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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Hebung oder die einstweilige Einstellung der Zwangsversteigerung für seiue Parzelle,
so wird das Eigentum dieser Parzelle dem Ersteher zugeschlagen, und er hat an Stelle
der versteigerten Parzelle nur den Anspruch auf den verhältnismäßigen Anteil an
dem Versteigerungserlose, soweit dieser dem nicht gutgläubigen Hypothekengläubiger
oder dem gleichfalls nicht gutgläubigen frühern Eigentümer ausgezahlt worden ist.
Die Hypothekengläubiger werden aber meist gutgläubig sein, und der Eigentümer,
der eher schlechtgläubig gewesen sein kauu, ist in der Regel ohne Vermögen. Das
ist also meist ein so problematischer Anspruch, daß er gar nicht verfolgt zu werden
verdient. Mir ist in meiner mehr als fünfundzwanzigjährigen richterlichen Tätigkeit
auch noch nicht vorgekommen, daß ein solcher Anspruch geltend gemacht worden
wäre. Der Formaljnrist wird mir erklärein Der wahre Eigentümer wird ja vor
der Versteigerung wiederholt öffentlich aufgefordert, seine Eigentumsansprüche vor
der Erteilung des Zuschlags geltend zu machen, und wird auch noch ausdrücklich
gewarnt, daß bei nicht rechtzeitiger Geltendmachung der Versteigerungserlös an die
Stelle der versteigerten Parzelle tritt. Das wäre richtig, wenn die Parzelle in
der öffentlichen Bekanntmachung so bezeichnet würde, daß der Eigentümer bei dem
Lesen der Bekanntmachung sofort erkennen würde, seine Parzelle solle versteigert
werden. So sind aber die Bekanntmachungen nicht gefaßt. Um zu verhindern,
daß nicht fremde Parzellen versteigert werden, müßte der Katasterbeamte vor der
Versteigerung an Ort und Stelle die zu versteigernden Parzellen ermitteln, und zu
dieser Ermittlung müßte der Eigentümer des zu versteigernden Grundstücks und
sein Grenznachbar hinzugezogen werden. Wenn so verfahren wird, werden die
wahren Eigentümer sofort ermittelt werden und werden auf eine an sie gerichtete
Aufforderung ihre Eigentumsrechte rechtzeitig wahren können.

Auch das Bürgerliche Gesetzbuch und das neue Zwangsversteigeruugsgesetz
haben keine Vorsorge getroffen, daß solche offenbaren Rechtsverletzungen nicht mehr
vorkommen können. Auf Grund einer Bemerkung in der Denkschrift zur Gruud-
buchordnung haben viele Schriftsteller angenommen, daß diesen unhaltbaren Zu¬
ständen ein Ende gemacht sei; es hat sich jedoch als ein Irrtum herausgestellt,
wie dies in Gruchots Beürägen Band 45, Seite 765 ff. überzeugend nachgewiesen
worden ist. Ebenso entschieden, wie den Ausführungen des Aufsatzes beizutreten ist,
ebenso entschieden muß der darin geäußerten Ansicht entgegengetreten werden, es
sei wegen der Möglichkeit der Erhebung von Negreßansprüchen gegen die Beamten
und wegen der Seltenheit solcher Fehler kein Bedürfnis zu einem Eingreifen der
Gesetzgebung vorhanden. Wegen der Aussicht von Regreßklagen gegen Beamte
habe ich mich schon geäußert, und was die Seltenheit solcher Fehler anlangt, so
habe ich im Osten von Preußen die entgegengesetzte Erfahrung gemacht; es ist mir
dies mich von altern Feldmessern und namentlich einem Obcrlandmesser, dem eine
sehr reiche Erfahrung zu Gebote steht, bestätigt worden.

Daß sich die wahren Grundstückseigentümer immer wieder auf die für sie
aussichtslosen Prozesse einlassen und diese bis in die höchste Instanz treiben, muß
doch die Regierung darauf hinweisen, daß hier mit dem Rechtsbewußtsein des
Volks unvereinbare und unhaltbare Zustünde bestehn, die dringend der Abhilfe
bedürfen.

Bei solchen Zustanden leidet am meisten das Ansehen der Juristen, die auch
mit Recht dafür verantwortlich gemacht werden, da die ganze hier in Betracht
kommende Gesetzgebung lediglich von ihnen herrührt.

Die deutschen Staaten, die im Begriffe sind, für diese Sache eine der
preußischen ähnliche Gesetzgebung einzuführen, sollten aus den Erfahrungen, die
wir in Preuße" gemacht haben, die Lehre ziehn, mit welcher Vorsicht hier vor¬
gegangen werden muß.


Castel Sant' Angelo in Rom.

