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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Von einer Weltreise

erstenmal geschehn sollte, hatte ich den Führer der Neger, einen Araber, be¬
auftragt, einen Mann zu stellen. Er antwortete aber: Doktor, du mußt das
selbst thun, die Abessinier "vollen nicht, sie sind Hunde, Ich ließ also die
Landsleute des Operierten antreten und fragte, wer deu Kranken Pflegen
wollte, Sie erklärten alle: Ich nicht, ich nicht, wir sind alle selber krank.
Es blieb also nur übrig, einen auszuwählen, und zwar nahm ich, um ihnen
nicht zu viel zuzumuten, täglich einen andern, den ich folgendermaßen in seine
Pflichten einweihte. Erst bekam er vor versammelter Front zwei Ohrfeigen,
dann wurde er vor das Lager des Kranken geführt und erhielt in dessen
Gegenwart wieder zwei Ohrfeigen, und da er nach einigen Stunden gewöhnlich
nnsgerissen war, so holte ich ihn zurück und gab ihm nochmals zwei. Diese
Verständigung hatte auch den Vorteil, daß ich keine Dolmetschcrhilfe brauchte.
Noch nach vielen Tagen war diese Einrichtung unentbehrlich. Jeder wußte,
was er zu thun hatte, wenn ich ihn morgens aufsuchte. Aber keiner über¬
nahm das Amt ohne feierliche Einführung. Erst nach sechs wirklichen Ohr¬
feigen, die sie ohne bedeutende Gegenwehr annahmen, waren sie der Über¬
zeugung, böß der Bana Doktor es auch diesesmal wieder ernst meine,


Freiheit oder Hörigkeit der Neger

Wir sind kraft unsrer Religion der Überzeugung, daß alle Menschen
gleich sind, und daß wir nicht das Recht haben, unsersglcichen zu unsern
Sklaven zu machen. Je näher man aber den Dingen in der Wirklichkeit tritt,
um so mehr muß man auch an diesen Satz allerlei Abers hängen. In irgend¬
welcher Form entsteht die Knechtschaft des Negers immer wieder von neuem.
Daran ist die Schwäche des Negers noch mehr schuld, als der Übermut der
Weißen. Die Neger sind thatsächlich dem Weißen nicht gleich. Sie verhalten
sich zu ihm, wie ein fünfzehnjähriger Knabe zu einem Erwachsenen. Ein
Knabe hat bei uns auch nicht alle Rechte eines Erwachsenen. Er wird nicht
zum Eid zugelassen, er hat nicht freie Vermvgensverfügung, darf nicht frei
heiraten, er kann zur Arbeit in die Lehre aufgethan werden, vom Vater und
vom Meister geschlagen werden, von Gerichts wegen in Zwangserziehung ge¬
nommen werden, wenn er arbeitsscheu ist, er kann aber auch vom Gericht
gegen deu Mißbrauch der elterlichen Gewalt geschützt werden. Auch der Eid
eines Negers kann vor Gericht nicht gleich dem eines Weißen gelten. Diese
Fiktion besteht allerdings bei den Gerichten der englischen Kolonien, weil sie
von der öffentlichen Meinung des Heimatlandes erzwungen wird. Aber in
der Ausübung ist sie unmöglich. Wenn ein Weißer schwört, so wird es ein
Eid oder ein Meineid, wenn aber ein Neger schwört, so wird es unter zehn
Fallen neunmal ein Falscheid. Denn ein Neger kennt nicht von Jugend auf und
°urch jahrtausendelange Tradition die Heiligkeit des Eides. Daran können
tench ein paar Jahre Christenlehre nicht gleich etwas ändern.

