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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Das Eisenbahnnetz Indiens vom militärischen Standpunkt aus

zuspanneu und sich nicht durch die Hoffnung auf ein Almosen fremder That¬
kraft entsittlichen zu lassen. Es läßt sich den Deutschösterreichern nur em¬
pfehlen, daß sie nach Bismarcks Rat die eigne Geschichte lernen und aus ihr
ersehen, was sie thun und was sie lassen sollen. Mau muß fürchten, daß
sie auch bei einer neuen Wendung der österreichischen Politik, wie sie schon an¬
gebahnt ist und früher oder später fortgesetzt werden muß, wieder zu kurz
kommen werden, weil sie sich weiter in Spaltungen und Raditcilismeu ver¬
rennen werden, die noch nirgends und niemals zur nationalen Macht geführt
haben.




Das Eisenbahnnetz Indiens vom militärischen Stand¬
punkt aus

> eher die sich im stillen allmählich vollziehende Verminderung des
Auslands der britischen und der rassischen Grenzen in Mittelasien
gehn ab und zu von dort Nachrichten ein, die zu deuten geben.
Einerseits melden sie die Verstärkung der Garnisonen der dem
! wichtigen Herat benachbarten russischen Grenzplätze Trauskaspiens,
andrerseits teilen sie aus Indien mit, daß die Eingebvrnenregimeuter mit
neuen Modellen des Lee-Enfieldgewehrs bewaffnet werden, und daß moderne
Schnellfeuer-Feld- und Gebirgsgeschtttzc für die Artillerie in Aussicht genommen
sind. Auch darüber liegen Meldungen vor, daß die anglo-indische Regierung ihre
militärische Stellung an der Induslinic dnrch Umfassung der afghanischen Süd¬
grenzen sehr verbessert hat; denn von den neu erworbnen und neu gesicherten
Gebietsteilen in Knfiristan und in Beludschistnu ans flankieren die englischen
Truppenaufstelluugen des Grenzgebiets die Linie Kabul-Kandahar mit den im
Süden von ihr liegenden Pässen über das Suleimnugebirge; vor allen Dingen
aber eröffnet die Besitznahme von Chitral mit dem Thale des Kashkar, eines
Nebenflusses des Kabulstroms, mit Umgehung des den Engländern schon ein¬
mal verderblich gewesenen Khaiberpasses, den Zugang nach Djellalabad und
der Landeshauptstadt Kabul. Damit üben aber die Engländer einen Druck
auf den Emir ans, dem er sich nur schwer wird entziehn können.

Eine durch die Natur stark begünstigte und auch strategisch wertvolle Landes¬
grenze allein genügt jedoch nicht, das gewaltige indische Reich gegen äußere
Feinde zu sichern. Hierzu bedarf es auch einer starken, schlagfertigen und zu¬
verlässigen Operationsarmee, einer zuverlässigen und opferwilligen Bevölkerung,
wie eines nach strategischen Rücksichten richtig angelegten und zugleich leistungs¬
fähigen Eisenbahnnetzes. Gerade diese letzte Forderung füllt bei der Ver¬
teidigung Indiens um so schwerer ins Gewicht, als die andern nur be¬
dingungsweise erfüllt werden, zumal da der bei weitem größere Teil aller Feld-
Kuppen im Falle eiues Krieges mit Rußland in den Friedensgarnisonen nnr
schwer abkömmlich sein wird, und dn in Zukunft mehr als je mit eiuer mög-


Das Eisenbahnnetz Indiens vom militärischen Standpunkt aus

zuspanneu und sich nicht durch die Hoffnung auf ein Almosen fremder That¬
kraft entsittlichen zu lassen. Es läßt sich den Deutschösterreichern nur em¬
pfehlen, daß sie nach Bismarcks Rat die eigne Geschichte lernen und aus ihr
ersehen, was sie thun und was sie lassen sollen. Mau muß fürchten, daß
sie auch bei einer neuen Wendung der österreichischen Politik, wie sie schon an¬
gebahnt ist und früher oder später fortgesetzt werden muß, wieder zu kurz
kommen werden, weil sie sich weiter in Spaltungen und Raditcilismeu ver¬
rennen werden, die noch nirgends und niemals zur nationalen Macht geführt
haben.




Das Eisenbahnnetz Indiens vom militärischen Stand¬
punkt aus

> eher die sich im stillen allmählich vollziehende Verminderung des
Auslands der britischen und der rassischen Grenzen in Mittelasien
gehn ab und zu von dort Nachrichten ein, die zu deuten geben.
Einerseits melden sie die Verstärkung der Garnisonen der dem
! wichtigen Herat benachbarten russischen Grenzplätze Trauskaspiens,
andrerseits teilen sie aus Indien mit, daß die Eingebvrnenregimeuter mit
neuen Modellen des Lee-Enfieldgewehrs bewaffnet werden, und daß moderne
Schnellfeuer-Feld- und Gebirgsgeschtttzc für die Artillerie in Aussicht genommen
sind. Auch darüber liegen Meldungen vor, daß die anglo-indische Regierung ihre
militärische Stellung an der Induslinic dnrch Umfassung der afghanischen Süd¬
grenzen sehr verbessert hat; denn von den neu erworbnen und neu gesicherten
Gebietsteilen in Knfiristan und in Beludschistnu ans flankieren die englischen
Truppenaufstelluugen des Grenzgebiets die Linie Kabul-Kandahar mit den im
Süden von ihr liegenden Pässen über das Suleimnugebirge; vor allen Dingen
aber eröffnet die Besitznahme von Chitral mit dem Thale des Kashkar, eines
Nebenflusses des Kabulstroms, mit Umgehung des den Engländern schon ein¬
mal verderblich gewesenen Khaiberpasses, den Zugang nach Djellalabad und
der Landeshauptstadt Kabul. Damit üben aber die Engländer einen Druck
auf den Emir ans, dem er sich nur schwer wird entziehn können.

