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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Hellenentum und Christentum

Georgs III. hinterließen nur drei ebenbürtige Nachkommenschaft; aber es liegt
keine Veranlassung vor, schwarz zu sehen. Fürs erste ist die Thronfolge in
gerader männlicher Linie als gesichert anzusehen. Für eine Stärkung des
englischen Königtums ist jedenfalls ein langer unnnterbrochner Mmmesstamm
sehr zu wünschen, und andre Völker können sich diesem Wunsche von ganzem
Herzen anschließen. Ein starkes Königtum in England ist eine weit bessere
Gewähr des Weltfriedens als ein schwaches, unter dem ein von einem Kapi¬
talistenringe gestützter Parteipvlitikcr den Staatsmann spielen und ungestraft
Gut und Blut und Ehre des Landes in wilden Abenteuern vergeuden darf.




Hellenentum und (Lhristentum
2. Die nachhomerische Religion

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§M>le homerischen Gedichte sind wegen ihres geringen Umfangs ein
leicht zu bewältigender Stoff; man bedarf keiner Gelehrsamkeit
dazu, zu ermitteln, welchen Aufschluß sie über die Kulturzustände
und Gedankenkreise der Heroenzeit gewähren, ich habe deshalb
!Nügelsbachs Homerische Theologie ungelesen gelassen, obwohl mir
das gleich zu nennende andre Werk dieses Gelehrten dnrch wertvolle Finger¬
zeige genutzt hat. Aber wenn man ein richtiges und zuverlässiges Urteil über
die nachhomerische Religion der Griechen gewinnen will, muß man die ganze
griechische Litteratur beherrschen. Dn ich das nicht erreichen kann, mußte ich
zu den Werken von Fachgelehrten meine Zuflucht nehmen und habe Jakob
Burckhardts Griechische Kulturgeschichte^) und Nügelsbachs nachhomerische
Theologie gelesen. Beide haben meine aus einer kleinen Auswahl von Werken
der Alten gewonnene Ansicht zwar in untergeordneten Einzelheiten berichtigt,
im großen und ganzen aber bestätigt und durch reichliche Ergänzung ihrer
mangelhaften Grundlagen befestigt; namentlich der ungeheuern Fülle von Beleg¬
stellen, die Nägelsbach gesammelt hat, habe ich dies zu verdanken.

Homer offenbart sein Dichtergeuie n. a. auch darin, daß er unter den
Volksgöttern eine Auswahl getroffen hat, sodnß der Leser nicht durch eine
übermäßige Menge von Namen und Gestalten verwirrt wird, sondern es nur
mit einer ziemlich übersichtlichen Gesellschaft zu thun hat. Denn die unzähligen
Namen, die uns in der Theogonie begegnen, hat Hesiod gewiß nicht erfunden;
wenn auch er als Götterschöpfer genannt wird, so bezieht sich das doch wohl
nur ans die genealogische Anordnung der dem Volke längst vertrauten Ge-



*) Burckhardt soll die Veröffentlichung der unter diesem Titel von seinem Neffen heraus¬
gegebnen Studien durch letztwillige Verfügung verboten haben, weil er sie für unreif hielt; ihren
Wert als Scmunlung von Quellenstosf beeinträchtigt die Unfertigkeit nicht.
Hellenentum und Christentum

Georgs III. hinterließen nur drei ebenbürtige Nachkommenschaft; aber es liegt
keine Veranlassung vor, schwarz zu sehen. Fürs erste ist die Thronfolge in
gerader männlicher Linie als gesichert anzusehen. Für eine Stärkung des
englischen Königtums ist jedenfalls ein langer unnnterbrochner Mmmesstamm
sehr zu wünschen, und andre Völker können sich diesem Wunsche von ganzem
Herzen anschließen. Ein starkes Königtum in England ist eine weit bessere
Gewähr des Weltfriedens als ein schwaches, unter dem ein von einem Kapi¬
talistenringe gestützter Parteipvlitikcr den Staatsmann spielen und ungestraft
Gut und Blut und Ehre des Landes in wilden Abenteuern vergeuden darf.




Hellenentum und (Lhristentum
2. Die nachhomerische Religion

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§M>le homerischen Gedichte sind wegen ihres geringen Umfangs ein
leicht zu bewältigender Stoff; man bedarf keiner Gelehrsamkeit
dazu, zu ermitteln, welchen Aufschluß sie über die Kulturzustände
und Gedankenkreise der Heroenzeit gewähren, ich habe deshalb
!Nügelsbachs Homerische Theologie ungelesen gelassen, obwohl mir
das gleich zu nennende andre Werk dieses Gelehrten dnrch wertvolle Finger¬
zeige genutzt hat. Aber wenn man ein richtiges und zuverlässiges Urteil über
die nachhomerische Religion der Griechen gewinnen will, muß man die ganze
griechische Litteratur beherrschen. Dn ich das nicht erreichen kann, mußte ich
zu den Werken von Fachgelehrten meine Zuflucht nehmen und habe Jakob
Burckhardts Griechische Kulturgeschichte^) und Nügelsbachs nachhomerische
Theologie gelesen. Beide haben meine aus einer kleinen Auswahl von Werken
der Alten gewonnene Ansicht zwar in untergeordneten Einzelheiten berichtigt,
im großen und ganzen aber bestätigt und durch reichliche Ergänzung ihrer
mangelhaften Grundlagen befestigt; namentlich der ungeheuern Fülle von Beleg¬
stellen, die Nägelsbach gesammelt hat, habe ich dies zu verdanken.

