er Paragraph 15 des neuen Zolltarifgesetzes ist eine etwas un¬ reif geerntete Nebenfrucht der "Verständigung." In ihm ist bestimmt worden, daß der Mehrertrag der Zvllerhöhungen, die vielleicht die wichtigsten Nahrungsmittel verteuern werden, "zur Erleichterung der Durchführung einer Witwen- und Waisenver¬ sorgung" verwandt werden soll. Über diese "Versicherung" soll durch ein be¬ sondres Gesetz Bestimmung getroffen werden. Bis dieses Gesetz in Kraft tritt, sind die Mehrcrträge "für Rechnung des Reichs anzusammeln und verzinslich anzulegen." Tritt das Gesetz nicht bis zum 1. Januar 1910 in Kraft, so sollen von da an die Zinsen der angesammelten Mehrertrüge und die weiter eingehenden Mehrerträge selbst den einzelnen "Jnvalideuversicherungsanstnlten" im Verhältnis zu den von ihnen im vorhergehenden Jahre aufgebrachten Ver¬ sicherungsbeiträgen "zum Zweck der Witwen- und Waisenvcrsorgung der bei ihnen Versicherten" überwiesen werden. Die Unterstützung soll auf Grund eines Statuts erfolgen, das vom Reichsversicherungsamt genehmigt werden muß. -- So schön sich diese Bestimmungen auf den ersten Blick ausnehmen, so ist doch ihre praktische Ausführung noch vollständig unklar. Die Reichs- wgsverhandlnng vom 21. November 1902, wo über den dem Paragraphen genau entsprechenden Zentrumsautrag (Trimborn) beraten wurde, beweist das schlagend. Wir wollen hier auf die in jedem Punkt berechtigte Kritik, die damals an dem Antrage durch deu Schatzsekretär Freiherrn von Thielmann und den bayrischen Vundesratsbevvllinnchtigten Freiherrn von Stengel geübt wurde, nicht näher eingehn. Die "Verständigung" hat den Paragraphen nun einmal so, wie er ist, zum Gesetz gemacht, und wir können nur hoffen, daß damit die an sich vortreffliche Sache der Witwen- und Waiscnversorgnng soweit in Fluß gebracht worden ist, daß sich bis 1910 die gesetzgebenden Gewalten des Deutsche" Reichs über ein vernünftiges Gesetz zu diesem Zweck aufs neue verstündigen, wenn sich auch der Wortlaut des Paragraphen 15 baw vom Anfang bis zum Ende als unvernünftig herausstellen sollte. Der Abgeordnete Trimborn selbst sagte über den Zweck und das Wesen seines Antrags in der Hauptsache etwa' folgendes. Man habe eingewandt, daß die Witwen-
Grenzboten 1 1903
Witwen- und Waisenversorgung
er Paragraph 15 des neuen Zolltarifgesetzes ist eine etwas un¬ reif geerntete Nebenfrucht der „Verständigung." In ihm ist bestimmt worden, daß der Mehrertrag der Zvllerhöhungen, die vielleicht die wichtigsten Nahrungsmittel verteuern werden, „zur Erleichterung der Durchführung einer Witwen- und Waisenver¬ sorgung" verwandt werden soll. Über diese „Versicherung" soll durch ein be¬ sondres Gesetz Bestimmung getroffen werden. Bis dieses Gesetz in Kraft tritt, sind die Mehrcrträge „für Rechnung des Reichs anzusammeln und verzinslich anzulegen." Tritt das Gesetz nicht bis zum 1. Januar 1910 in Kraft, so sollen von da an die Zinsen der angesammelten Mehrertrüge und die weiter eingehenden Mehrerträge selbst den einzelnen „Jnvalideuversicherungsanstnlten" im Verhältnis zu den von ihnen im vorhergehenden Jahre aufgebrachten Ver¬ sicherungsbeiträgen „zum Zweck der Witwen- und Waisenvcrsorgung der bei ihnen Versicherten" überwiesen werden. Die Unterstützung soll auf Grund eines Statuts erfolgen, das vom Reichsversicherungsamt genehmigt werden muß. — So schön sich diese Bestimmungen auf den ersten Blick ausnehmen, so ist