenden Werke: Hausraths
großartige neutestamentliche Zeitgeschichte nicht fanden. Beim Lesen des Buches
dann leuchtete uns der Grund ein, der den Verfasser bestimmt hat, das genannte
Werk, das mit aller darin aufgehäuften Gelehrsamkeit nur irre führe, entschieden
abzulehnen und seinen Lesern nicht zu empfehlen. Im Vorwort schreibt er: "Gegen¬
über der idealisierenden Betrachtungsweise der frühern Zeit verfiel man später in
den Fehler des Schwnrzmalens. So hat Hausrath aus allerlei in den dunkelsten
Ecken gesuchte" und in die schwärzesten Tinten getauchten Äußerungen ein Bild
gezeichnet, so düster, daß man nicht begreift, woher diese Christengemeinden die
Kraft nahmen, die antike Welt zu überwinden." Und S. 252: "Hausraths Urteil,
daß heute, nachdem das Evangelium achtzehnhundert Jahre an den Gemütern ge¬
arbeitet hat, selbst die verwahrlosteste christliche Gemeinde dem Ideal der Berg¬
predigt näher stehe als im zweiten Jahrhundert die vornehmste, verkennt unsre Zeit
so gut wie die Tage der alten Kirche." Fromme Leser werden sich durch die Bilder,
die Dobschütz entrollt, erhoben, erbaut und getröstet fühlen. Wie weit sie für
wahrheitsgetreu gehalten werden, das hängt von der Subjektivität des Lesers ab,
denn die Quellen fließen, wie der Verfasser selbst klagt, zu spärlich, als daß ein
überzeugender Beweis geführt werden könnte. Höchstens einzelne Tatsachen lassen
sich feststellen; eine der beachtenswertesten ans dem Leben der Korinthischen Gemeinde
wollen wir mit den Worten des Verfassers anführe". "Das eine ist offenbar: das
kultische Leben der Gemeinde ist noch durchaus gestellt auf das Prinzip eines wahren
Gottesdienstes, bei dem sich mit dem Lobpreis Gottes gegenseitige Förderung in
geistlicher Erbauung verbindet. Von einem Etnwirkenwollen ans die Gottheit,
wie es den Kern alles vorchristlichen Gottesdienstes ausmachte, ist nicht die Rede.
Es hat lange gedauert, bis das Christentum auf diesem Punkte sein Übergewicht
verlor und von der Höhe wahrhaft geistiger, sittlicher Gottesverehrung herabsank
zu theurgischem Tun." _






Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Will). Grunow in Leiozig - Druck von Karl Marquart in Leipzig
Maßgebliches und Unmaßgebliches

werden. Glücklicherweise liegt die Lösung dieser Aufgabe in den Händen eines
Maines, der im höchsten Grade davon begeistert ist, und dessen vor einigen Jahren
erschienene Monographie über das Cnstel Seine' Angelo und spätere Schriften zeigen, das;
Major Borgatti vom dritten Jngeuieurkorps die Materie vollständig beherrscht.

Es ist ewig schade, daß vor ein Paar Jahren bei der Anlegung der Tiber¬
mauern der bittern Notwendigkeit die prachtvollen, aus jahrhundertlaugcn Auschüttuugeu
wieder auftauchenden Originalansätze der ans das Grabmal vor der Stadt führenden
Brücke des Kaisers geopfert werden mußten. Es tat weh, zu sehen, wie die
mächtigen unversehrten Travertinquadern mit der größten Schwierigkeit auseinander¬
gebrochen wurden, und mau durfte nicht einmal über Barbarei klagen; die moderne
Zeit beansprucht es. Was aber die moderne Zeit nicht verlangt, ist das augen¬
blicklich am verschlossenen Hauptportal der Engelsburg nen angebrachte sehr stilvolle
Schild mit Hinweis ans den modernen Eingang und mit der gedankenvollen Inschrift
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Na>nsolös as ^äricm ot, (ZIMsau 8. L.i>A'ö. Inxresso Ä 95.


Fritz Brunswick
Die Sitten der ersten Christen. Ernst von Dobschütz

hat unter dem
Titel: Die Ur christlichen Gemeinden (Leipzig, I. C. Hinrichs, 1902) nach dem
Neuen Testament und den Schriften der apostolischen Väter eine Reihe von „sitten-
geschichtltchen Bildern" gezeichnet. Bei Durchsicht des Literaturverzeichnisses wunderten
wir uns, daß wir das wichtigste der in Betracht kommenden Werke: Hausraths
großartige neutestamentliche Zeitgeschichte nicht fanden. Beim Lesen des Buches
dann leuchtete uns der Grund ein, der den Verfasser bestimmt hat, das genannte
Werk, das mit aller darin aufgehäuften Gelehrsamkeit nur irre führe, entschieden
abzulehnen und seinen Lesern nicht zu empfehlen. Im Vorwort schreibt er: „Gegen¬
über der idealisierenden Betrachtungsweise der frühern Zeit verfiel man später in
den Fehler des Schwnrzmalens. So hat Hausrath aus allerlei in den dunkelsten
Ecken gesuchte» und in die schwärzesten Tinten getauchten Äußerungen ein Bild
gezeichnet, so düster, daß man nicht begreift, woher diese Christengemeinden die
Kraft nahmen, die antike Welt zu überwinden." Und S. 252: „Hausraths Urteil,
daß heute, nachdem das Evangelium achtzehnhundert Jahre an den Gemütern ge¬
arbeitet hat, selbst die verwahrlosteste christliche Gemeinde dem Ideal der Berg¬
predigt näher stehe als im zweiten Jahrhundert die vornehmste, verkennt unsre Zeit
so gut wie die Tage der alten Kirche." Fromme Leser werden sich durch die Bilder,
die Dobschütz entrollt, erhoben, erbaut und getröstet fühlen. Wie weit sie für
wahrheitsgetreu gehalten werden, das hängt von der Subjektivität des Lesers ab,
denn die Quellen fließen, wie der Verfasser selbst klagt, zu spärlich, als daß ein
überzeugender Beweis geführt werden könnte. Höchstens einzelne Tatsachen lassen
sich feststellen; eine der beachtenswertesten ans dem Leben der Korinthischen Gemeinde
wollen wir mit den Worten des Verfassers anführe». „Das eine ist offenbar: das
kultische Leben der Gemeinde ist noch durchaus gestellt auf das Prinzip eines wahren
Gottesdienstes, bei dem sich mit dem Lobpreis Gottes gegenseitige Förderung in
geistlicher Erbauung verbindet. Von einem Etnwirkenwollen ans die Gottheit,
wie es den Kern alles vorchristlichen Gottesdienstes ausmachte, ist nicht die Rede.
Es hat lange gedauert, bis das Christentum auf diesem Punkte sein Übergewicht
verlor und von der Höhe wahrhaft geistiger, sittlicher Gottesverehrung herabsank
zu theurgischem Tun." _






Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Will). Grunow in Leiozig - Druck von Karl Marquart in Leipzig
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[0316] Maßgebliches und Unmaßgebliches werden. Glücklicherweise liegt die Lösung dieser Aufgabe in den Händen eines Maines, der im höchsten Grade davon begeistert ist, und dessen vor einigen Jahren erschienene Monographie über das Cnstel Seine' Angelo und spätere Schriften zeigen, das; Major Borgatti vom dritten Jngeuieurkorps die Materie vollständig beherrscht. Es ist ewig schade, daß vor ein Paar Jahren bei der Anlegung der Tiber¬ mauern der bittern Notwendigkeit die prachtvollen, aus jahrhundertlaugcn Auschüttuugeu wieder auftauchenden Originalansätze der ans das Grabmal vor der Stadt führenden Brücke des Kaisers geopfert werden mußten. Es tat weh, zu sehen, wie die mächtigen unversehrten Travertinquadern mit der größten Schwierigkeit auseinander¬ gebrochen wurden, und mau durfte nicht einmal über Barbarei klagen; die moderne Zeit beansprucht es. Was aber die moderne Zeit nicht verlangt, ist das augen¬ blicklich am verschlossenen Hauptportal der Engelsburg nen angebrachte sehr stilvolle Schild mit Hinweis ans den modernen Eingang und mit der gedankenvollen Inschrift in zwei verschiednen Sprachen: Nkmsolizo all ^clrmuo <z Ca.8to? 8. ^n^vio. — Na>nsolös as ^äricm ot, (ZIMsau 8. L.i>A'ö. Inxresso Ä 95. Fritz Brunswick Die Sitten der ersten Christen. Ernst von Dobschütz hat unter dem Titel: Die Ur christlichen Gemeinden (Leipzig, I. C. Hinrichs, 1902) nach dem Neuen Testament und den Schriften der apostolischen Väter eine Reihe von „sitten- geschichtltchen Bildern" gezeichnet. Bei Durchsicht des Literaturverzeichnisses wunderten wir uns, daß wir das wichtigste der in Betracht kommenden Werke: Hausraths großartige neutestamentliche Zeitgeschichte nicht fanden. Beim Lesen des Buches dann leuchtete uns der Grund ein, der den Verfasser bestimmt hat, das genannte Werk, das mit aller darin aufgehäuften Gelehrsamkeit nur irre führe, entschieden abzulehnen und seinen Lesern nicht zu empfehlen. Im Vorwort schreibt er: „Gegen¬ über der idealisierenden Betrachtungsweise der frühern Zeit verfiel man später in den Fehler des Schwnrzmalens. So hat Hausrath aus allerlei in den dunkelsten Ecken gesuchte» und in die schwärzesten Tinten getauchten Äußerungen ein Bild gezeichnet, so düster, daß man nicht begreift, woher diese Christengemeinden die Kraft nahmen, die antike Welt zu überwinden." Und S. 252: „Hausraths Urteil, daß heute, nachdem das Evangelium achtzehnhundert Jahre an den Gemütern ge¬ arbeitet hat, selbst die verwahrlosteste christliche Gemeinde dem Ideal der Berg¬ predigt näher stehe als im zweiten Jahrhundert die vornehmste, verkennt unsre Zeit so gut wie die Tage der alten Kirche." Fromme Leser werden sich durch die Bilder, die Dobschütz entrollt, erhoben, erbaut und getröstet fühlen. Wie weit sie für wahrheitsgetreu gehalten werden, das hängt von der Subjektivität des Lesers ab, denn die Quellen fließen, wie der Verfasser selbst klagt, zu spärlich, als daß ein überzeugender Beweis geführt werden könnte. Höchstens einzelne Tatsachen lassen sich feststellen; eine der beachtenswertesten ans dem Leben der Korinthischen Gemeinde wollen wir mit den Worten des Verfassers anführe». „Das eine ist offenbar: das kultische Leben der Gemeinde ist noch durchaus gestellt auf das Prinzip eines wahren Gottesdienstes, bei dem sich mit dem Lobpreis Gottes gegenseitige Förderung in geistlicher Erbauung verbindet. Von einem Etnwirkenwollen ans die Gottheit, wie es den Kern alles vorchristlichen Gottesdienstes ausmachte, ist nicht die Rede. Es hat lange gedauert, bis das Christentum auf diesem Punkte sein Übergewicht verlor und von der Höhe wahrhaft geistiger, sittlicher Gottesverehrung herabsank zu theurgischem Tun." _ Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Will). Grunow in Leiozig - Druck von Karl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/316>, abgerufen am 23.11.2024.