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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Glossen zu den Reichstagsverhandlungen über das
musikalische Urheberrecht

in Laufe des Aprils hat der Reichstag über die Neugestaltung
des musikalischen Urheberrechts beraten und beschlossen. Die Be¬
ratungen und Verhandlungen siud mit ungewöhnlichem Eifer,
mit der ganzen der hohen Versammlung für den Fall möglichen
Gründlichkeit geführt "morden, die Beschlüsse haben jedoch die
musikalischen Kreise arg enttäuscht. Die Ursachen dieses Ergebnisses festzu>
stellen, über die Sachlage für die früher oder später unvermeidliche Wieder-
aufnahme des Gegenstandes aufzuklären, ist der Zweck der nachfolgenden Be¬
merkungen.

Die Regierungsvorlage ging von der Ansicht aus, daß die Lage der
Komponisten verbessert werden müsse, und schlug für dieses Ziel als Haupt¬
mittel vor: 1. Berläugernug der Schutzfrist für Kompositionen vom dreißigsten
auf das fünfzigste Jahr nach dem Tode des Komponisten. 2. Allgemeine Ver¬
pflichtung, dem Komponisten und seinen Rechtsnachfolgern das Aufführungs¬
recht zu vergüten. Der Reichstag war im großen und ganzen mit der Regierung
gewillt, für die Komponisten etwas zu thun, fürchtete aber, daß die vvrge-
schlagnen Maßregeln Interessen der Allgemeinheit oder wichtiger Stände und
Erwerbszweige schädigen würden, daß sie zum Teil anch schwer oder gar nicht
durchzuführen wären, und gelaugte zu dem Schluß: die Verlängerung der
Schutzfrist glatt abzulehnen, die Verpflichtung aber zur Vergütung des Auf¬
führungsrechts durch eine Reihe von Ausnahmen zu durchlöchern.

Für die Ablehnung der Schutzfrist scheint ein Gespenst mitgewirkt zu haben,
die durch irgend welche Seitenthür in den Reichstag gebrachte Besorgnis, daß
die Maßregel im einseitigen Interesse von Bayreuth getroffen werden solle.
Will man den "Parsifal" frei haben und die Phantasie des deutschen Volks
um die abenteuerliche Gestalt der "Kuudry" bereichern? Ärgert man sich, daß
die Ertrügnisse des "Bühnenweihefestspiels" nur den Wagnerschen Erben zu
gute kommen? Wir wissen es nicht. Die Regierungsvertreter haben jenen
Argwohn bekämpft, aber die sachlichen Gründe, die dafür sprechen, musikalische
Kompositionen länger zu schützen als andre Geistesprodukte, sind nicht erschöpft
worden, die vorgebrachten haben nicht durchgeschlagen. Mau hat gefragt:
Warum sollen Musiker fünfzig Jahre haben, wenn Ingenieure sich mit fünf¬
zehn begnügen müssen? Die Antwort hätte lauten dürfen: Weil die Ingenieur-
Welt viel vernünftiger ist. Mit ihren Erfindungen wird der Verstand ver-




Glossen zu den Reichstagsverhandlungen über das
musikalische Urheberrecht

in Laufe des Aprils hat der Reichstag über die Neugestaltung
des musikalischen Urheberrechts beraten und beschlossen. Die Be¬
ratungen und Verhandlungen siud mit ungewöhnlichem Eifer,
mit der ganzen der hohen Versammlung für den Fall möglichen
Gründlichkeit geführt »morden, die Beschlüsse haben jedoch die
musikalischen Kreise arg enttäuscht. Die Ursachen dieses Ergebnisses festzu>
stellen, über die Sachlage für die früher oder später unvermeidliche Wieder-
aufnahme des Gegenstandes aufzuklären, ist der Zweck der nachfolgenden Be¬
merkungen.

Die Regierungsvorlage ging von der Ansicht aus, daß die Lage der
Komponisten verbessert werden müsse, und schlug für dieses Ziel als Haupt¬
mittel vor: 1. Berläugernug der Schutzfrist für Kompositionen vom dreißigsten
auf das fünfzigste Jahr nach dem Tode des Komponisten. 2. Allgemeine Ver¬
pflichtung, dem Komponisten und seinen Rechtsnachfolgern das Aufführungs¬
recht zu vergüten. Der Reichstag war im großen und ganzen mit der Regierung
gewillt, für die Komponisten etwas zu thun, fürchtete aber, daß die vvrge-
schlagnen Maßregeln Interessen der Allgemeinheit oder wichtiger Stände und
Erwerbszweige schädigen würden, daß sie zum Teil anch schwer oder gar nicht
durchzuführen wären, und gelaugte zu dem Schluß: die Verlängerung der
Schutzfrist glatt abzulehnen, die Verpflichtung aber zur Vergütung des Auf¬
führungsrechts durch eine Reihe von Ausnahmen zu durchlöchern.

