Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Von der Religion Altroms
(Schluß)

im dritten Teile handelt Wissowa von den Formen der Götter¬
verehrung, Wie die Religion das ganze bürgerliche Leben durch¬
drang, sodaß Nieder eine private noch eine Stnatshcmdlung vor¬
genommen werden konnte ohne Anrufung oder Befragung der
! Götter oder religiöse Zeremonien, so wurde sie andrerseits selbst
von der den Römern eignen juristischen Anffnssnng aller Verhältnisse beherrscht.
"Grundlage und Voraussetzung der Götterverehrnng ist das Gefühl der
Abhängigkeit von der göttliche" Macht und Fürsorge," das eben durch das
Wort röMo ausgedrückt wird, und der Wunsch, sich die höher" Mächte gnädig
zu stimmen und zu erhalten. Zu diesem Zweck übernehmen der Einzelne und
der Staat in rechtsverbindlicher Form Verpflichtungen zu einmaligen oder wieder¬
kehrenden Leistungen. Durch deren gewissenhafte Einhaltung wird die Gottheit
zur Gegenleistung verpflichtet. Auf diese Weise häufen sich im Laufe der Zeit
eine Menge Verpflichtungen an, die das Sakralrecht ausmachen, das mit dem
Staate selbst entsprungen ist. Wie bei der Gründung einer Kolonie sofort nach
der Niederlassung die sakralen Verpflichtungen geregelt werden, so stellt mau
sich vor, daß, nachdem Romulus die Stadt gegründet und nach außen gesichert
habe, von seinem Nachfolger die sg-or^ xoxuli liounmi geordnet worden seien.
Das ,jus ätvinunr oder sacrum gilt als ein wesentlicher Teil des jus xublieuw.
Die Einführung neuer Götterdienste brachte dem Sakralrecht natürlich immer
neuen Zuwachs; doch behielten die al in<ljA6t6L gewisse Vorrechte vor den neuen
Göttern; sie allem hatten Einzelpriester Minines), nur ihre Festtage waren
ein für allemal konsekriert, d. h. als kerias dem menschlichen Verkehr entzogen,
und nur bei ihrem Dienste wurde das verwickelte und schwierige alte Ritual
angewandt.

Die Form, in der gewöhnlich eine neue Verpflichtung gegen einen alten
Gott oder die Verpflichtung, einem neuen Gott zu dienen, übernommen wurde,
war das Votum. Durch die feierliche Aussprache des Gelübdes bindet sich
der Gelobende. Bis zu dem Zeitpunkte, der über die Erfüllung oder die Nicht¬
erfüllung seiner Bitte entscheidet, ist er in der Lage des Angeklagten während
des schwebenden Prozesses, er ist voll rsu8. Wird sein Wunsch erfüllt, so ist
er zur Gegenleistung verpflichtet; er muß die gelobte Handlung verrichten oder
die versprochne Sache der Gottheit überweisen. Hat er das gethan, so bestätigt
ihm das der Berichterstatter mit der Formel: votum solvit ludsns rnsrito.
Vota für das Staatswohl im allgemeinen werden dnrch die Antrittsopfer der
höchsten Staatsbeamten an jedem Neujahr und durch die Lnstmtion am Schluß
jeder Zensusperiode gelöst. Besondre Anlässe zu öffentlichen Gelöbnissen sind




Von der Religion Altroms
(Schluß)

im dritten Teile handelt Wissowa von den Formen der Götter¬
verehrung, Wie die Religion das ganze bürgerliche Leben durch¬
drang, sodaß Nieder eine private noch eine Stnatshcmdlung vor¬
genommen werden konnte ohne Anrufung oder Befragung der
! Götter oder religiöse Zeremonien, so wurde sie andrerseits selbst
von der den Römern eignen juristischen Anffnssnng aller Verhältnisse beherrscht.
„Grundlage und Voraussetzung der Götterverehrnng ist das Gefühl der
Abhängigkeit von der göttliche» Macht und Fürsorge," das eben durch das
Wort röMo ausgedrückt wird, und der Wunsch, sich die höher» Mächte gnädig
zu stimmen und zu erhalten. Zu diesem Zweck übernehmen der Einzelne und
der Staat in rechtsverbindlicher Form Verpflichtungen zu einmaligen oder wieder¬
kehrenden Leistungen. Durch deren gewissenhafte Einhaltung wird die Gottheit
zur Gegenleistung verpflichtet. Auf diese Weise häufen sich im Laufe der Zeit
eine Menge Verpflichtungen an, die das Sakralrecht ausmachen, das mit dem
Staate selbst entsprungen ist. Wie bei der Gründung einer Kolonie sofort nach
der Niederlassung die sakralen Verpflichtungen geregelt werden, so stellt mau
sich vor, daß, nachdem Romulus die Stadt gegründet und nach außen gesichert
habe, von seinem Nachfolger die sg-or^ xoxuli liounmi geordnet worden seien.
Das ,jus ätvinunr oder sacrum gilt als ein wesentlicher Teil des jus xublieuw.
Die Einführung neuer Götterdienste brachte dem Sakralrecht natürlich immer
neuen Zuwachs; doch behielten die al in<ljA6t6L gewisse Vorrechte vor den neuen
Göttern; sie allem hatten Einzelpriester Minines), nur ihre Festtage waren
ein für allemal konsekriert, d. h. als kerias dem menschlichen Verkehr entzogen,
und nur bei ihrem Dienste wurde das verwickelte und schwierige alte Ritual
angewandt.

