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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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erstanden. Wir dürfen deshalb die leise Hoffnung hegen, daß auch über Ions
Epidemien, die noch in den ersten Jahrhunderten unsrer Zeitrechnung vielfach
zitiert wurden, ein ähnliches günstiges Geschick waltet, und daß über kurz oder
laug durch einen glücklichen Fund unsre Kenntnis des ältesten Memoirenwerks
noch wesentlich wird bereichert werden.




Ein neues Buch über Walther von der Vogelweide

eit Walthers Wiedererweckung durch den geistesverwandten schwä¬
bischen Sänger hat die Forschung nicht geruht, über den trotz
Hugos von Trimberg rührender Mahnung jahrhundertelang fast
vergessenen Dichter immer helleres Licht zu verbreiten. Auf
Uhlands liebenswürdige Schilderung (1822), die ihren Wert be¬
haupten wird, folgte (1827) Landmanns wissenschaftliche Ausgabe der Gedichte,
die noch heute als Grundlage für jede ernste Beschäftigung mit dem Dichter
gelten muß. Den Spuren dieser Bahnbrecher folgten dann (1833) Karl Simrock
und Wilhelm Wackernagel, beides Dichter und Gelehrte, in treuem Vereine,
und ebneten durch eine Übersetzung mit Kommentar, ein Menschenalter später
Franz Pfeiffer (1864) und W. Wilmanns (1869) durch erläuternde Ausgaben
einem eindringenden Studium die Wege. Nachdem es im Jahre 1880 eine
besondre Schrift unternommen hatte, für die Fachgelehrten die umfangreiche
Litteratur über Walther aufzuzeichnen, faßte Wilmanns in einem gelehrten
und gediegnen Buche (Leben und Dichten Walthers von der Vogelweide, 1882)
die Ergebnisse der bisherigen Forschung zusammen, während A. E. Schönbach
mit seiner lebensvollern Darstellung (Walther von der Vogelweide. Ein Dichter¬
leben. 1890; 2. Aufl. 1895) zugleich der wachsenden Teilnahme des gebildeten
Publikums entgegenkam. Ein ganz hervorragendes Verdienst um die Erkenntnis
von Walthers dichterischer Entwicklung hat sich Konrad Burdach mit einem
Werk erworben, dessen erster Teil seit vorigem Jahre vorliegt: Walther von
der Vogelweide. Philologische und historische Forschungen. (Leipzig, Duncker
und Humblot, 1900.)

Dem schon 1896 in der Allgemeinen deutschen Biographie veröffentlichten
Lebensbilde, das nun in diesen Forschungen (S. 1 bis 118) allen Freunden
des Dichters zugänglich gemacht ist, hat Burdach eine Reihe glänzender Unter¬
suchungen (S. 125 bis 273) hinzugefügt, deren Mittel- und Schwerpunkt der
"wuchtige Appell an das politische Gewissen der Nation" ist: der berühmte,
schon vielbchandelte und an wissenschaftlichen Einzelproblemen reiche Spruch
loir tjürto <zin va-ner 6loi?"zii. Durch die ebenso grindlich-unffichtige und scharf¬
sinnige wie geiht- und geschmackvolle Erörterung erweist sich Burdach als einen


Lin neues Buch über ZVcilther von der Vozelmeide

erstanden. Wir dürfen deshalb die leise Hoffnung hegen, daß auch über Ions
Epidemien, die noch in den ersten Jahrhunderten unsrer Zeitrechnung vielfach
zitiert wurden, ein ähnliches günstiges Geschick waltet, und daß über kurz oder
laug durch einen glücklichen Fund unsre Kenntnis des ältesten Memoirenwerks
noch wesentlich wird bereichert werden.




Ein neues Buch über Walther von der Vogelweide

eit Walthers Wiedererweckung durch den geistesverwandten schwä¬
bischen Sänger hat die Forschung nicht geruht, über den trotz
Hugos von Trimberg rührender Mahnung jahrhundertelang fast
vergessenen Dichter immer helleres Licht zu verbreiten. Auf
Uhlands liebenswürdige Schilderung (1822), die ihren Wert be¬
haupten wird, folgte (1827) Landmanns wissenschaftliche Ausgabe der Gedichte,
die noch heute als Grundlage für jede ernste Beschäftigung mit dem Dichter
gelten muß. Den Spuren dieser Bahnbrecher folgten dann (1833) Karl Simrock
und Wilhelm Wackernagel, beides Dichter und Gelehrte, in treuem Vereine,
und ebneten durch eine Übersetzung mit Kommentar, ein Menschenalter später
Franz Pfeiffer (1864) und W. Wilmanns (1869) durch erläuternde Ausgaben
einem eindringenden Studium die Wege. Nachdem es im Jahre 1880 eine
besondre Schrift unternommen hatte, für die Fachgelehrten die umfangreiche
Litteratur über Walther aufzuzeichnen, faßte Wilmanns in einem gelehrten
und gediegnen Buche (Leben und Dichten Walthers von der Vogelweide, 1882)
die Ergebnisse der bisherigen Forschung zusammen, während A. E. Schönbach
mit seiner lebensvollern Darstellung (Walther von der Vogelweide. Ein Dichter¬
leben. 1890; 2. Aufl. 1895) zugleich der wachsenden Teilnahme des gebildeten
Publikums entgegenkam. Ein ganz hervorragendes Verdienst um die Erkenntnis
von Walthers dichterischer Entwicklung hat sich Konrad Burdach mit einem
Werk erworben, dessen erster Teil seit vorigem Jahre vorliegt: Walther von
der Vogelweide. Philologische und historische Forschungen. (Leipzig, Duncker
und Humblot, 1900.)

Dem schon 1896 in der Allgemeinen deutschen Biographie veröffentlichten
Lebensbilde, das nun in diesen Forschungen (S. 1 bis 118) allen Freunden
des Dichters zugänglich gemacht ist, hat Burdach eine Reihe glänzender Unter¬
suchungen (S. 125 bis 273) hinzugefügt, deren Mittel- und Schwerpunkt der
„wuchtige Appell an das politische Gewissen der Nation" ist: der berühmte,
schon vielbchandelte und an wissenschaftlichen Einzelproblemen reiche Spruch
loir tjürto <zin va-ner 6loi?«zii. Durch die ebenso grindlich-unffichtige und scharf¬
sinnige wie geiht- und geschmackvolle Erörterung erweist sich Burdach als einen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/518>, abgerufen am 22.07.2024.