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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Die heilige Neun.

In der Abhandlung "Die mystische Neunzahl bei den
Deutschen" (Abhandlungen der Berliner Akademie der Wissenschaften 1897) hat der
jüngst verstorbne Altmeister auf dem Gebiete der deutschen Altertumswissenschaft,
K. Weinhold, den Beweis geliefert, daß nicht nur die Germanen, sondern auch
andre Volker namentlich arischen Stammes neben der Dreizahl auch deren Quadrat,
die Neun, heilig gehalten haben. Erst nach der Einführung des Christentums ist
sie durch die semitische Sieben beschränkt worden, wie sie in einzelnen Fällen auch
der christlichen Zehn weichen mußte. An Weinhvlds Abhandlung hat vor kurzem
Heinrich Meyer Benfey in seinem Aufsatz Von der Siebenzahl (Beilage zur All¬
gemeinen Zeitung, 1900, Ur. 256 und 257) angeknüpft.

Es ist ein reiches Material, das Weinhold gesammelt und zusammengestellt hat,
und die daran gewandte Mühe ist um so größer, als die Belege keineswegs offen
daliegen, sondern in der Litteratur der ältern und der neuern Zeiten, in den
Bräuchen, dem Glnnben, oder besser gesagt Aberglauben, den mündlichen Über¬
lieferungen des Landvolks meistenteils tief versteckt sind. Leichter findet man die
Zeugnisse für die Auffassung der nordischen Völker. Bei der Durchsicht der Edda¬
lieder stößt mau bald auf Stellen, ans denen die Schätzung der Nennzahl deutlich
wird, in dem Register der Simrockschen Edda, die wohl immer noch die am
meisten verbreitete ist, sind unter dem Worte Neun mehrere Beispiele angeführt.
Nun liest man in einem isländischen Bericht über die Eröffnung des diesjährigen
Landesthings (Zeitung IsaMci Ur. 44) folgenden Satz- lin tliingmonn Llano upp
c>A bröpnclu: I^snAi ut XiisMu KonuvAur dium Murai oval nilöläu dnrra,. Das
heißt: Aber die Abgeordneten erhoben sich und riefen: Lange lebe König Christian IX.
mit neunmaligem Hurra. Danach zu urteilen ruft an" auf Island nicht dreimal,
wie sonst überall, sondern neunmal Hurra. Das ist jedenfalls anch ein Überbleibsel
der alten Schätzung der Neunzahl, denn auf die Neun im Titel des jetzt gerade
regierenden Königs wird man doch die neunmalige Ovation nicht zu beziehn haben.
Übrigens wird man dabei auch lebhaft an die neuerdings so viel besprochnen neun¬
F. U. maligen Komplimente der Chinesen erinnert.


Wie gehts?

"Guten Morgen! Wie gehts?" so rufst du deinen Freund
Mnyer um, der dir in der Königsstraße begegnet, und schüttelst ihm etwa mit
einer Verneigung und lächelnder Miene die Hand. "Wie gehts Ihnen?" -- also
das soll doch wohl heißen: "Wie haben Sie heute nacht geschlafen? Was ist
Ihnen heute morgen schon für ein Glück oder lieber Unglück begegnet? Er¬
freuen Sie sich zur Stunde noch der Nüchternheit? Desgleichen einer ungestörten
Verdauung? Wie? oder sollten Sie zur Abwechslung an dem und dem leiden?
oder an Herzklopfen, das zu so bösen Zufallen führt? oder an Kopfweh, das so
oft vom Herzklopfen kommt, öfter aber davon, daß man herzlos arbeitet, lebt, ge¬
nießt? Oder ist es ein Übel weiter drin oder weiter außen: Menschenhaß? Leute¬
scheu? Mangelnde Kundschaft? Lauuischer Prinzipal? Drohender Prozeß? Häus¬
licher Zwist? Mißratende Kinder? Böse Nachbarn? Peinliche Zeitung? Anonyme
Briefe?" -- Mindestens dies und noch vieles andre ist der Inhalt deiner Frage
"Wie gehts"; und dn verlangst in der kurzen Frist, während du deines Mnyer
Hand wieder losläßt und einem Kollegen, der hinter dir vorbeistreift, zuwinkst, und
vor der Dame, die auf der andern Seite der Straße einherfregattet, den Hut tief
ziehst, um dann mit einem Blick auf deine Uhr dich zu empfehlen, weil du keine
Minute übrig habest, keine Sekunde - in diesem kurzen Augenblick verlangst du
eine Antwort auf alle diese Fragen, was dasselbe ist, als daß er, Mayer, schon
vor seinem Einschwenken von Haus auf die Straße seineu Spruch abschnurren ge¬
lernt habe, heute so, morgen anders, um nicht von der Wucht der plötzlichen Frage
"Wie gehts?" überwältigt zu werden. -- Mensch! bedenke die Zumutung! --


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Die heilige Neun.