Homer offenbart sein Dichtergeuie n. a. auch darin, daß er unter den
Volksgöttern eine Auswahl getroffen hat, sodnß der Leser nicht durch eine
übermäßige Menge von Namen und Gestalten verwirrt wird, sondern es nur
mit einer ziemlich übersichtlichen Gesellschaft zu thun hat. Denn die unzähligen
Namen, die uns in der Theogonie begegnen, hat Hesiod gewiß nicht erfunden;
wenn auch er als Götterschöpfer genannt wird, so bezieht sich das doch wohl
nur ans die genealogische Anordnung der dem Volke längst vertrauten Ge-



*) Burckhardt soll die Veröffentlichung der unter diesem Titel von seinem Neffen heraus¬
gegebnen Studien durch letztwillige Verfügung verboten haben, weil er sie für unreif hielt; ihren
Wert als Scmunlung von Quellenstosf beeinträchtigt die Unfertigkeit nicht.
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[0542] Hellenentum und Christentum Georgs III. hinterließen nur drei ebenbürtige Nachkommenschaft; aber es liegt keine Veranlassung vor, schwarz zu sehen. Fürs erste ist die Thronfolge in gerader männlicher Linie als gesichert anzusehen. Für eine Stärkung des englischen Königtums ist jedenfalls ein langer unnnterbrochner Mmmesstamm sehr zu wünschen, und andre Völker können sich diesem Wunsche von ganzem Herzen anschließen. Ein starkes Königtum in England ist eine weit bessere Gewähr des Weltfriedens als ein schwaches, unter dem ein von einem Kapi¬ talistenringe gestützter Parteipvlitikcr den Staatsmann spielen und ungestraft Gut und Blut und Ehre des Landes in wilden Abenteuern vergeuden darf. Hellenentum und (Lhristentum 2. Die nachhomerische Religion /'^Z^ §M>le homerischen Gedichte sind wegen ihres geringen Umfangs ein leicht zu bewältigender Stoff; man bedarf keiner Gelehrsamkeit dazu, zu ermitteln, welchen Aufschluß sie über die Kulturzustände und Gedankenkreise der Heroenzeit gewähren, ich habe deshalb !Nügelsbachs Homerische Theologie ungelesen gelassen, obwohl mir das gleich zu nennende andre Werk dieses Gelehrten dnrch wertvolle Finger¬ zeige genutzt hat. Aber wenn man ein richtiges und zuverlässiges Urteil über die nachhomerische Religion der Griechen gewinnen will, muß man die ganze griechische Litteratur beherrschen. Dn ich das nicht erreichen kann, mußte ich zu den Werken von Fachgelehrten meine Zuflucht nehmen und habe Jakob Burckhardts Griechische Kulturgeschichte^) und Nügelsbachs nachhomerische Theologie gelesen. Beide haben meine aus einer kleinen Auswahl von Werken der Alten gewonnene Ansicht zwar in untergeordneten Einzelheiten berichtigt, im großen und ganzen aber bestätigt und durch reichliche Ergänzung ihrer mangelhaften Grundlagen befestigt; namentlich der ungeheuern Fülle von Beleg¬ stellen, die Nägelsbach gesammelt hat, habe ich dies zu verdanken. Homer offenbart sein Dichtergeuie n. a. auch darin, daß er unter den Volksgöttern eine Auswahl getroffen hat, sodnß der Leser nicht durch eine übermäßige Menge von Namen und Gestalten verwirrt wird, sondern es nur mit einer ziemlich übersichtlichen Gesellschaft zu thun hat. Denn die unzähligen Namen, die uns in der Theogonie begegnen, hat Hesiod gewiß nicht erfunden; wenn auch er als Götterschöpfer genannt wird, so bezieht sich das doch wohl nur ans die genealogische Anordnung der dem Volke längst vertrauten Ge- *) Burckhardt soll die Veröffentlichung der unter diesem Titel von seinem Neffen heraus¬ gegebnen Studien durch letztwillige Verfügung verboten haben, weil er sie für unreif hielt; ihren Wert als Scmunlung von Quellenstosf beeinträchtigt die Unfertigkeit nicht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/542>, abgerufen am 01.09.2024.