Für die Ablehnung der Schutzfrist scheint ein Gespenst mitgewirkt zu haben,
die durch irgend welche Seitenthür in den Reichstag gebrachte Besorgnis, daß
die Maßregel im einseitigen Interesse von Bayreuth getroffen werden solle.
Will man den „Parsifal" frei haben und die Phantasie des deutschen Volks
um die abenteuerliche Gestalt der „Kuudry" bereichern? Ärgert man sich, daß
die Ertrügnisse des „Bühnenweihefestspiels" nur den Wagnerschen Erben zu
gute kommen? Wir wissen es nicht. Die Regierungsvertreter haben jenen
Argwohn bekämpft, aber die sachlichen Gründe, die dafür sprechen, musikalische
Kompositionen länger zu schützen als andre Geistesprodukte, sind nicht erschöpft
worden, die vorgebrachten haben nicht durchgeschlagen. Mau hat gefragt:
Warum sollen Musiker fünfzig Jahre haben, wenn Ingenieure sich mit fünf¬
zehn begnügen müssen? Die Antwort hätte lauten dürfen: Weil die Ingenieur-
Welt viel vernünftiger ist. Mit ihren Erfindungen wird der Verstand ver-


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[0372] [Abbildung] Glossen zu den Reichstagsverhandlungen über das musikalische Urheberrecht in Laufe des Aprils hat der Reichstag über die Neugestaltung des musikalischen Urheberrechts beraten und beschlossen. Die Be¬ ratungen und Verhandlungen siud mit ungewöhnlichem Eifer, mit der ganzen der hohen Versammlung für den Fall möglichen Gründlichkeit geführt »morden, die Beschlüsse haben jedoch die musikalischen Kreise arg enttäuscht. Die Ursachen dieses Ergebnisses festzu> stellen, über die Sachlage für die früher oder später unvermeidliche Wieder- aufnahme des Gegenstandes aufzuklären, ist der Zweck der nachfolgenden Be¬ merkungen. Die Regierungsvorlage ging von der Ansicht aus, daß die Lage der Komponisten verbessert werden müsse, und schlug für dieses Ziel als Haupt¬ mittel vor: 1. Berläugernug der Schutzfrist für Kompositionen vom dreißigsten auf das fünfzigste Jahr nach dem Tode des Komponisten. 2. Allgemeine Ver¬ pflichtung, dem Komponisten und seinen Rechtsnachfolgern das Aufführungs¬ recht zu vergüten. Der Reichstag war im großen und ganzen mit der Regierung gewillt, für die Komponisten etwas zu thun, fürchtete aber, daß die vvrge- schlagnen Maßregeln Interessen der Allgemeinheit oder wichtiger Stände und Erwerbszweige schädigen würden, daß sie zum Teil anch schwer oder gar nicht durchzuführen wären, und gelaugte zu dem Schluß: die Verlängerung der Schutzfrist glatt abzulehnen, die Verpflichtung aber zur Vergütung des Auf¬ führungsrechts durch eine Reihe von Ausnahmen zu durchlöchern. Für die Ablehnung der Schutzfrist scheint ein Gespenst mitgewirkt zu haben, die durch irgend welche Seitenthür in den Reichstag gebrachte Besorgnis, daß die Maßregel im einseitigen Interesse von Bayreuth getroffen werden solle. Will man den „Parsifal" frei haben und die Phantasie des deutschen Volks um die abenteuerliche Gestalt der „Kuudry" bereichern? Ärgert man sich, daß die Ertrügnisse des „Bühnenweihefestspiels" nur den Wagnerschen Erben zu gute kommen? Wir wissen es nicht. Die Regierungsvertreter haben jenen Argwohn bekämpft, aber die sachlichen Gründe, die dafür sprechen, musikalische Kompositionen länger zu schützen als andre Geistesprodukte, sind nicht erschöpft worden, die vorgebrachten haben nicht durchgeschlagen. Mau hat gefragt: Warum sollen Musiker fünfzig Jahre haben, wenn Ingenieure sich mit fünf¬ zehn begnügen müssen? Die Antwort hätte lauten dürfen: Weil die Ingenieur- Welt viel vernünftiger ist. Mit ihren Erfindungen wird der Verstand ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/372>, abgerufen am 22.07.2024.