Auch ob es für die Neger einen Arbeitszwang geben soll, darf wohl er¬
logen werden. Ein Neger hat nicht den zehnten Teil der Bedürfnisse, die
unsre Arbeiter haben. Er braucht kein festes Hans, keine Heizung, keine warme


Von einer Weltreise

erstenmal geschehn sollte, hatte ich den Führer der Neger, einen Araber, be¬
auftragt, einen Mann zu stellen. Er antwortete aber: Doktor, du mußt das
selbst thun, die Abessinier »vollen nicht, sie sind Hunde, Ich ließ also die
Landsleute des Operierten antreten und fragte, wer deu Kranken Pflegen
wollte, Sie erklärten alle: Ich nicht, ich nicht, wir sind alle selber krank.
Es blieb also nur übrig, einen auszuwählen, und zwar nahm ich, um ihnen
nicht zu viel zuzumuten, täglich einen andern, den ich folgendermaßen in seine
Pflichten einweihte. Erst bekam er vor versammelter Front zwei Ohrfeigen,
dann wurde er vor das Lager des Kranken geführt und erhielt in dessen
Gegenwart wieder zwei Ohrfeigen, und da er nach einigen Stunden gewöhnlich
nnsgerissen war, so holte ich ihn zurück und gab ihm nochmals zwei. Diese
Verständigung hatte auch den Vorteil, daß ich keine Dolmetschcrhilfe brauchte.
Noch nach vielen Tagen war diese Einrichtung unentbehrlich. Jeder wußte,
was er zu thun hatte, wenn ich ihn morgens aufsuchte. Aber keiner über¬
nahm das Amt ohne feierliche Einführung. Erst nach sechs wirklichen Ohr¬
feigen, die sie ohne bedeutende Gegenwehr annahmen, waren sie der Über¬
zeugung, böß der Bana Doktor es auch diesesmal wieder ernst meine,


Freiheit oder Hörigkeit der Neger

Wir sind kraft unsrer Religion der Überzeugung, daß alle Menschen
gleich sind, und daß wir nicht das Recht haben, unsersglcichen zu unsern
Sklaven zu machen. Je näher man aber den Dingen in der Wirklichkeit tritt,
um so mehr muß man auch an diesen Satz allerlei Abers hängen. In irgend¬
welcher Form entsteht die Knechtschaft des Negers immer wieder von neuem.
Daran ist die Schwäche des Negers noch mehr schuld, als der Übermut der
Weißen. Die Neger sind thatsächlich dem Weißen nicht gleich. Sie verhalten
sich zu ihm, wie ein fünfzehnjähriger Knabe zu einem Erwachsenen. Ein
Knabe hat bei uns auch nicht alle Rechte eines Erwachsenen. Er wird nicht
zum Eid zugelassen, er hat nicht freie Vermvgensverfügung, darf nicht frei
heiraten, er kann zur Arbeit in die Lehre aufgethan werden, vom Vater und
vom Meister geschlagen werden, von Gerichts wegen in Zwangserziehung ge¬
nommen werden, wenn er arbeitsscheu ist, er kann aber auch vom Gericht
gegen deu Mißbrauch der elterlichen Gewalt geschützt werden. Auch der Eid
eines Negers kann vor Gericht nicht gleich dem eines Weißen gelten. Diese
Fiktion besteht allerdings bei den Gerichten der englischen Kolonien, weil sie
von der öffentlichen Meinung des Heimatlandes erzwungen wird. Aber in
der Ausübung ist sie unmöglich. Wenn ein Weißer schwört, so wird es ein
Eid oder ein Meineid, wenn aber ein Neger schwört, so wird es unter zehn
Fallen neunmal ein Falscheid. Denn ein Neger kennt nicht von Jugend auf und
°urch jahrtausendelange Tradition die Heiligkeit des Eides. Daran können
tench ein paar Jahre Christenlehre nicht gleich etwas ändern.

