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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgcl'liebes

Was is, Loisl? fragte die Kellnerin aus der Hausthür, als der Bursch
herankam.

Er blieb einen Augenblick stehn, vom Regen triefend. Dem Joseph Habens
eins nanfgeschossen -- droben in der Wimbach hat er gelegen -- der Maxl solls
than habn -- jetzt bringens ihn herauf, und i muß ins Haus hinauf, daß alles
gerichtet wird -- -- er war bei den letzten Worten schon wieder im Lauf.

Herr du meines Lebens, o du mein Herrgottle, schrie die Kellnerin. Aus
dem Hanse nud drüben aus dem Stalle kamen alle Leute zusammengeeilt- Was is?
Was is? -- Der Maxl hat den Joseph verschossen, den eignen Bruder hat er
Verschossen! Glei werdens thu bringen!

Ausrufe des Entsetzens von allen Seiten und gespannte Blicke die Landstraße
hinunter.

El el el, hin hin hin! sagte der Geheimrat -- so ganz schlimm wird hoffent-
lich die Sache nicht sein -- der Bote hat nichts von "erschossen" gesagt --, aber bös
genug ist sie doch. Nämlich der Joseph -- daß der Schlingel das Wilder" nicht
sein lassen kann, er ist einer der verwegensten Wilddiebe, obgleich er ein wohl¬
habender Bauer ist, und sicher ist das Unglück beim Wildern geschehn -- der Joseph
ist nämlich der Traudel ihr Zukünftiger, und der Maxl -- aber ich kanns nicht
glauben, daß ers wirklich gewesen ist -- ist sein Halbbruder, einer der Forst-
gchilfen. Es ist übrigens ein Prachtkerl, der Joseph, ganz mein Liebling. Wenn
das die Mädel droben wüßten. El el el!

Dann kam der Zug die Straße herauf, der Förster voran. Die Männer
trugen eine aus jungen Tannenstämmen hergerichtete Bahre, auf der eine mit
einer Decke verhüllte Gestalt lag. Ein Haufen Kinder und Weiber folgte.

(Schluß folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Stadtbibliotheken.

Heft 21 der Grenzboten brachte eine ziemlich ein¬
gehende Besprechung des Buchs von E. Schultze über "Freie öffentliche Bibliotheken,
Bolksbibliotheken und Lesehallen." E. Schultze mag sehr gründliche und nützliche.
Studien über diesen Gegenstand angestellt haben, und sein Urteil mag in den
meisten Fällen zutreffen. Wenn er aber die Stadtbibliotheken des Deutschen Reichs
für ziemlich überflüssig erklärt und besonders von der Breslnuer sagt, er könne
ihren Zweck nicht ergründen, so scheint ein Wort der Verteidigung um so mehr
angezeigt, als die Angegriffnen selbst zu schweigen vvrzieh".

Zunächst ist die Breslauer Stadtbibliothek nicht eine Anstalt für sich, sondern
sie ist mit dem Stadtarchiv muss engste verbunden, sodaß sie in denselben schönen
Räumen eines eignen monumentalen Gebäudes untergebracht ist und von denselben
Beamten wie jeues verwaltet wird. Dieses Archiv birgt aber so reiche Schätze für
die politische und die Wirtschaftsgeschichte Breslaus und Ostdeutschlands seit 130U,
für die Geschichte der deutschen Sprache -- Konrad Burdach hat vor vier Jahren
einen ganzen Winter hier gearbeitet --, für die Kirchengeschichte Schlesiens, in
zahlreichen Briefbänden für die Geschichte der Reformation, daß die Stadt Breslau


Maßgebliches und Unmaßgcl'liebes

Was is, Loisl? fragte die Kellnerin aus der Hausthür, als der Bursch
herankam.

Er blieb einen Augenblick stehn, vom Regen triefend. Dem Joseph Habens
eins nanfgeschossen — droben in der Wimbach hat er gelegen — der Maxl solls
than habn — jetzt bringens ihn herauf, und i muß ins Haus hinauf, daß alles
gerichtet wird — — er war bei den letzten Worten schon wieder im Lauf.

Herr du meines Lebens, o du mein Herrgottle, schrie die Kellnerin. Aus
dem Hanse nud drüben aus dem Stalle kamen alle Leute zusammengeeilt- Was is?
Was is? — Der Maxl hat den Joseph verschossen, den eignen Bruder hat er
Verschossen! Glei werdens thu bringen!

Ausrufe des Entsetzens von allen Seiten und gespannte Blicke die Landstraße
hinunter.

El el el, hin hin hin! sagte der Geheimrat — so ganz schlimm wird hoffent-
lich die Sache nicht sein — der Bote hat nichts von „erschossen" gesagt --, aber bös
genug ist sie doch. Nämlich der Joseph — daß der Schlingel das Wilder» nicht
sein lassen kann, er ist einer der verwegensten Wilddiebe, obgleich er ein wohl¬
habender Bauer ist, und sicher ist das Unglück beim Wildern geschehn — der Joseph
ist nämlich der Traudel ihr Zukünftiger, und der Maxl — aber ich kanns nicht
glauben, daß ers wirklich gewesen ist — ist sein Halbbruder, einer der Forst-
gchilfen. Es ist übrigens ein Prachtkerl, der Joseph, ganz mein Liebling. Wenn
das die Mädel droben wüßten. El el el!