Die wechselreichen Schicksale, die das
Mausoleum des Kaisers Hadrian im Laufe von Jahrhunderten gehabt hat, sollen
jetzt beendigt werden. Im Jahre 1870 wurde es zum Noimwöicko n^iovalo


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Hebung oder die einstweilige Einstellung der Zwangsversteigerung für seiue Parzelle,
so wird das Eigentum dieser Parzelle dem Ersteher zugeschlagen, und er hat an Stelle
der versteigerten Parzelle nur den Anspruch auf den verhältnismäßigen Anteil an
dem Versteigerungserlose, soweit dieser dem nicht gutgläubigen Hypothekengläubiger
oder dem gleichfalls nicht gutgläubigen frühern Eigentümer ausgezahlt worden ist.
Die Hypothekengläubiger werden aber meist gutgläubig sein, und der Eigentümer,
der eher schlechtgläubig gewesen sein kauu, ist in der Regel ohne Vermögen. Das
ist also meist ein so problematischer Anspruch, daß er gar nicht verfolgt zu werden
verdient. Mir ist in meiner mehr als fünfundzwanzigjährigen richterlichen Tätigkeit
auch noch nicht vorgekommen, daß ein solcher Anspruch geltend gemacht worden
wäre. Der Formaljnrist wird mir erklärein Der wahre Eigentümer wird ja vor
der Versteigerung wiederholt öffentlich aufgefordert, seine Eigentumsansprüche vor
der Erteilung des Zuschlags geltend zu machen, und wird auch noch ausdrücklich
gewarnt, daß bei nicht rechtzeitiger Geltendmachung der Versteigerungserlös an die
Stelle der versteigerten Parzelle tritt. Das wäre richtig, wenn die Parzelle in
der öffentlichen Bekanntmachung so bezeichnet würde, daß der Eigentümer bei dem
Lesen der Bekanntmachung sofort erkennen würde, seine Parzelle solle versteigert
werden. So sind aber die Bekanntmachungen nicht gefaßt. Um zu verhindern,
daß nicht fremde Parzellen versteigert werden, müßte der Katasterbeamte vor der
Versteigerung an Ort und Stelle die zu versteigernden Parzellen ermitteln, und zu
dieser Ermittlung müßte der Eigentümer des zu versteigernden Grundstücks und
sein Grenznachbar hinzugezogen werden. Wenn so verfahren wird, werden die
wahren Eigentümer sofort ermittelt werden und werden auf eine an sie gerichtete
Aufforderung ihre Eigentumsrechte rechtzeitig wahren können.

Auch das Bürgerliche Gesetzbuch und das neue Zwangsversteigeruugsgesetz
haben keine Vorsorge getroffen, daß solche offenbaren Rechtsverletzungen nicht mehr
vorkommen können. Auf Grund einer Bemerkung in der Denkschrift zur Gruud-
buchordnung haben viele Schriftsteller angenommen, daß diesen unhaltbaren Zu¬
ständen ein Ende gemacht sei; es hat sich jedoch als ein Irrtum herausgestellt,
wie dies in Gruchots Beürägen Band 45, Seite 765 ff. überzeugend nachgewiesen
worden ist. Ebenso entschieden, wie den Ausführungen des Aufsatzes beizutreten ist,
ebenso entschieden muß der darin geäußerten Ansicht entgegengetreten werden, es
sei wegen der Möglichkeit der Erhebung von Negreßansprüchen gegen die Beamten
und wegen der Seltenheit solcher Fehler kein Bedürfnis zu einem Eingreifen der
Gesetzgebung vorhanden. Wegen der Aussicht von Regreßklagen gegen Beamte
habe ich mich schon geäußert, und was die Seltenheit solcher Fehler anlangt, so
habe ich im Osten von Preußen die entgegengesetzte Erfahrung gemacht; es ist mir
dies mich von altern Feldmessern und namentlich einem Obcrlandmesser, dem eine
sehr reiche Erfahrung zu Gebote steht, bestätigt worden.

Daß sich die wahren Grundstückseigentümer immer wieder auf die für sie
aussichtslosen Prozesse einlassen und diese bis in die höchste Instanz treiben, muß
doch die Regierung darauf hinweisen, daß hier mit dem Rechtsbewußtsein des
Volks unvereinbare und unhaltbare Zustünde bestehn, die dringend der Abhilfe
bedürfen.

Bei solchen Zustanden leidet am meisten das Ansehen der Juristen, die auch
mit Recht dafür verantwortlich gemacht werden, da die ganze hier in Betracht
kommende Gesetzgebung lediglich von ihnen herrührt.

Die deutschen Staaten, die im Begriffe sind, für diese Sache eine der
preußischen ähnliche Gesetzgebung einzuführen, sollten aus den Erfahrungen, die
wir in Preuße« gemacht haben, die Lehre ziehn, mit welcher Vorsicht hier vor¬
gegangen werden muß.


Castel Sant' Angelo in Rom.