Die Form, in der gewöhnlich eine neue Verpflichtung gegen einen alten
Gott oder die Verpflichtung, einem neuen Gott zu dienen, übernommen wurde,
war das Votum. Durch die feierliche Aussprache des Gelübdes bindet sich
der Gelobende. Bis zu dem Zeitpunkte, der über die Erfüllung oder die Nicht¬
erfüllung seiner Bitte entscheidet, ist er in der Lage des Angeklagten während
des schwebenden Prozesses, er ist voll rsu8. Wird sein Wunsch erfüllt, so ist
er zur Gegenleistung verpflichtet; er muß die gelobte Handlung verrichten oder
die versprochne Sache der Gottheit überweisen. Hat er das gethan, so bestätigt
ihm das der Berichterstatter mit der Formel: votum solvit ludsns rnsrito.
Vota für das Staatswohl im allgemeinen werden dnrch die Antrittsopfer der
höchsten Staatsbeamten an jedem Neujahr und durch die Lnstmtion am Schluß
jeder Zensusperiode gelöst. Besondre Anlässe zu öffentlichen Gelöbnissen sind


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0612" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/239400"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341875_238787/figures/grenzboten_341875_238787_239400_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Von der Religion Altroms<lb/>
(Schluß) </head><lb/>
          <p xml:id="ID_2829"> im dritten Teile handelt Wissowa von den Formen der Götter¬<lb/>
verehrung, Wie die Religion das ganze bürgerliche Leben durch¬<lb/>
drang, sodaß Nieder eine private noch eine Stnatshcmdlung vor¬<lb/>
genommen werden konnte ohne Anrufung oder Befragung der<lb/>
! Götter oder religiöse Zeremonien, so wurde sie andrerseits selbst<lb/>
von der den Römern eignen juristischen Anffnssnng aller Verhältnisse beherrscht.<lb/>
&#x201E;Grundlage und Voraussetzung der Götterverehrnng ist das Gefühl der<lb/>
Abhängigkeit von der göttliche» Macht und Fürsorge," das eben durch das<lb/>
Wort röMo ausgedrückt wird, und der Wunsch, sich die höher» Mächte gnädig<lb/>
zu stimmen und zu erhalten. Zu diesem Zweck übernehmen der Einzelne und<lb/>
der Staat in rechtsverbindlicher Form Verpflichtungen zu einmaligen oder wieder¬<lb/>
kehrenden Leistungen. Durch deren gewissenhafte Einhaltung wird die Gottheit<lb/>
zur Gegenleistung verpflichtet. Auf diese Weise häufen sich im Laufe der Zeit<lb/>
eine Menge Verpflichtungen an, die das Sakralrecht ausmachen, das mit dem<lb/>
Staate selbst entsprungen ist. Wie bei der Gründung einer Kolonie sofort nach<lb/>
der Niederlassung die sakralen Verpflichtungen geregelt werden, so stellt mau<lb/>
sich vor, daß, nachdem Romulus die Stadt gegründet und nach außen gesichert<lb/>
habe, von seinem Nachfolger die sg-or^ xoxuli liounmi geordnet worden seien.<lb/>
Das ,jus ätvinunr oder sacrum gilt als ein wesentlicher Teil des jus xublieuw.<lb/>
Die Einführung neuer Götterdienste brachte dem Sakralrecht natürlich immer<lb/>
neuen Zuwachs; doch behielten die al in&lt;ljA6t6L gewisse Vorrechte vor den neuen<lb/>
Göttern; sie allem hatten Einzelpriester Minines), nur ihre Festtage waren<lb/>
ein für allemal konsekriert, d. h. als kerias dem menschlichen Verkehr entzogen,<lb/>
und nur bei ihrem Dienste wurde das verwickelte und schwierige alte Ritual<lb/>
angewandt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2830" next="#ID_2831"> Die Form, in der gewöhnlich eine neue Verpflichtung gegen einen alten<lb/>
Gott oder die Verpflichtung, einem neuen Gott zu dienen, übernommen wurde,<lb/>
war das Votum. Durch die feierliche Aussprache des Gelübdes bindet sich<lb/>
der Gelobende. Bis zu dem Zeitpunkte, der über die Erfüllung oder die Nicht¬<lb/>
