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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Briefe eines Zurückgekehrten

der Tychekultns mehr und mehr zur eiteln Selbstanbetung. Die eleusinischen
Mysterien dürften zuletzt die einzige Gelegenheit gewesen sein, bei der sich die
Gelehrten und das Volk im Anschauen von Symbolen, die auf ein besseres
Jenseits hinwiesen, eins zu fühlen vermochten. - Die griechische Religion,
dürfen nur rückblickend sagen, entstand durch Absonderung aus der arischen
Naturreligion und erfaßte frühzeitig das geistige, vernünftige und sittliche
West" der Gottheit. Zur vollkommnen Gottesidee durchzudringen wurde sie
gehindert durch die Erinnerung an ihren naturalistischen Ursprung und durch
die allzuweit durchgeführte Vermenschlichung und Individualisierung der Gott¬
heiten. Das edle und reiche Gemüt der Hellenen, das alle Blüten echten
höhern Menschentums erzeugte, schmückte damit anch ihre Gottheit und legte
bei fortschreitender Denkarbeit in deren Wesen und Walten alles, was der
christliche Katechismus hineinlegt, aber da es keine religiöse Autorität und
keinen von einer solchen abgefaßten Lchrtanon gab, so blieben die schönsten
und tiefsten Gedanken der Denker und Dichter Meinungen einzelner, während
die Volksreligion verwilderte und vielfach in einen sinnlosen Aberglauben
ausartete, der trotz geschmackloser Häufung von Göttergestalten, Weihungen
"ut Sühnezeremonien nicht zu gewähren vermochte, was mau suchte: das
Gefühl der Entsündigung und Erhebung über die Widerwärtigkeiten des
Erdenlebens durch den zuversichtlichen Glauben an eine vernünftige Welt¬
regierung und an die Lösung der Erdeuwirren im Jenseits. Es fragte sich
nun, ob der griechische Geist imstande sein werde, aus sich allein eine ver¬
besserte Religion zu erzeugen, in der sich das Volk und die Denker aufs neue
hätten zusammenfinden können.




Briefe eines Zurückgekehrten
8

ente hörte ich in der Universitütskirche zu N einen berühmten
Pfarrer und Professor über den Bergprcdigtsprnch predigen:
Selig sind die sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich be¬
sitzen. Es war die Rede von der Macht, die die Snnftmnt übt,
und es wurden natürlich die nächstliegenden Beispiele angezogen,
die weltüberwindende Macht des Christentums und die Macht des Weibes.
Ich dachte mir, daß in unsrer weltpolitischen Zeit anch noch andre An¬
wendungen hätten gemacht werden können. Daß kein Volk auf die Dauer mit
Gewalt allein andre Völker beherrschen kann, daß es unsern deutschen
Methoden, andre Völker zu beherrschen, vielfach an der ruhigen Sanftmut
gebricht, die uicht der Ausdruck der Schwäche, sondern der größten Sicherheit
des Willens und der vollsten Selbstbeherrschuiug ist, das wären sehr zeitgemäße


Briefe eines Zurückgekehrten

der Tychekultns mehr und mehr zur eiteln Selbstanbetung. Die eleusinischen
Mysterien dürften zuletzt die einzige Gelegenheit gewesen sein, bei der sich die
Gelehrten und das Volk im Anschauen von Symbolen, die auf ein besseres
Jenseits hinwiesen, eins zu fühlen vermochten. - Die griechische Religion,
dürfen nur rückblickend sagen, entstand durch Absonderung aus der arischen
Naturreligion und erfaßte frühzeitig das geistige, vernünftige und sittliche
West» der Gottheit. Zur vollkommnen Gottesidee durchzudringen wurde sie
gehindert durch die Erinnerung an ihren naturalistischen Ursprung und durch
die allzuweit durchgeführte Vermenschlichung und Individualisierung der Gott¬
heiten. Das edle und reiche Gemüt der Hellenen, das alle Blüten echten
höhern Menschentums erzeugte, schmückte damit anch ihre Gottheit und legte
bei fortschreitender Denkarbeit in deren Wesen und Walten alles, was der
christliche Katechismus hineinlegt, aber da es keine religiöse Autorität und
keinen von einer solchen abgefaßten Lchrtanon gab, so blieben die schönsten
und tiefsten Gedanken der Denker und Dichter Meinungen einzelner, während
die Volksreligion verwilderte und vielfach in einen sinnlosen Aberglauben
ausartete, der trotz geschmackloser Häufung von Göttergestalten, Weihungen
»ut Sühnezeremonien nicht zu gewähren vermochte, was mau suchte: das
Gefühl der Entsündigung und Erhebung über die Widerwärtigkeiten des
Erdenlebens durch den zuversichtlichen Glauben an eine vernünftige Welt¬
regierung und an die Lösung der Erdeuwirren im Jenseits. Es fragte sich
nun, ob der griechische Geist imstande sein werde, aus sich allein eine ver¬
besserte Religion zu erzeugen, in der sich das Volk und die Denker aufs neue
hätten zusammenfinden können.




