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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Zur Mittelmecrfrage

Hektar eines Bodens, der seine 2000 Mark für den Hektar wert ist, nicht
vorkommen können. Es scheint sich übrigens jetzt eine solche Klasse bilden zu
wollen. Der Bankrott vieler Adlichen und die Flucht gepeinigter Steuerzahler
machen beständig Land frei, und die intelligenter" und rührigern unter den
am besten ausgestatteten Staatsbauern machen sich die Gelegenheit zu nutze.
Ob dieses Emporsteigen einzelner schon einen Umfang angenommen hat, der
zu Hoffnungen auf eine bessere Zukunft berechtigt, darüber haben wir vor¬
läufig noch nirgends, auch nicht bei Milukow, zuverlässigen Aufschluß ge¬
funden.

(Schluß folgt)




Zur Mittelmeersrage
Georg ZVislicenus Von

er Artikel über Marokko in Heft 41 der Grenzboten veranlaßt
mich, die darin behandelten Fragen von einer andern Seite zu
beleuchte".

Wenn Vismarck gesagt hat, wir seien im Mittelmeer nicht in¬
teressiert, so muß man das doch wohl so verstehn, daß wir die
Mächte, die ans irgend welchem Übermut unsre Mittelmeerschiffahrt schädigen
wollten, nicht im Mittelmeer aufzusuchen brauchten, um uns solche An-
rempeluugen zu verbitte". Weil wir keinen Grundbesitz am Mittelmcergestade
zu halten und zu verteidigen haben, stehn wir allerdings den Machtfragen im
Mittelmeer ferner und gleich giltiger gegenüber, als jede andre europäische
Großmacht, aber deshalb darf es uns nicht gleichgültig sein, wer Herr im Mittel¬
meer ist; namentlich, wenn es eine Macht ist, die uns oder unsern beiden
mittelländischen Bundesgenossen unfreundlich gesinnt wäre.

Erwägt man die zukünftig möglichen Machtverschiebungen, so muß man
ins Auge fassen, ob der jetzige seepolitische Zustand überhaupt gesund und
für uns und unsre Bundesgenossen besonders vorteilhaft ist. Besteht jetzt
etwa ein seepolitisches Gleichgewicht im Mittelmeer? Dürfte wohl England
die Hand auf Ägypten halten, wenn es sich nicht seines Übergewichts dort
ganz genau bewußt wäre? Man darf nicht vergessen, daß Ägypten schon mit
französischem Blute getränkt worden war, ehe die Engländer überhaupt etwas
im Mittelmeer zu suchen hatten. Die Franzosen empfinden es als die ver¬
hängnisvollste Niederlage seit Waterloo und sedem, daß sie Ägypten haben
im Stich lassen müssen, und daß sie den Engländern keinen Widerstand leisten
konnten. Die moralische Niederlage von Faschoda ist ein Glied derselben
Kette: Frankreich fühlt sich zu schwach im Mittelmeer. Damals, im Jahre 1882,
als England Ägypten besetzte und einige Schwierigkeiten im Sudan hatte,
waren die Franzosen in Tunis beschäftigt, das ihnen von England ein Jahr
vorher als Beruhigungshappen (Kompensationsobjekt nennen es die Diplomaten)


Zur Mittelmecrfrage

Hektar eines Bodens, der seine 2000 Mark für den Hektar wert ist, nicht
vorkommen können. Es scheint sich übrigens jetzt eine solche Klasse bilden zu
wollen. Der Bankrott vieler Adlichen und die Flucht gepeinigter Steuerzahler
machen beständig Land frei, und die intelligenter« und rührigern unter den
am besten ausgestatteten Staatsbauern machen sich die Gelegenheit zu nutze.
Ob dieses Emporsteigen einzelner schon einen Umfang angenommen hat, der
zu Hoffnungen auf eine bessere Zukunft berechtigt, darüber haben wir vor¬
läufig noch nirgends, auch nicht bei Milukow, zuverlässigen Aufschluß ge¬
funden.

(Schluß folgt)




Zur Mittelmeersrage
Georg ZVislicenus Von

er Artikel über Marokko in Heft 41 der Grenzboten veranlaßt
mich, die darin behandelten Fragen von einer andern Seite zu
beleuchte».

Wenn Vismarck gesagt hat, wir seien im Mittelmeer nicht in¬
teressiert, so muß man das doch wohl so verstehn, daß wir die
Mächte, die ans irgend welchem Übermut unsre Mittelmeerschiffahrt schädigen
wollten, nicht im Mittelmeer aufzusuchen brauchten, um uns solche An-
rempeluugen zu verbitte». Weil wir keinen Grundbesitz am Mittelmcergestade
zu halten und zu verteidigen haben, stehn wir allerdings den Machtfragen im
Mittelmeer ferner und gleich giltiger gegenüber, als jede andre europäische
Großmacht, aber deshalb darf es uns nicht gleichgültig sein, wer Herr im Mittel¬
meer ist; namentlich, wenn es eine Macht ist, die uns oder unsern beiden
mittelländischen Bundesgenossen unfreundlich gesinnt wäre.