Dann kam der Zug die Straße herauf, der Förster voran. Die Männer
trugen eine aus jungen Tannenstämmen hergerichtete Bahre, auf der eine mit
einer Decke verhüllte Gestalt lag. Ein Haufen Kinder und Weiber folgte.

(Schluß folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Stadtbibliotheken.

Heft 21 der Grenzboten brachte eine ziemlich ein¬
gehende Besprechung des Buchs von E. Schultze über „Freie öffentliche Bibliotheken,
Bolksbibliotheken und Lesehallen." E. Schultze mag sehr gründliche und nützliche.
Studien über diesen Gegenstand angestellt haben, und sein Urteil mag in den
meisten Fällen zutreffen. Wenn er aber die Stadtbibliotheken des Deutschen Reichs
für ziemlich überflüssig erklärt und besonders von der Breslnuer sagt, er könne
ihren Zweck nicht ergründen, so scheint ein Wort der Verteidigung um so mehr
angezeigt, als die Angegriffnen selbst zu schweigen vvrzieh».

Zunächst ist die Breslauer Stadtbibliothek nicht eine Anstalt für sich, sondern
sie ist mit dem Stadtarchiv muss engste verbunden, sodaß sie in denselben schönen
Räumen eines eignen monumentalen Gebäudes untergebracht ist und von denselben
Beamten wie jeues verwaltet wird. Dieses Archiv birgt aber so reiche Schätze für
die politische und die Wirtschaftsgeschichte Breslaus und Ostdeutschlands seit 130U,
für die Geschichte der deutschen Sprache — Konrad Burdach hat vor vier Jahren
einen ganzen Winter hier gearbeitet —, für die Kirchengeschichte Schlesiens, in
zahlreichen Briefbänden für die Geschichte der Reformation, daß die Stadt Breslau


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[0164] Maßgebliches und Unmaßgcl'liebes Was is, Loisl? fragte die Kellnerin aus der Hausthür, als der Bursch herankam. Er blieb einen Augenblick stehn, vom Regen triefend. Dem Joseph Habens eins nanfgeschossen — droben in der Wimbach hat er gelegen — der Maxl solls than habn — jetzt bringens ihn herauf, und i muß ins Haus hinauf, daß alles gerichtet wird — — er war bei den letzten Worten schon wieder im Lauf. Herr du meines Lebens, o du mein Herrgottle, schrie die Kellnerin. Aus dem Hanse nud drüben aus dem Stalle kamen alle Leute zusammengeeilt- Was is? Was is? — Der Maxl hat den Joseph verschossen, den eignen Bruder hat er Verschossen! Glei werdens thu bringen! Ausrufe des Entsetzens von allen Seiten und gespannte Blicke die Landstraße hinunter. El el el, hin hin hin! sagte der Geheimrat — so ganz schlimm wird hoffent- lich die Sache nicht sein — der Bote hat nichts von „erschossen" gesagt --, aber bös genug ist sie doch. Nämlich der Joseph — daß der Schlingel das Wilder» nicht sein lassen kann, er ist einer der verwegensten Wilddiebe, obgleich er ein wohl¬ habender Bauer ist, und sicher ist das Unglück beim Wildern geschehn — der Joseph ist nämlich der Traudel ihr Zukünftiger, und der Maxl — aber ich kanns nicht glauben, daß ers wirklich gewesen ist — ist sein Halbbruder, einer der Forst- gchilfen. Es ist übrigens ein Prachtkerl, der Joseph, ganz mein Liebling. Wenn das die Mädel droben wüßten. El el el! Dann kam der Zug die Straße herauf, der Förster voran. Die Männer trugen eine aus jungen Tannenstämmen hergerichtete Bahre, auf der eine mit einer Decke verhüllte Gestalt lag. Ein Haufen Kinder und Weiber folgte. (Schluß folgt) Maßgebliches und Unmaßgebliches Stadtbibliotheken. Heft 21 der Grenzboten brachte eine ziemlich ein¬ gehende Besprechung des Buchs von E. Schultze über „Freie öffentliche Bibliotheken, Bolksbibliotheken und Lesehallen." E. Schultze mag sehr gründliche und nützliche. Studien über diesen Gegenstand angestellt haben, und sein Urteil mag in den meisten Fällen zutreffen. Wenn er aber die Stadtbibliotheken des Deutschen Reichs für ziemlich überflüssig erklärt und besonders von der Breslnuer sagt, er könne ihren Zweck nicht ergründen, so scheint ein Wort der Verteidigung um so mehr angezeigt, als die Angegriffnen selbst zu schweigen vvrzieh». Zunächst ist die Breslauer Stadtbibliothek nicht eine Anstalt für sich, sondern sie ist mit dem Stadtarchiv muss engste verbunden, sodaß sie in denselben schönen Räumen eines eignen monumentalen Gebäudes untergebracht ist und von denselben Beamten wie jeues verwaltet wird. Dieses Archiv birgt aber so reiche Schätze für die politische und die Wirtschaftsgeschichte Breslaus und Ostdeutschlands seit 130U, für die Geschichte der deutschen Sprache — Konrad Burdach hat vor vier Jahren einen ganzen Winter hier gearbeitet —, für die Kirchengeschichte Schlesiens, in zahlreichen Briefbänden für die Geschichte der Reformation, daß die Stadt Breslau

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/164>, abgerufen am 01.09.2024.