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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Das Reich und das Reichsland

sucht, daß sie das Haus der Hohenzollern als landesherrliches Haus bei¬
behalten, aber die Regierungsgewalt nicht dem Kaiser persönlich, sondern
einem andern Prinzen seines Hauses übertragen wallen. Insbesondre ist in
den siebziger Jahren der Gedanke vielfach erwogen worden, dem damaligen
Kronprinzen und spätern Kaiser Friedrich die Würde eines Erbstatthalters im
Reichsland zu verschaffen. Nach den Enthüllungen, die Poschinger im August¬
heft der "Deutschen Revue" von 1894 gemacht hat, soll auch Fürst Bismarck
längere Zeit den Plan verfolgt haben, aus Elsaß-Lothringen ein deutsches
Dauphine zu machen. Der Reichskanzler soll anch vergeblich versucht haben,
den elsässischen Reichstagsabgeordneten Schneegans zu veranlassen, die Initiative
zur Errichtung eines "Kronprinzenlands" zu ergreifen. Das Projekt eines
Kronprinzenlands soll vollständig fertig gewesen und nur an dein unerwarteten
Umstände gescheitert sein, daß der Kronprinz infolge des Attentats vom 2. Juni
1878 die Stellvertretung des Kaisers in Berlin übernehmen mußte.

Ob diese Angaben vollkommen zuverlässig sind, läßt sich vorläufig nicht
beurteilen. Fest steht jedenfalls, daß Kaiser Wilhelm I. ein Gegner des ganzen
Projekts gewesen ist. Er hat dem Oberprüsidenten von Ernsthausen -- wie
dieser in seinen "Erinnerungen eines preußischen Beamten" erzählt -- im
Frühjahr 1879 erklärt, der jedesmalige Kronprinz müsse in der Nähe des
Thrones leben, und die Prinzen seines Hauses müßten in den preußischen
Traditionen aufwachsen. Es ist klar, daß diese Erwägungen heute noch die¬
selbe Bedeutung haben wie vor zweiundzwanzig Jahren. Als eine Schatten¬
seite des Kronprinzenlands muß ferner hervorgehoben werden, daß die Regie¬
rungsgewalt einem Prinzen übertragen würde, der in der Regel in jüngeren
Alter stünde und in manchen Fällen nicht einmal großjährig sein würde. Der
ganze Plan war offenbar mit Rücksicht auf die Person des Kronprinzen
Friedrich Wilhelm entworfen und ist seit dem Jahre 1879 nicht wieder auf¬
genommen worden.


Der von dem Abgeordneten Riff gemachte Vorschlag läßt die Exekutiv¬
gewalt, die der Kaiser gegenwärtig im Reichsland hat, vollständig unberührt.
Der Vorschlag hat dagegen eine Reform der gesetzgebenden Gewalt und zwar
in doppelter Beziehung zum Zweck: erstens eine Reform der gesetzgebenden
Gewalt durch Schaffung eines Oberhauses, sowie durch die Erweiterung der
Rechte des Kaisers und des Landesausschusses auf Kosten des Bundesrath
und des Reichstags, und zweitens eine Reform der gesetzgebenden Gewalt im
Reiche dnrch eine Veränderung der Stimmenzahl im Bundesrat, sowie durch
die Einräumung von Stimmen an den neuen Vundesstaat.

Bei der Ausführung der Vorschlüge des Abgeordneten Riff würde zwar
nicht formell aber materiell eine Personalunion zwischen Elsaß-Lothringen und
Preußen eintreten. Diese Personalunion hätte den Vorteil, daß die Bedenken,
die früher gegen die Einsetzung einer selbständigen Dynastie geltend gemacht
worden sind -- die finanzielle Mehrbelastung des Landes und die Schädigung


Das Reich und das Reichsland

sucht, daß sie das Haus der Hohenzollern als landesherrliches Haus bei¬
behalten, aber die Regierungsgewalt nicht dem Kaiser persönlich, sondern
einem andern Prinzen seines Hauses übertragen wallen. Insbesondre ist in
den siebziger Jahren der Gedanke vielfach erwogen worden, dem damaligen
Kronprinzen und spätern Kaiser Friedrich die Würde eines Erbstatthalters im
Reichsland zu verschaffen. Nach den Enthüllungen, die Poschinger im August¬
heft der „Deutschen Revue" von 1894 gemacht hat, soll auch Fürst Bismarck
längere Zeit den Plan verfolgt haben, aus Elsaß-Lothringen ein deutsches
Dauphine zu machen. Der Reichskanzler soll anch vergeblich versucht haben,
den elsässischen Reichstagsabgeordneten Schneegans zu veranlassen, die Initiative
zur Errichtung eines „Kronprinzenlands" zu ergreifen. Das Projekt eines
Kronprinzenlands soll vollständig fertig gewesen und nur an dein unerwarteten
Umstände gescheitert sein, daß der Kronprinz infolge des Attentats vom 2. Juni
1878 die Stellvertretung des Kaisers in Berlin übernehmen mußte.