doch ihre praktische Ausführung noch vollständig unklar. Die Reichs- wgsverhandlnng vom 21. November 1902, wo über den dem Paragraphen genau entsprechenden Zentrumsautrag (Trimborn) beraten wurde, beweist das schlagend. Wir wollen hier auf die in jedem Punkt berechtigte Kritik, die damals an dem Antrage durch deu Schatzsekretär Freiherrn von Thielmann und den bayrischen Vundesratsbevvllinnchtigten Freiherrn von Stengel geübt wurde, nicht näher eingehn. Die „Verständigung" hat den Paragraphen nun einmal so, wie er ist, zum Gesetz gemacht, und wir können nur hoffen, daß damit die an sich vortreffliche Sache der Witwen- und Waiscnversorgnng soweit in Fluß gebracht worden ist, daß sich bis 1910 die gesetzgebenden Gewalten des Deutsche» Reichs über ein vernünftiges Gesetz zu diesem Zweck aufs neue verstündigen, wenn sich auch der Wortlaut des Paragraphen 15 baw vom Anfang bis zum Ende als unvernünftig herausstellen sollte. Der Abgeordnete Trimborn selbst sagte über den Zweck und das Wesen seines Antrags in der Hauptsache etwa' folgendes. Man habe eingewandt, daß die Witwen-
Grenzboten 1 1903
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Witwen- und Waisenversorgung
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vielleicht die wichtigsten Nahrungsmittel verteuern werden, „zur
Erleichterung der Durchführung einer Witwen- und Waisenver¬
sorgung" verwandt werden soll. Über diese „Versicherung" soll durch ein be¬
sondres Gesetz Bestimmung getroffen werden. Bis dieses Gesetz in Kraft tritt,
sind die Mehrcrträge „für Rechnung des Reichs anzusammeln und verzinslich
anzulegen." Tritt das Gesetz nicht bis zum 1. Januar 1910 in Kraft, so
sollen von da an die Zinsen der angesammelten Mehrertrüge und die weiter
eingehenden Mehrerträge selbst den einzelnen „Jnvalideuversicherungsanstnlten"
im Verhältnis zu den von ihnen im vorhergehenden Jahre aufgebrachten Ver¬
sicherungsbeiträgen „zum Zweck der Witwen- und Waisenvcrsorgung der bei
ihnen Versicherten" überwiesen werden. Die Unterstützung soll auf Grund
eines Statuts erfolgen, das vom Reichsversicherungsamt genehmigt werden
muß. — So schön sich diese Bestimmungen auf den ersten Blick ausnehmen,
so ist doch ihre praktische Ausführung noch vollständig unklar. Die Reichs-
wgsverhandlnng vom 21. November 1902, wo über den dem Paragraphen
genau entsprechenden Zentrumsautrag (Trimborn) beraten wurde, beweist das
schlagend. Wir wollen hier auf die in jedem Punkt berechtigte Kritik, die damals
an dem Antrage durch deu Schatzsekretär Freiherrn von Thielmann und den
bayrischen Vundesratsbevvllinnchtigten Freiherrn von Stengel geübt wurde,
nicht näher eingehn. Die „Verständigung" hat den Paragraphen nun einmal
so, wie er ist, zum Gesetz gemacht, und wir können nur hoffen, daß damit die
an sich vortreffliche Sache der Witwen- und Waiscnversorgnng soweit in Fluß
gebracht worden ist, daß sich bis 1910 die gesetzgebenden Gewalten des
Deutsche» Reichs über ein vernünftiges Gesetz zu diesem Zweck aufs neue
verstündigen, wenn sich auch der Wortlaut des Paragraphen 15 baw vom
Anfang bis zum Ende als unvernünftig herausstellen sollte. Der Abgeordnete
Trimborn selbst sagte über den Zweck und das Wesen seines Antrags in
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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/189>, abgerufen am 23.11.2024.
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