In der Abhandlung „Die mystische Neunzahl bei den
Deutschen" (Abhandlungen der Berliner Akademie der Wissenschaften 1897) hat der
jüngst verstorbne Altmeister auf dem Gebiete der deutschen Altertumswissenschaft,
K. Weinhold, den Beweis geliefert, daß nicht nur die Germanen, sondern auch
andre Volker namentlich arischen Stammes neben der Dreizahl auch deren Quadrat,
die Neun, heilig gehalten haben. Erst nach der Einführung des Christentums ist
sie durch die semitische Sieben beschränkt worden, wie sie in einzelnen Fällen auch
der christlichen Zehn weichen mußte. An Weinhvlds Abhandlung hat vor kurzem
Heinrich Meyer Benfey in seinem Aufsatz Von der Siebenzahl (Beilage zur All¬
gemeinen Zeitung, 1900, Ur. 256 und 257) angeknüpft.

Es ist ein reiches Material, das Weinhold gesammelt und zusammengestellt hat,
und die daran gewandte Mühe ist um so größer, als die Belege keineswegs offen
daliegen, sondern in der Litteratur der ältern und der neuern Zeiten, in den
Bräuchen, dem Glnnben, oder besser gesagt Aberglauben, den mündlichen Über¬
lieferungen des Landvolks meistenteils tief versteckt sind. Leichter findet man die
Zeugnisse für die Auffassung der nordischen Völker. Bei der Durchsicht der Edda¬
lieder stößt mau bald auf Stellen, ans denen die Schätzung der Nennzahl deutlich
wird, in dem Register der Simrockschen Edda, die wohl immer noch die am
meisten verbreitete ist, sind unter dem Worte Neun mehrere Beispiele angeführt.
Nun liest man in einem isländischen Bericht über die Eröffnung des diesjährigen
Landesthings (Zeitung IsaMci Ur. 44) folgenden Satz- lin tliingmonn Llano upp
c>A bröpnclu: I^snAi ut XiisMu KonuvAur dium Murai oval nilöläu dnrra,. Das
heißt: Aber die Abgeordneten erhoben sich und riefen: Lange lebe König Christian IX.
mit neunmaligem Hurra. Danach zu urteilen ruft an» auf Island nicht dreimal,
wie sonst überall, sondern neunmal Hurra. Das ist jedenfalls anch ein Überbleibsel
der alten Schätzung der Neunzahl, denn auf die Neun im Titel des jetzt gerade
regierenden Königs wird man doch die neunmalige Ovation nicht zu beziehn haben.
Übrigens wird man dabei auch lebhaft an die neuerdings so viel besprochnen neun¬
F. U. maligen Komplimente der Chinesen erinnert.


Wie gehts?

„Guten Morgen! Wie gehts?" so rufst du deinen Freund
Mnyer um, der dir in der Königsstraße begegnet, und schüttelst ihm etwa mit
einer Verneigung und lächelnder Miene die Hand. „Wie gehts Ihnen?" — also
das soll doch wohl heißen: „Wie haben Sie heute nacht geschlafen? Was ist
Ihnen heute morgen schon für ein Glück oder lieber Unglück begegnet? Er¬
freuen Sie sich zur Stunde noch der Nüchternheit? Desgleichen einer ungestörten
Verdauung? Wie? oder sollten Sie zur Abwechslung an dem und dem leiden?
oder an Herzklopfen, das zu so bösen Zufallen führt? oder an Kopfweh, das so
oft vom Herzklopfen kommt, öfter aber davon, daß man herzlos arbeitet, lebt, ge¬
nießt? Oder ist es ein Übel weiter drin oder weiter außen: Menschenhaß? Leute¬
scheu? Mangelnde Kundschaft? Lauuischer Prinzipal? Drohender Prozeß? Häus¬
licher Zwist? Mißratende Kinder? Böse Nachbarn? Peinliche Zeitung? Anonyme
Briefe?" — Mindestens dies und noch vieles andre ist der Inhalt deiner Frage
„Wie gehts"; und dn verlangst in der kurzen Frist, während du deines Mnyer
Hand wieder losläßt und einem Kollegen, der hinter dir vorbeistreift, zuwinkst, und
vor der Dame, die auf der andern Seite der Straße einherfregattet, den Hut tief
ziehst, um dann mit einem Blick auf deine Uhr dich zu empfehlen, weil du keine
Minute übrig habest, keine Sekunde - in diesem kurzen Augenblick verlangst du
eine Antwort auf alle diese Fragen, was dasselbe ist, als daß er, Mayer, schon
vor seinem Einschwenken von Haus auf die Straße seineu Spruch abschnurren ge¬
lernt habe, heute so, morgen anders, um nicht von der Wucht der plötzlichen Frage
„Wie gehts?" überwältigt zu werden. — Mensch! bedenke die Zumutung! —


