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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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im Unterschiede von denen Englands zu entsprechen. Daraus wird man
aber auch entnehmen können, daß dem Übergang von der Produktiv:: vege¬
tabilischer Nahrungsmittel zur Viehzucht in der deutschen Landwirtschaft engere
Grenzen gezogen sind als in der englischen. Der Brotgetreidebau wird in
Deutschland vorläufig und vielleicht für immer die wichtigere Rolle spielen.
Auch daran ist -- wie dies in den Grenzboten immer anerkannt worden
ist -- nicht zu zweifeln, daß die deutsche Landwirtschaft, wenn sie wollte, im¬
stande wäre, den Brotgetreidebedarf des deutscheu Volks zunächst vollauf zu
decken. Es fragt sich uur erstens, wie lange noch bei fortdauernd starker Volksver-
mehrung; zweitens, wie zu der nötigen "Intensität" des Betriebs, die allein
solche erhöhte Brnttoerträge erzielen kann, alle Landwirre veranlaßt werden
sollen, solange das Ackerland im Privateigentum, und der Grad der Intensität
Privatsache bleibt; endlich und hauptsächlich drittens, ob diese erhöhte Inten¬
sität nicht eine solche Steigerung der Produktionskosten voraussetzt, daß die
Reinertrage Zimmer kleiner werden. Das scheint teilweise schon der Fall zu
sein, und darin liegt vielleicht die ernsteste Gefahr für unsre landwirtschaftliche
und volkswirtschaftliche Zukunft, mit höhern Getreidezöllen oder ohne sie.




Österreich
Albin Geyer von (Schluß)

lie geschilderten sattsam bekannten Vorgänge sind hier ausdrücklich
darum wieder betont worden, weil bestimmt darauf hingewiesen
werden soll, daß die gegenwärtig in der österreichischen Monarchie
herrschenden Wirrnisse keineswegs den Gegensatz zwischen Deutschen
l und Tschechen, sondern den Dualismus zum wesentlichen Ur¬
sprung haben. Wir wollen nun zwar nicht behaupten, daß ein wirtschaftlicher
Dualismus zwischen den beiden Reichshälften überhaupt eine politische Un¬
möglichkeit wäre, aber der jetzt bestehende ist darum ein Unsinn, weil er der
österreichischen Monarchie nicht nur keine feste Grundlage giebt, sondern ihr
diese ausdrücklich durch die Bestimmung entzieht, daß der Ausgleichsvertrag
aller zehn Jahre erneuert werden muß. Alle gesetzlichen und verfassungs¬
mäßigen Bestimmungen "auf Zeit" sind Unsinn. Die alten Diplomaten wußten
sehr wohl, warum sie ihre Verträge "auf ewige Zeit" abschlossen. Fürst Bis-
marck hat einmal ans der Reichstagstribüne als Kommentar hinzugefügt, daß
solche Verträge selbstverständlich nur so lange in Kraft blieben, als sich die
Verhältnisse, unter denen sie abgeschlossen worden seien, nicht grundsätzlich ge¬
ändert hätten. Tritt das letzte ein, so macht sich die Abänderung auf fried¬
lichem Wege oder durch Gewalt von selbst geltend. So ist der historische
Lauf immer gewesen. Der parlamentarische und der journalistische Witz des
vorigen Jahrhunderts hat sich dann an dem veralteten Ausdruck "auf ewige


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im Unterschiede von denen Englands zu entsprechen. Daraus wird man
aber auch entnehmen können, daß dem Übergang von der Produktiv:: vege¬
tabilischer Nahrungsmittel zur Viehzucht in der deutschen Landwirtschaft engere
Grenzen gezogen sind als in der englischen. Der Brotgetreidebau wird in
Deutschland vorläufig und vielleicht für immer die wichtigere Rolle spielen.
Auch daran ist — wie dies in den Grenzboten immer anerkannt worden
ist — nicht zu zweifeln, daß die deutsche Landwirtschaft, wenn sie wollte, im¬
stande wäre, den Brotgetreidebedarf des deutscheu Volks zunächst vollauf zu
decken. Es fragt sich uur erstens, wie lange noch bei fortdauernd starker Volksver-
mehrung; zweitens, wie zu der nötigen „Intensität" des Betriebs, die allein
solche erhöhte Brnttoerträge erzielen kann, alle Landwirre veranlaßt werden
sollen, solange das Ackerland im Privateigentum, und der Grad der Intensität
Privatsache bleibt; endlich und hauptsächlich drittens, ob diese erhöhte Inten¬
sität nicht eine solche Steigerung der Produktionskosten voraussetzt, daß die
Reinertrage Zimmer kleiner werden. Das scheint teilweise schon der Fall zu
sein, und darin liegt vielleicht die ernsteste Gefahr für unsre landwirtschaftliche
und volkswirtschaftliche Zukunft, mit höhern Getreidezöllen oder ohne sie.




