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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Die wirtschaftliche Lage Rußlands

die mit 205 Millionen Rubel über 11 Prozent der Einnahme" betragen. Sie
schädigen einerseits in ihrer Höhe die gerade genügend daniederliegende Land¬
wirtschaft durch Verteuerung landwirtschaftlicher Maschinen und haben andrer¬
seits eine Jndustriekrisis nicht verhindern können; ihr Nutzen ist also auf die
Dauer problematisch. 2. Der Branntwein. Er liefert mit 497,4- Millionen
Rubel 28 Prozent des Budgets 1902 und zwar durch die Branntweinsteuer
und das Monopol. Die Branntweinsteuer versagte in demselben Maße, wie
die Kaufkraft der Bevölkerung infolge Steuerdrucks und Mißernten Jahr für
Jahr nachließ. Die jedesmalige Antwort darauf war die Erhöhung der Steuer¬
sätze, die jetzt 2^ mal so hoch wie in Deutschland sind. Wenn dies auch die
absoluten Ertrüge steigerte, so verminderte sich doch erneut der Konsum, sodaß
schließlich ein Versagen dieser Methode zu befürchten war, und das Schank-
monopol eingeführt wurde. Dieses machte die Schankwirte brotlos, raubte
deu Gemeindekassen die Lizenzgeluchrcn und vergrößerte dadurch die Steuer-
rückstände, was auch von der Negierung offen zugegeben wird. Hier wird
also mit der einen Hand genommen, was die andre giebt. 3. Die Eisen¬
bahnen. Überschüsse existieren hier, wie schon erwähnt worden ist, nnr in
Wildes Fiktion, in Wirklichkeit schießt der Staat bis jetzt zu. 4. Die Land¬
wirtschaft. Dn Zölle und Branntwein keine dauernde Sicherheit bieten, die
Bahnen sogar Zuschüsse brauchen, eine allgemeine Einkommensteuer aber in
Rußland fehlt, muß sich der Staat an die Landwirtschaft halten, die durch
84 Prozent der Bevölkerung vertreten wird. Wenn man mit Rücksicht ans
die geringere Kaufkraft der Landbevölkerung von den in Gruppe 2 aufgeführten
indirekten Steuern (außer Zöllen) der Landwirtschaft nur 50 Prozent statt
84 Prozent zur Aufbringung anrechnen will, so betragen ihre Lasten für 1902
an indirekten Steuern (außer Zöllen) 90,9 Millionen, an Grundsteuern
47 Millionen, an Ablösungsgeldern 86,4 Millionen; zusammen 224,3 Mil¬
lionen Rubel.

Wie bringt nun die Landwirtschaft, die Hauptstütze des Budgets, diese
hohen Summen auf? Hauptsächlich durch den Verkauf und den Export von
Getreide, also durch eine vou der Regierung gewissermaßen erzwungne Ma߬
nahme, die mit ihren Folgen zu besprechen die Pflicht einer erschöpfenden
Dnrstcllnng der wirtschaftlichen Lage Rußlands ist.


Die Landwirtschaft

Es betrug in den sechzig europäischen Gouvernements Rußlands (vom
1. Juli bis zum 30. Juni gerechnet)-

die Ernte die Ausfuhr
in Mill. Zentnern:
1 2 3
1897/98 817,2 145,2
1898/99 955,7 101,9
1899/1900 1083,2 09,1
1900/01 1057,1 110,9
1901/02 915,7 188,2

Ans dieser Tabelle sieht man, daß die Menge der Ausfuhr nicht eine
unmittelbare Folge der Ernte ist, wie man zunächst annehmen sollte, da die
Iahresausfnhrberechnung vom 1. Juli bis zum 30. Juni erfolgt ist, also die


Die wirtschaftliche Lage Rußlands

die mit 205 Millionen Rubel über 11 Prozent der Einnahme» betragen. Sie
schädigen einerseits in ihrer Höhe die gerade genügend daniederliegende Land¬
wirtschaft durch Verteuerung landwirtschaftlicher Maschinen und haben andrer¬
seits eine Jndustriekrisis nicht verhindern können; ihr Nutzen ist also auf die
Dauer problematisch. 2. Der Branntwein. Er liefert mit 497,4- Millionen
Rubel 28 Prozent des Budgets 1902 und zwar durch die Branntweinsteuer
und das Monopol. Die Branntweinsteuer versagte in demselben Maße, wie
die Kaufkraft der Bevölkerung infolge Steuerdrucks und Mißernten Jahr für
Jahr nachließ. Die jedesmalige Antwort darauf war die Erhöhung der Steuer¬
sätze, die jetzt 2^ mal so hoch wie in Deutschland sind. Wenn dies auch die
absoluten Ertrüge steigerte, so verminderte sich doch erneut der Konsum, sodaß
schließlich ein Versagen dieser Methode zu befürchten war, und das Schank-
monopol eingeführt wurde. Dieses machte die Schankwirte brotlos, raubte
deu Gemeindekassen die Lizenzgeluchrcn und vergrößerte dadurch die Steuer-
rückstände, was auch von der Negierung offen zugegeben wird. Hier wird
also mit der einen Hand genommen, was die andre giebt. 3. Die Eisen¬
bahnen. Überschüsse existieren hier, wie schon erwähnt worden ist, nnr in
Wildes Fiktion, in Wirklichkeit schießt der Staat bis jetzt zu. 4. Die Land¬
wirtschaft. Dn Zölle und Branntwein keine dauernde Sicherheit bieten, die
Bahnen sogar Zuschüsse brauchen, eine allgemeine Einkommensteuer aber in
Rußland fehlt, muß sich der Staat an die Landwirtschaft halten, die durch
84 Prozent der Bevölkerung vertreten wird. Wenn man mit Rücksicht ans
die geringere Kaufkraft der Landbevölkerung von den in Gruppe 2 aufgeführten
indirekten Steuern (außer Zöllen) der Landwirtschaft nur 50 Prozent statt
84 Prozent zur Aufbringung anrechnen will, so betragen ihre Lasten für 1902
an indirekten Steuern (außer Zöllen) 90,9 Millionen, an Grundsteuern
47 Millionen, an Ablösungsgeldern 86,4 Millionen; zusammen 224,3 Mil¬
lionen Rubel.