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[0166] Maßgebliches und Unmaßgebliches Die heilige Neun. In der Abhandlung „Die mystische Neunzahl bei den Deutschen" (Abhandlungen der Berliner Akademie der Wissenschaften 1897) hat der jüngst verstorbne Altmeister auf dem Gebiete der deutschen Altertumswissenschaft, K. Weinhold, den Beweis geliefert, daß nicht nur die Germanen, sondern auch andre Volker namentlich arischen Stammes neben der Dreizahl auch deren Quadrat, die Neun, heilig gehalten haben. Erst nach der Einführung des Christentums ist sie durch die semitische Sieben beschränkt worden, wie sie in einzelnen Fällen auch der christlichen Zehn weichen mußte. An Weinhvlds Abhandlung hat vor kurzem Heinrich Meyer Benfey in seinem Aufsatz Von der Siebenzahl (Beilage zur All¬ gemeinen Zeitung, 1900, Ur. 256 und 257) angeknüpft. Es ist ein reiches Material, das Weinhold gesammelt und zusammengestellt hat, und die daran gewandte Mühe ist um so größer, als die Belege keineswegs offen daliegen, sondern in der Litteratur der ältern und der neuern Zeiten, in den Bräuchen, dem Glnnben, oder besser gesagt Aberglauben, den mündlichen Über¬ lieferungen des Landvolks meistenteils tief versteckt sind. Leichter findet man die Zeugnisse für die Auffassung der nordischen Völker. Bei der Durchsicht der Edda¬ lieder stößt mau bald auf Stellen, ans denen die Schätzung der Nennzahl deutlich wird, in dem Register der Simrockschen Edda, die wohl immer noch die am meisten verbreitete ist, sind unter dem Worte Neun mehrere Beispiele angeführt. Nun liest man in einem isländischen Bericht über die Eröffnung des diesjährigen Landesthings (Zeitung IsaMci Ur. 44) folgenden Satz- lin tliingmonn Llano upp c>A bröpnclu: I^snAi ut XiisMu KonuvAur dium Murai oval nilöläu dnrra,. Das heißt: Aber die Abgeordneten erhoben sich und riefen: Lange lebe König Christian IX. mit neunmaligem Hurra. Danach zu urteilen ruft an» auf Island nicht dreimal, wie sonst überall, sondern neunmal Hurra. Das ist jedenfalls anch ein Überbleibsel der alten Schätzung der Neunzahl, denn auf die Neun im Titel des jetzt gerade regierenden Königs wird man doch die neunmalige Ovation nicht zu beziehn haben. Übrigens wird man dabei auch lebhaft an die neuerdings so viel besprochnen neun¬ F. U. maligen Komplimente der Chinesen erinnert. Wie gehts? „Guten Morgen! Wie gehts?" so rufst du deinen Freund Mnyer um, der dir in der Königsstraße begegnet, und schüttelst ihm etwa mit einer Verneigung und lächelnder Miene die Hand. „Wie gehts Ihnen?" — also das soll doch wohl heißen: „Wie haben Sie heute nacht geschlafen? Was ist Ihnen heute morgen schon für ein Glück oder lieber Unglück begegnet? Er¬ freuen Sie sich zur Stunde noch der Nüchternheit? Desgleichen einer ungestörten Verdauung? Wie? oder sollten Sie zur Abwechslung an dem und dem leiden? oder an Herzklopfen, das zu so bösen Zufallen führt? oder an Kopfweh, das so oft vom Herzklopfen kommt, öfter aber davon, daß man herzlos arbeitet, lebt, ge¬ nießt? Oder ist es ein Übel weiter drin oder weiter außen: Menschenhaß? Leute¬ scheu? Mangelnde Kundschaft? Lauuischer Prinzipal? Drohender Prozeß? Häus¬ licher Zwist? Mißratende Kinder? Böse Nachbarn? Peinliche Zeitung? Anonyme Briefe?" — Mindestens dies und noch vieles andre ist der Inhalt deiner Frage „Wie gehts"; und dn verlangst in der kurzen Frist, während du deines Mnyer Hand wieder losläßt und einem Kollegen, der hinter dir vorbeistreift, zuwinkst, und vor der Dame, die auf der andern Seite der Straße einherfregattet, den Hut tief ziehst, um dann mit einem Blick auf deine Uhr dich zu empfehlen, weil du keine Minute übrig habest, keine Sekunde - in diesem kurzen Augenblick verlangst du eine Antwort auf alle diese Fragen, was dasselbe ist, als daß er, Mayer, schon vor seinem Einschwenken von Haus auf die Straße seineu Spruch abschnurren ge¬ lernt habe, heute so, morgen anders, um nicht von der Wucht der plötzlichen Frage „Wie gehts?" überwältigt zu werden. — Mensch! bedenke die Zumutung! —

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/166>, abgerufen am 13.11.2024.