Briefe eines Zurückgekehrten
8

ente hörte ich in der Universitütskirche zu N einen berühmten
Pfarrer und Professor über den Bergprcdigtsprnch predigen:
Selig sind die sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich be¬
sitzen. Es war die Rede von der Macht, die die Snnftmnt übt,
und es wurden natürlich die nächstliegenden Beispiele angezogen,
die weltüberwindende Macht des Christentums und die Macht des Weibes.
Ich dachte mir, daß in unsrer weltpolitischen Zeit anch noch andre An¬
wendungen hätten gemacht werden können. Daß kein Volk auf die Dauer mit
Gewalt allein andre Völker beherrschen kann, daß es unsern deutschen
Methoden, andre Völker zu beherrschen, vielfach an der ruhigen Sanftmut
gebricht, die uicht der Ausdruck der Schwäche, sondern der größten Sicherheit
des Willens und der vollsten Selbstbeherrschuiug ist, das wären sehr zeitgemäße


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[0597] Briefe eines Zurückgekehrten der Tychekultns mehr und mehr zur eiteln Selbstanbetung. Die eleusinischen Mysterien dürften zuletzt die einzige Gelegenheit gewesen sein, bei der sich die Gelehrten und das Volk im Anschauen von Symbolen, die auf ein besseres Jenseits hinwiesen, eins zu fühlen vermochten. - Die griechische Religion, dürfen nur rückblickend sagen, entstand durch Absonderung aus der arischen Naturreligion und erfaßte frühzeitig das geistige, vernünftige und sittliche West» der Gottheit. Zur vollkommnen Gottesidee durchzudringen wurde sie gehindert durch die Erinnerung an ihren naturalistischen Ursprung und durch die allzuweit durchgeführte Vermenschlichung und Individualisierung der Gott¬ heiten. Das edle und reiche Gemüt der Hellenen, das alle Blüten echten höhern Menschentums erzeugte, schmückte damit anch ihre Gottheit und legte bei fortschreitender Denkarbeit in deren Wesen und Walten alles, was der christliche Katechismus hineinlegt, aber da es keine religiöse Autorität und keinen von einer solchen abgefaßten Lchrtanon gab, so blieben die schönsten und tiefsten Gedanken der Denker und Dichter Meinungen einzelner, während die Volksreligion verwilderte und vielfach in einen sinnlosen Aberglauben ausartete, der trotz geschmackloser Häufung von Göttergestalten, Weihungen »ut Sühnezeremonien nicht zu gewähren vermochte, was mau suchte: das Gefühl der Entsündigung und Erhebung über die Widerwärtigkeiten des Erdenlebens durch den zuversichtlichen Glauben an eine vernünftige Welt¬ regierung und an die Lösung der Erdeuwirren im Jenseits. Es fragte sich nun, ob der griechische Geist imstande sein werde, aus sich allein eine ver¬ besserte Religion zu erzeugen, in der sich das Volk und die Denker aufs neue hätten zusammenfinden können. Briefe eines Zurückgekehrten 8 ente hörte ich in der Universitütskirche zu N einen berühmten Pfarrer und Professor über den Bergprcdigtsprnch predigen: Selig sind die sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich be¬ sitzen. Es war die Rede von der Macht, die die Snnftmnt übt, und es wurden natürlich die nächstliegenden Beispiele angezogen, die weltüberwindende Macht des Christentums und die Macht des Weibes. Ich dachte mir, daß in unsrer weltpolitischen Zeit anch noch andre An¬ wendungen hätten gemacht werden können. Daß kein Volk auf die Dauer mit Gewalt allein andre Völker beherrschen kann, daß es unsern deutschen Methoden, andre Völker zu beherrschen, vielfach an der ruhigen Sanftmut gebricht, die uicht der Ausdruck der Schwäche, sondern der größten Sicherheit des Willens und der vollsten Selbstbeherrschuiug ist, das wären sehr zeitgemäße

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/597>, abgerufen am 27.07.2024.