Wie bringt nun die Landwirtschaft, die Hauptstütze des Budgets, diese
hohen Summen auf? Hauptsächlich durch den Verkauf und den Export von
Getreide, also durch eine vou der Regierung gewissermaßen erzwungne Ma߬
nahme, die mit ihren Folgen zu besprechen die Pflicht einer erschöpfenden
Dnrstcllnng der wirtschaftlichen Lage Rußlands ist.


Die Landwirtschaft

Es betrug in den sechzig europäischen Gouvernements Rußlands (vom
1. Juli bis zum 30. Juni gerechnet)-

die Ernte die Ausfuhr
in Mill. Zentnern:
1 2 3
1897/98 817,2 145,2
1898/99 955,7 101,9
1899/1900 1083,2 09,1
1900/01 1057,1 110,9
1901/02 915,7 188,2

Ans dieser Tabelle sieht man, daß die Menge der Ausfuhr nicht eine
unmittelbare Folge der Ernte ist, wie man zunächst annehmen sollte, da die
Iahresausfnhrberechnung vom 1. Juli bis zum 30. Juni erfolgt ist, also die


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[0070] Die wirtschaftliche Lage Rußlands die mit 205 Millionen Rubel über 11 Prozent der Einnahme» betragen. Sie schädigen einerseits in ihrer Höhe die gerade genügend daniederliegende Land¬ wirtschaft durch Verteuerung landwirtschaftlicher Maschinen und haben andrer¬ seits eine Jndustriekrisis nicht verhindern können; ihr Nutzen ist also auf die Dauer problematisch. 2. Der Branntwein. Er liefert mit 497,4- Millionen Rubel 28 Prozent des Budgets 1902 und zwar durch die Branntweinsteuer und das Monopol. Die Branntweinsteuer versagte in demselben Maße, wie die Kaufkraft der Bevölkerung infolge Steuerdrucks und Mißernten Jahr für Jahr nachließ. Die jedesmalige Antwort darauf war die Erhöhung der Steuer¬ sätze, die jetzt 2^ mal so hoch wie in Deutschland sind. Wenn dies auch die absoluten Ertrüge steigerte, so verminderte sich doch erneut der Konsum, sodaß schließlich ein Versagen dieser Methode zu befürchten war, und das Schank- monopol eingeführt wurde. Dieses machte die Schankwirte brotlos, raubte deu Gemeindekassen die Lizenzgeluchrcn und vergrößerte dadurch die Steuer- rückstände, was auch von der Negierung offen zugegeben wird. Hier wird also mit der einen Hand genommen, was die andre giebt. 3. Die Eisen¬ bahnen. Überschüsse existieren hier, wie schon erwähnt worden ist, nnr in Wildes Fiktion, in Wirklichkeit schießt der Staat bis jetzt zu. 4. Die Land¬ wirtschaft. Dn Zölle und Branntwein keine dauernde Sicherheit bieten, die Bahnen sogar Zuschüsse brauchen, eine allgemeine Einkommensteuer aber in Rußland fehlt, muß sich der Staat an die Landwirtschaft halten, die durch 84 Prozent der Bevölkerung vertreten wird. Wenn man mit Rücksicht ans die geringere Kaufkraft der Landbevölkerung von den in Gruppe 2 aufgeführten indirekten Steuern (außer Zöllen) der Landwirtschaft nur 50 Prozent statt 84 Prozent zur Aufbringung anrechnen will, so betragen ihre Lasten für 1902 an indirekten Steuern (außer Zöllen) 90,9 Millionen, an Grundsteuern 47 Millionen, an Ablösungsgeldern 86,4 Millionen; zusammen 224,3 Mil¬ lionen Rubel. Wie bringt nun die Landwirtschaft, die Hauptstütze des Budgets, diese hohen Summen auf? Hauptsächlich durch den Verkauf und den Export von Getreide, also durch eine vou der Regierung gewissermaßen erzwungne Ma߬ nahme, die mit ihren Folgen zu besprechen die Pflicht einer erschöpfenden Dnrstcllnng der wirtschaftlichen Lage Rußlands ist. Die Landwirtschaft Es betrug in den sechzig europäischen Gouvernements Rußlands (vom 1. Juli bis zum 30. Juni gerechnet)- die Ernte die Ausfuhr in Mill. Zentnern: 1 2 3 1897/98 817,2 145,2 1898/99 955,7 101,9 1899/1900 1083,2 09,1 1900/01 1057,1 110,9 1901/02 915,7 188,2 Ans dieser Tabelle sieht man, daß die Menge der Ausfuhr nicht eine unmittelbare Folge der Ernte ist, wie man zunächst annehmen sollte, da die Iahresausfnhrberechnung vom 1. Juli bis zum 30. Juni erfolgt ist, also die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/70>, abgerufen am 01.09.2024.