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Albin Geyer von (Schluß)

lie geschilderten sattsam bekannten Vorgänge sind hier ausdrücklich
darum wieder betont worden, weil bestimmt darauf hingewiesen
werden soll, daß die gegenwärtig in der österreichischen Monarchie
herrschenden Wirrnisse keineswegs den Gegensatz zwischen Deutschen
l und Tschechen, sondern den Dualismus zum wesentlichen Ur¬
sprung haben. Wir wollen nun zwar nicht behaupten, daß ein wirtschaftlicher
Dualismus zwischen den beiden Reichshälften überhaupt eine politische Un¬
möglichkeit wäre, aber der jetzt bestehende ist darum ein Unsinn, weil er der
österreichischen Monarchie nicht nur keine feste Grundlage giebt, sondern ihr
diese ausdrücklich durch die Bestimmung entzieht, daß der Ausgleichsvertrag
aller zehn Jahre erneuert werden muß. Alle gesetzlichen und verfassungs¬
mäßigen Bestimmungen „auf Zeit" sind Unsinn. Die alten Diplomaten wußten
sehr wohl, warum sie ihre Verträge „auf ewige Zeit" abschlossen. Fürst Bis-
marck hat einmal ans der Reichstagstribüne als Kommentar hinzugefügt, daß
solche Verträge selbstverständlich nur so lange in Kraft blieben, als sich die
Verhältnisse, unter denen sie abgeschlossen worden seien, nicht grundsätzlich ge¬
ändert hätten. Tritt das letzte ein, so macht sich die Abänderung auf fried¬
lichem Wege oder durch Gewalt von selbst geltend. So ist der historische
Lauf immer gewesen. Der parlamentarische und der journalistische Witz des
vorigen Jahrhunderts hat sich dann an dem veralteten Ausdruck „auf ewige


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[0245] Österreich im Unterschiede von denen Englands zu entsprechen. Daraus wird man aber auch entnehmen können, daß dem Übergang von der Produktiv:: vege¬ tabilischer Nahrungsmittel zur Viehzucht in der deutschen Landwirtschaft engere Grenzen gezogen sind als in der englischen. Der Brotgetreidebau wird in Deutschland vorläufig und vielleicht für immer die wichtigere Rolle spielen. Auch daran ist — wie dies in den Grenzboten immer anerkannt worden ist — nicht zu zweifeln, daß die deutsche Landwirtschaft, wenn sie wollte, im¬ stande wäre, den Brotgetreidebedarf des deutscheu Volks zunächst vollauf zu decken. Es fragt sich uur erstens, wie lange noch bei fortdauernd starker Volksver- mehrung; zweitens, wie zu der nötigen „Intensität" des Betriebs, die allein solche erhöhte Brnttoerträge erzielen kann, alle Landwirre veranlaßt werden sollen, solange das Ackerland im Privateigentum, und der Grad der Intensität Privatsache bleibt; endlich und hauptsächlich drittens, ob diese erhöhte Inten¬ sität nicht eine solche Steigerung der Produktionskosten voraussetzt, daß die Reinertrage Zimmer kleiner werden. Das scheint teilweise schon der Fall zu sein, und darin liegt vielleicht die ernsteste Gefahr für unsre landwirtschaftliche und volkswirtschaftliche Zukunft, mit höhern Getreidezöllen oder ohne sie. Österreich Albin Geyer von (Schluß) lie geschilderten sattsam bekannten Vorgänge sind hier ausdrücklich darum wieder betont worden, weil bestimmt darauf hingewiesen werden soll, daß die gegenwärtig in der österreichischen Monarchie herrschenden Wirrnisse keineswegs den Gegensatz zwischen Deutschen l und Tschechen, sondern den Dualismus zum wesentlichen Ur¬ sprung haben. Wir wollen nun zwar nicht behaupten, daß ein wirtschaftlicher Dualismus zwischen den beiden Reichshälften überhaupt eine politische Un¬ möglichkeit wäre, aber der jetzt bestehende ist darum ein Unsinn, weil er der österreichischen Monarchie nicht nur keine feste Grundlage giebt, sondern ihr diese ausdrücklich durch die Bestimmung entzieht, daß der Ausgleichsvertrag aller zehn Jahre erneuert werden muß. Alle gesetzlichen und verfassungs¬ mäßigen Bestimmungen „auf Zeit" sind Unsinn. Die alten Diplomaten wußten sehr wohl, warum sie ihre Verträge „auf ewige Zeit" abschlossen. Fürst Bis- marck hat einmal ans der Reichstagstribüne als Kommentar hinzugefügt, daß solche Verträge selbstverständlich nur so lange in Kraft blieben, als sich die Verhältnisse, unter denen sie abgeschlossen worden seien, nicht grundsätzlich ge¬ ändert hätten. Tritt das letzte ein, so macht sich die Abänderung auf fried¬ lichem Wege oder durch Gewalt von selbst geltend. So ist der historische Lauf immer gewesen. Der parlamentarische und der journalistische Witz des vorigen Jahrhunderts hat sich dann an dem veralteten Ausdruck „auf ewige

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/245>, abgerufen am 01.09.2024.