Die wechselreichen Schicksale, die das
Mausoleum des Kaisers Hadrian im Laufe von Jahrhunderten gehabt hat, sollen
jetzt beendigt werden. Im Jahre 1870 wurde es zum Noimwöicko n^iovalo


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[0314] Maßgebliches und Unmaßgebliches Hebung oder die einstweilige Einstellung der Zwangsversteigerung für seiue Parzelle, so wird das Eigentum dieser Parzelle dem Ersteher zugeschlagen, und er hat an Stelle der versteigerten Parzelle nur den Anspruch auf den verhältnismäßigen Anteil an dem Versteigerungserlose, soweit dieser dem nicht gutgläubigen Hypothekengläubiger oder dem gleichfalls nicht gutgläubigen frühern Eigentümer ausgezahlt worden ist. Die Hypothekengläubiger werden aber meist gutgläubig sein, und der Eigentümer, der eher schlechtgläubig gewesen sein kauu, ist in der Regel ohne Vermögen. Das ist also meist ein so problematischer Anspruch, daß er gar nicht verfolgt zu werden verdient. Mir ist in meiner mehr als fünfundzwanzigjährigen richterlichen Tätigkeit auch noch nicht vorgekommen, daß ein solcher Anspruch geltend gemacht worden wäre. Der Formaljnrist wird mir erklärein Der wahre Eigentümer wird ja vor der Versteigerung wiederholt öffentlich aufgefordert, seine Eigentumsansprüche vor der Erteilung des Zuschlags geltend zu machen, und wird auch noch ausdrücklich gewarnt, daß bei nicht rechtzeitiger Geltendmachung der Versteigerungserlös an die Stelle der versteigerten Parzelle tritt. Das wäre richtig, wenn die Parzelle in der öffentlichen Bekanntmachung so bezeichnet würde, daß der Eigentümer bei dem Lesen der Bekanntmachung sofort erkennen würde, seine Parzelle solle versteigert werden. So sind aber die Bekanntmachungen nicht gefaßt. Um zu verhindern, daß nicht fremde Parzellen versteigert werden, müßte der Katasterbeamte vor der Versteigerung an Ort und Stelle die zu versteigernden Parzellen ermitteln, und zu dieser Ermittlung müßte der Eigentümer des zu versteigernden Grundstücks und sein Grenznachbar hinzugezogen werden. Wenn so verfahren wird, werden die wahren Eigentümer sofort ermittelt werden und werden auf eine an sie gerichtete Aufforderung ihre Eigentumsrechte rechtzeitig wahren können. Auch das Bürgerliche Gesetzbuch und das neue Zwangsversteigeruugsgesetz haben keine Vorsorge getroffen, daß solche offenbaren Rechtsverletzungen nicht mehr vorkommen können. Auf Grund einer Bemerkung in der Denkschrift zur Gruud- buchordnung haben viele Schriftsteller angenommen, daß diesen unhaltbaren Zu¬ ständen ein Ende gemacht sei; es hat sich jedoch als ein Irrtum herausgestellt, wie dies in Gruchots Beürägen Band 45, Seite 765 ff. überzeugend nachgewiesen worden ist. Ebenso entschieden, wie den Ausführungen des Aufsatzes beizutreten ist, ebenso entschieden muß der darin geäußerten Ansicht entgegengetreten werden, es sei wegen der Möglichkeit der Erhebung von Negreßansprüchen gegen die Beamten und wegen der Seltenheit solcher Fehler kein Bedürfnis zu einem Eingreifen der Gesetzgebung vorhanden. Wegen der Aussicht von Regreßklagen gegen Beamte habe ich mich schon geäußert, und was die Seltenheit solcher Fehler anlangt, so habe ich im Osten von Preußen die entgegengesetzte Erfahrung gemacht; es ist mir dies mich von altern Feldmessern und namentlich einem Obcrlandmesser, dem eine sehr reiche Erfahrung zu Gebote steht, bestätigt worden. Daß sich die wahren Grundstückseigentümer immer wieder auf die für sie aussichtslosen Prozesse einlassen und diese bis in die höchste Instanz treiben, muß doch die Regierung darauf hinweisen, daß hier mit dem Rechtsbewußtsein des Volks unvereinbare und unhaltbare Zustünde bestehn, die dringend der Abhilfe bedürfen. Bei solchen Zustanden leidet am meisten das Ansehen der Juristen, die auch mit Recht dafür verantwortlich gemacht werden, da die ganze hier in Betracht kommende Gesetzgebung lediglich von ihnen herrührt. Die deutschen Staaten, die im Begriffe sind, für diese Sache eine der preußischen ähnliche Gesetzgebung einzuführen, sollten aus den Erfahrungen, die wir in Preuße« gemacht haben, die Lehre ziehn, mit welcher Vorsicht hier vor¬ gegangen werden muß. Castel Sant' Angelo in Rom. Die wechselreichen Schicksale, die das Mausoleum des Kaisers Hadrian im Laufe von Jahrhunderten gehabt hat, sollen jetzt beendigt werden. Im Jahre 1870 wurde es zum Noimwöicko n^iovalo

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/314>, abgerufen am 23.11.2024.