Erwägt man die zukünftig möglichen Machtverschiebungen, so muß man
ins Auge fassen, ob der jetzige seepolitische Zustand überhaupt gesund und
für uns und unsre Bundesgenossen besonders vorteilhaft ist. Besteht jetzt
etwa ein seepolitisches Gleichgewicht im Mittelmeer? Dürfte wohl England
die Hand auf Ägypten halten, wenn es sich nicht seines Übergewichts dort
ganz genau bewußt wäre? Man darf nicht vergessen, daß Ägypten schon mit
französischem Blute getränkt worden war, ehe die Engländer überhaupt etwas
im Mittelmeer zu suchen hatten. Die Franzosen empfinden es als die ver¬
hängnisvollste Niederlage seit Waterloo und sedem, daß sie Ägypten haben
im Stich lassen müssen, und daß sie den Engländern keinen Widerstand leisten
konnten. Die moralische Niederlage von Faschoda ist ein Glied derselben
Kette: Frankreich fühlt sich zu schwach im Mittelmeer. Damals, im Jahre 1882,
als England Ägypten besetzte und einige Schwierigkeiten im Sudan hatte,
waren die Franzosen in Tunis beschäftigt, das ihnen von England ein Jahr
vorher als Beruhigungshappen (Kompensationsobjekt nennen es die Diplomaten)


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[0308] Zur Mittelmecrfrage Hektar eines Bodens, der seine 2000 Mark für den Hektar wert ist, nicht vorkommen können. Es scheint sich übrigens jetzt eine solche Klasse bilden zu wollen. Der Bankrott vieler Adlichen und die Flucht gepeinigter Steuerzahler machen beständig Land frei, und die intelligenter« und rührigern unter den am besten ausgestatteten Staatsbauern machen sich die Gelegenheit zu nutze. Ob dieses Emporsteigen einzelner schon einen Umfang angenommen hat, der zu Hoffnungen auf eine bessere Zukunft berechtigt, darüber haben wir vor¬ läufig noch nirgends, auch nicht bei Milukow, zuverlässigen Aufschluß ge¬ funden. (Schluß folgt) Zur Mittelmeersrage Georg ZVislicenus Von er Artikel über Marokko in Heft 41 der Grenzboten veranlaßt mich, die darin behandelten Fragen von einer andern Seite zu beleuchte». Wenn Vismarck gesagt hat, wir seien im Mittelmeer nicht in¬ teressiert, so muß man das doch wohl so verstehn, daß wir die Mächte, die ans irgend welchem Übermut unsre Mittelmeerschiffahrt schädigen wollten, nicht im Mittelmeer aufzusuchen brauchten, um uns solche An- rempeluugen zu verbitte». Weil wir keinen Grundbesitz am Mittelmcergestade zu halten und zu verteidigen haben, stehn wir allerdings den Machtfragen im Mittelmeer ferner und gleich giltiger gegenüber, als jede andre europäische Großmacht, aber deshalb darf es uns nicht gleichgültig sein, wer Herr im Mittel¬ meer ist; namentlich, wenn es eine Macht ist, die uns oder unsern beiden mittelländischen Bundesgenossen unfreundlich gesinnt wäre. Erwägt man die zukünftig möglichen Machtverschiebungen, so muß man ins Auge fassen, ob der jetzige seepolitische Zustand überhaupt gesund und für uns und unsre Bundesgenossen besonders vorteilhaft ist. Besteht jetzt etwa ein seepolitisches Gleichgewicht im Mittelmeer? Dürfte wohl England die Hand auf Ägypten halten, wenn es sich nicht seines Übergewichts dort ganz genau bewußt wäre? Man darf nicht vergessen, daß Ägypten schon mit französischem Blute getränkt worden war, ehe die Engländer überhaupt etwas im Mittelmeer zu suchen hatten. Die Franzosen empfinden es als die ver¬ hängnisvollste Niederlage seit Waterloo und sedem, daß sie Ägypten haben im Stich lassen müssen, und daß sie den Engländern keinen Widerstand leisten konnten. Die moralische Niederlage von Faschoda ist ein Glied derselben Kette: Frankreich fühlt sich zu schwach im Mittelmeer. Damals, im Jahre 1882, als England Ägypten besetzte und einige Schwierigkeiten im Sudan hatte, waren die Franzosen in Tunis beschäftigt, das ihnen von England ein Jahr vorher als Beruhigungshappen (Kompensationsobjekt nennen es die Diplomaten)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/308>, abgerufen am 01.09.2024.