Auch ob es für die Neger einen Arbeitszwang geben soll, darf wohl er¬
logen werden. Ein Neger hat nicht den zehnten Teil der Bedürfnisse, die
unsre Arbeiter haben. Er braucht kein festes Hans, keine Heizung, keine warme


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[0273] Von einer Weltreise erstenmal geschehn sollte, hatte ich den Führer der Neger, einen Araber, be¬ auftragt, einen Mann zu stellen. Er antwortete aber: Doktor, du mußt das selbst thun, die Abessinier »vollen nicht, sie sind Hunde, Ich ließ also die Landsleute des Operierten antreten und fragte, wer deu Kranken Pflegen wollte, Sie erklärten alle: Ich nicht, ich nicht, wir sind alle selber krank. Es blieb also nur übrig, einen auszuwählen, und zwar nahm ich, um ihnen nicht zu viel zuzumuten, täglich einen andern, den ich folgendermaßen in seine Pflichten einweihte. Erst bekam er vor versammelter Front zwei Ohrfeigen, dann wurde er vor das Lager des Kranken geführt und erhielt in dessen Gegenwart wieder zwei Ohrfeigen, und da er nach einigen Stunden gewöhnlich nnsgerissen war, so holte ich ihn zurück und gab ihm nochmals zwei. Diese Verständigung hatte auch den Vorteil, daß ich keine Dolmetschcrhilfe brauchte. Noch nach vielen Tagen war diese Einrichtung unentbehrlich. Jeder wußte, was er zu thun hatte, wenn ich ihn morgens aufsuchte. Aber keiner über¬ nahm das Amt ohne feierliche Einführung. Erst nach sechs wirklichen Ohr¬ feigen, die sie ohne bedeutende Gegenwehr annahmen, waren sie der Über¬ zeugung, böß der Bana Doktor es auch diesesmal wieder ernst meine, Freiheit oder Hörigkeit der Neger Wir sind kraft unsrer Religion der Überzeugung, daß alle Menschen gleich sind, und daß wir nicht das Recht haben, unsersglcichen zu unsern Sklaven zu machen. Je näher man aber den Dingen in der Wirklichkeit tritt, um so mehr muß man auch an diesen Satz allerlei Abers hängen. In irgend¬ welcher Form entsteht die Knechtschaft des Negers immer wieder von neuem. Daran ist die Schwäche des Negers noch mehr schuld, als der Übermut der Weißen. Die Neger sind thatsächlich dem Weißen nicht gleich. Sie verhalten sich zu ihm, wie ein fünfzehnjähriger Knabe zu einem Erwachsenen. Ein Knabe hat bei uns auch nicht alle Rechte eines Erwachsenen. Er wird nicht zum Eid zugelassen, er hat nicht freie Vermvgensverfügung, darf nicht frei heiraten, er kann zur Arbeit in die Lehre aufgethan werden, vom Vater und vom Meister geschlagen werden, von Gerichts wegen in Zwangserziehung ge¬ nommen werden, wenn er arbeitsscheu ist, er kann aber auch vom Gericht gegen deu Mißbrauch der elterlichen Gewalt geschützt werden. Auch der Eid eines Negers kann vor Gericht nicht gleich dem eines Weißen gelten. Diese Fiktion besteht allerdings bei den Gerichten der englischen Kolonien, weil sie von der öffentlichen Meinung des Heimatlandes erzwungen wird. Aber in der Ausübung ist sie unmöglich. Wenn ein Weißer schwört, so wird es ein Eid oder ein Meineid, wenn aber ein Neger schwört, so wird es unter zehn Fallen neunmal ein Falscheid. Denn ein Neger kennt nicht von Jugend auf und °urch jahrtausendelange Tradition die Heiligkeit des Eides. Daran können tench ein paar Jahre Christenlehre nicht gleich etwas ändern. Auch ob es für die Neger einen Arbeitszwang geben soll, darf wohl er¬ logen werden. Ein Neger hat nicht den zehnten Teil der Bedürfnisse, die unsre Arbeiter haben. Er braucht kein festes Hans, keine Heizung, keine warme

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/273>, abgerufen am 01.09.2024.