Eine durch die Natur stark begünstigte und auch strategisch wertvolle Landes¬
grenze allein genügt jedoch nicht, das gewaltige indische Reich gegen äußere
Feinde zu sichern. Hierzu bedarf es auch einer starken, schlagfertigen und zu¬
verlässigen Operationsarmee, einer zuverlässigen und opferwilligen Bevölkerung,
wie eines nach strategischen Rücksichten richtig angelegten und zugleich leistungs¬
fähigen Eisenbahnnetzes. Gerade diese letzte Forderung füllt bei der Ver¬
teidigung Indiens um so schwerer ins Gewicht, als die andern nur be¬
dingungsweise erfüllt werden, zumal da der bei weitem größere Teil aller Feld-
Kuppen im Falle eiues Krieges mit Rußland in den Friedensgarnisonen nnr
schwer abkömmlich sein wird, und dn in Zukunft mehr als je mit eiuer mög-


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[0253] Das Eisenbahnnetz Indiens vom militärischen Standpunkt aus zuspanneu und sich nicht durch die Hoffnung auf ein Almosen fremder That¬ kraft entsittlichen zu lassen. Es läßt sich den Deutschösterreichern nur em¬ pfehlen, daß sie nach Bismarcks Rat die eigne Geschichte lernen und aus ihr ersehen, was sie thun und was sie lassen sollen. Mau muß fürchten, daß sie auch bei einer neuen Wendung der österreichischen Politik, wie sie schon an¬ gebahnt ist und früher oder später fortgesetzt werden muß, wieder zu kurz kommen werden, weil sie sich weiter in Spaltungen und Raditcilismeu ver¬ rennen werden, die noch nirgends und niemals zur nationalen Macht geführt haben. Das Eisenbahnnetz Indiens vom militärischen Stand¬ punkt aus > eher die sich im stillen allmählich vollziehende Verminderung des Auslands der britischen und der rassischen Grenzen in Mittelasien gehn ab und zu von dort Nachrichten ein, die zu deuten geben. Einerseits melden sie die Verstärkung der Garnisonen der dem ! wichtigen Herat benachbarten russischen Grenzplätze Trauskaspiens, andrerseits teilen sie aus Indien mit, daß die Eingebvrnenregimeuter mit neuen Modellen des Lee-Enfieldgewehrs bewaffnet werden, und daß moderne Schnellfeuer-Feld- und Gebirgsgeschtttzc für die Artillerie in Aussicht genommen sind. Auch darüber liegen Meldungen vor, daß die anglo-indische Regierung ihre militärische Stellung an der Induslinic dnrch Umfassung der afghanischen Süd¬ grenzen sehr verbessert hat; denn von den neu erworbnen und neu gesicherten Gebietsteilen in Knfiristan und in Beludschistnu ans flankieren die englischen Truppenaufstelluugen des Grenzgebiets die Linie Kabul-Kandahar mit den im Süden von ihr liegenden Pässen über das Suleimnugebirge; vor allen Dingen aber eröffnet die Besitznahme von Chitral mit dem Thale des Kashkar, eines Nebenflusses des Kabulstroms, mit Umgehung des den Engländern schon ein¬ mal verderblich gewesenen Khaiberpasses, den Zugang nach Djellalabad und der Landeshauptstadt Kabul. Damit üben aber die Engländer einen Druck auf den Emir ans, dem er sich nur schwer wird entziehn können. Eine durch die Natur stark begünstigte und auch strategisch wertvolle Landes¬ grenze allein genügt jedoch nicht, das gewaltige indische Reich gegen äußere Feinde zu sichern. Hierzu bedarf es auch einer starken, schlagfertigen und zu¬ verlässigen Operationsarmee, einer zuverlässigen und opferwilligen Bevölkerung, wie eines nach strategischen Rücksichten richtig angelegten und zugleich leistungs¬ fähigen Eisenbahnnetzes. Gerade diese letzte Forderung füllt bei der Ver¬ teidigung Indiens um so schwerer ins Gewicht, als die andern nur be¬ dingungsweise erfüllt werden, zumal da der bei weitem größere Teil aller Feld- Kuppen im Falle eiues Krieges mit Rußland in den Friedensgarnisonen nnr schwer abkömmlich sein wird, und dn in Zukunft mehr als je mit eiuer mög-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/253>, abgerufen am 01.09.2024.