Ob diese Angaben vollkommen zuverlässig sind, läßt sich vorläufig nicht
beurteilen. Fest steht jedenfalls, daß Kaiser Wilhelm I. ein Gegner des ganzen
Projekts gewesen ist. Er hat dem Oberprüsidenten von Ernsthausen — wie
dieser in seinen „Erinnerungen eines preußischen Beamten" erzählt — im
Frühjahr 1879 erklärt, der jedesmalige Kronprinz müsse in der Nähe des
Thrones leben, und die Prinzen seines Hauses müßten in den preußischen
Traditionen aufwachsen. Es ist klar, daß diese Erwägungen heute noch die¬
selbe Bedeutung haben wie vor zweiundzwanzig Jahren. Als eine Schatten¬
seite des Kronprinzenlands muß ferner hervorgehoben werden, daß die Regie¬
rungsgewalt einem Prinzen übertragen würde, der in der Regel in jüngeren
Alter stünde und in manchen Fällen nicht einmal großjährig sein würde. Der
ganze Plan war offenbar mit Rücksicht auf die Person des Kronprinzen
Friedrich Wilhelm entworfen und ist seit dem Jahre 1879 nicht wieder auf¬
genommen worden.


Der von dem Abgeordneten Riff gemachte Vorschlag läßt die Exekutiv¬
gewalt, die der Kaiser gegenwärtig im Reichsland hat, vollständig unberührt.
Der Vorschlag hat dagegen eine Reform der gesetzgebenden Gewalt und zwar
in doppelter Beziehung zum Zweck: erstens eine Reform der gesetzgebenden
Gewalt durch Schaffung eines Oberhauses, sowie durch die Erweiterung der
Rechte des Kaisers und des Landesausschusses auf Kosten des Bundesrath
und des Reichstags, und zweitens eine Reform der gesetzgebenden Gewalt im
Reiche dnrch eine Veränderung der Stimmenzahl im Bundesrat, sowie durch
die Einräumung von Stimmen an den neuen Vundesstaat.

Bei der Ausführung der Vorschlüge des Abgeordneten Riff würde zwar
nicht formell aber materiell eine Personalunion zwischen Elsaß-Lothringen und
Preußen eintreten. Diese Personalunion hätte den Vorteil, daß die Bedenken,
die früher gegen die Einsetzung einer selbständigen Dynastie geltend gemacht
worden sind — die finanzielle Mehrbelastung des Landes und die Schädigung


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[0282] Das Reich und das Reichsland sucht, daß sie das Haus der Hohenzollern als landesherrliches Haus bei¬ behalten, aber die Regierungsgewalt nicht dem Kaiser persönlich, sondern einem andern Prinzen seines Hauses übertragen wallen. Insbesondre ist in den siebziger Jahren der Gedanke vielfach erwogen worden, dem damaligen Kronprinzen und spätern Kaiser Friedrich die Würde eines Erbstatthalters im Reichsland zu verschaffen. Nach den Enthüllungen, die Poschinger im August¬ heft der „Deutschen Revue" von 1894 gemacht hat, soll auch Fürst Bismarck längere Zeit den Plan verfolgt haben, aus Elsaß-Lothringen ein deutsches Dauphine zu machen. Der Reichskanzler soll anch vergeblich versucht haben, den elsässischen Reichstagsabgeordneten Schneegans zu veranlassen, die Initiative zur Errichtung eines „Kronprinzenlands" zu ergreifen. Das Projekt eines Kronprinzenlands soll vollständig fertig gewesen und nur an dein unerwarteten Umstände gescheitert sein, daß der Kronprinz infolge des Attentats vom 2. Juni 1878 die Stellvertretung des Kaisers in Berlin übernehmen mußte. Ob diese Angaben vollkommen zuverlässig sind, läßt sich vorläufig nicht beurteilen. Fest steht jedenfalls, daß Kaiser Wilhelm I. ein Gegner des ganzen Projekts gewesen ist. Er hat dem Oberprüsidenten von Ernsthausen — wie dieser in seinen „Erinnerungen eines preußischen Beamten" erzählt — im Frühjahr 1879 erklärt, der jedesmalige Kronprinz müsse in der Nähe des Thrones leben, und die Prinzen seines Hauses müßten in den preußischen Traditionen aufwachsen. Es ist klar, daß diese Erwägungen heute noch die¬ selbe Bedeutung haben wie vor zweiundzwanzig Jahren. Als eine Schatten¬ seite des Kronprinzenlands muß ferner hervorgehoben werden, daß die Regie¬ rungsgewalt einem Prinzen übertragen würde, der in der Regel in jüngeren Alter stünde und in manchen Fällen nicht einmal großjährig sein würde. Der ganze Plan war offenbar mit Rücksicht auf die Person des Kronprinzen Friedrich Wilhelm entworfen und ist seit dem Jahre 1879 nicht wieder auf¬ genommen worden. Der von dem Abgeordneten Riff gemachte Vorschlag läßt die Exekutiv¬ gewalt, die der Kaiser gegenwärtig im Reichsland hat, vollständig unberührt. Der Vorschlag hat dagegen eine Reform der gesetzgebenden Gewalt und zwar in doppelter Beziehung zum Zweck: erstens eine Reform der gesetzgebenden Gewalt durch Schaffung eines Oberhauses, sowie durch die Erweiterung der Rechte des Kaisers und des Landesausschusses auf Kosten des Bundesrath und des Reichstags, und zweitens eine Reform der gesetzgebenden Gewalt im Reiche dnrch eine Veränderung der Stimmenzahl im Bundesrat, sowie durch die Einräumung von Stimmen an den neuen Vundesstaat. Bei der Ausführung der Vorschlüge des Abgeordneten Riff würde zwar nicht formell aber materiell eine Personalunion zwischen Elsaß-Lothringen und Preußen eintreten. Diese Personalunion hätte den Vorteil, daß die Bedenken, die früher gegen die Einsetzung einer selbständigen Dynastie geltend gemacht worden sind — die finanzielle Mehrbelastung des Landes und die Schädigung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/282>, abgerufen am 13.11.2024.