erfüllung seiner Bitte entscheidet, ist er in der Lage des Angeklagten während<lb/>
des schwebenden Prozesses, er ist voll rsu8. Wird sein Wunsch erfüllt, so ist<lb/>
er zur Gegenleistung verpflichtet; er muß die gelobte Handlung verrichten oder<lb/>
die versprochne Sache der Gottheit überweisen. Hat er das gethan, so bestätigt<lb/>
ihm das der Berichterstatter mit der Formel: votum solvit ludsns rnsrito.<lb/>
Vota für das Staatswohl im allgemeinen werden dnrch die Antrittsopfer der<lb/>
höchsten Staatsbeamten an jedem Neujahr und durch die Lnstmtion am Schluß<lb/>
jeder Zensusperiode gelöst. Besondre Anlässe zu öffentlichen Gelöbnissen sind</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0612] [Abbildung] Von der Religion Altroms (Schluß) im dritten Teile handelt Wissowa von den Formen der Götter¬ verehrung, Wie die Religion das ganze bürgerliche Leben durch¬ drang, sodaß Nieder eine private noch eine Stnatshcmdlung vor¬ genommen werden konnte ohne Anrufung oder Befragung der ! Götter oder religiöse Zeremonien, so wurde sie andrerseits selbst von der den Römern eignen juristischen Anffnssnng aller Verhältnisse beherrscht. „Grundlage und Voraussetzung der Götterverehrnng ist das Gefühl der Abhängigkeit von der göttliche» Macht und Fürsorge," das eben durch das Wort röMo ausgedrückt wird, und der Wunsch, sich die höher» Mächte gnädig zu stimmen und zu erhalten. Zu diesem Zweck übernehmen der Einzelne und der Staat in rechtsverbindlicher Form Verpflichtungen zu einmaligen oder wieder¬ kehrenden Leistungen. Durch deren gewissenhafte Einhaltung wird die Gottheit zur Gegenleistung verpflichtet. Auf diese Weise häufen sich im Laufe der Zeit eine Menge Verpflichtungen an, die das Sakralrecht ausmachen, das mit dem Staate selbst entsprungen ist. Wie bei der Gründung einer Kolonie sofort nach der Niederlassung die sakralen Verpflichtungen geregelt werden, so stellt mau sich vor, daß, nachdem Romulus die Stadt gegründet und nach außen gesichert habe, von seinem Nachfolger die sg-or^ xoxuli liounmi geordnet worden seien. Das ,jus ätvinunr oder sacrum gilt als ein wesentlicher Teil des jus xublieuw. Die Einführung neuer Götterdienste brachte dem Sakralrecht natürlich immer neuen Zuwachs; doch behielten die al in<ljA6t6L gewisse Vorrechte vor den neuen Göttern; sie allem hatten Einzelpriester Minines), nur ihre Festtage waren ein für allemal konsekriert, d. h. als kerias dem menschlichen Verkehr entzogen, und nur bei ihrem Dienste wurde das verwickelte und schwierige alte Ritual angewandt. Die Form, in der gewöhnlich eine neue Verpflichtung gegen einen alten Gott oder die Verpflichtung, einem neuen Gott zu dienen, übernommen wurde, war das Votum. Durch die feierliche Aussprache des Gelübdes bindet sich der Gelobende. Bis zu dem Zeitpunkte, der über die Erfüllung oder die Nicht¬ erfüllung seiner Bitte entscheidet, ist er in der Lage des Angeklagten während des schwebenden Prozesses, er ist voll rsu8. Wird sein Wunsch erfüllt, so ist er zur Gegenleistung verpflichtet; er muß die gelobte Handlung verrichten oder die versprochne Sache der Gottheit überweisen. Hat er das gethan, so bestätigt ihm das der Berichterstatter mit der Formel: votum solvit ludsns rnsrito. Vota für das Staatswohl im allgemeinen werden dnrch die Antrittsopfer der höchsten Staatsbeamten an jedem Neujahr und durch die Lnstmtion am Schluß jeder Zensusperiode gelöst. Besondre Anlässe zu öffentlichen Gelöbnissen sind

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/612
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/612>, abgerufen am 01.09.2024.