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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Der Auch der Größe

ind große Männer wirklich im gewöhnlichen Sinne glücklich?
Man wird diese Frage schwerlich ohne weiteres bejahen wollen.
Gewiß haben sie mehr oder weniger zahlreiche Stunden stolzer
und froher Erhebung, in denen ihnen das Bewußtsein ihrer Be¬
deutung, das Hochgefühl ihrer Erfolge die Seele schwellt; aber
die Erinnerung an eine ungeheure Verantwortung wird dieses vorübergehende
Glttcksgefühl immer wieder dämpfen und zurückdränge". Sogar ein Bismarck
wollte in einem langen Leben voll der größten Erfolge nur von wenig
Stunden ungetrübten Glückes Nüssen. Und wie er, so haben auch andre große
Männer ein wirkliche?, innerliches Glück nnr im engsten Familienkreise ge¬
funden; andre haben auch dieses schmerzlich entbehren müssen, zumal Fürsten,
denen die Wahl der Lebensgefährtin zu allen Zeiten so oft durch äußerliche
Rücksichten auferlegt worden ist, wie z. B. Friedrich der Große.

Woher kommt das? Wie erklärt es sich, daß an dem Leben großer Männer
so häufig etwas wie ein Fluch haftet, daß es so oft etwas Tragisches hat?
Die Grieche" sahen darin den Neid der Götter, die den Menschen keine An¬
näherung an ihre Sphäre erlauben, oder sie schrieben das der v/^,^ zu, dem
über das Menschliche hinausgehenden Streben, das, indem es die Schranken
des allgemein Menschlichen überschreitet, die sittliche Vergeltung herausfordert;
ja Herodot hat auf diese Idee seine ganze geschichtsphilosophische Anschauung
begründet, und die attischen Tragiker werden nicht müde, vor der -v/S^ zu
warnen, deren Typus ihnen Tantalvs und die Tantalideu sind, und die
v'all</^<im>//, die Selbstbescheidung und Selbstbeschränkung zu preisen. Sie
wußten wohl, warum sie es thaten. Denn die antiken Menschen, durch kein
festes, objektives Sittengesetz in ihrer Selbstsucht gebändigt, neigten an sich zur
ü/^> und gereichten ihrem Vaterlande trotz reichster Gaben oft weniger zum
Segen als zum Fluch. Der Typus des "Übermenschen," der rücksichtslos seinen
Instinkten und seinen Interessen folgt, ist keineswegs modern, sondern antik,
nicht christlich, sondern heidnisch, schon, deshalb, weil die antike Gottesidee


Grenzboten II 1901 N


Der Auch der Größe

ind große Männer wirklich im gewöhnlichen Sinne glücklich?
Man wird diese Frage schwerlich ohne weiteres bejahen wollen.
Gewiß haben sie mehr oder weniger zahlreiche Stunden stolzer
und froher Erhebung, in denen ihnen das Bewußtsein ihrer Be¬
deutung, das Hochgefühl ihrer Erfolge die Seele schwellt; aber
die Erinnerung an eine ungeheure Verantwortung wird dieses vorübergehende
Glttcksgefühl immer wieder dämpfen und zurückdränge». Sogar ein Bismarck
wollte in einem langen Leben voll der größten Erfolge nur von wenig
Stunden ungetrübten Glückes Nüssen. Und wie er, so haben auch andre große
Männer ein wirkliche?, innerliches Glück nnr im engsten Familienkreise ge¬
funden; andre haben auch dieses schmerzlich entbehren müssen, zumal Fürsten,
denen die Wahl der Lebensgefährtin zu allen Zeiten so oft durch äußerliche
Rücksichten auferlegt worden ist, wie z. B. Friedrich der Große.

Woher kommt das? Wie erklärt es sich, daß an dem Leben großer Männer
so häufig etwas wie ein Fluch haftet, daß es so oft etwas Tragisches hat?
Die Grieche» sahen darin den Neid der Götter, die den Menschen keine An¬
näherung an ihre Sphäre erlauben, oder sie schrieben das der v/^,^ zu, dem
über das Menschliche hinausgehenden Streben, das, indem es die Schranken
des allgemein Menschlichen überschreitet, die sittliche Vergeltung herausfordert;
ja Herodot hat auf diese Idee seine ganze geschichtsphilosophische Anschauung
begründet, und die attischen Tragiker werden nicht müde, vor der -v/S^ zu
warnen, deren Typus ihnen Tantalvs und die Tantalideu sind, und die
v'all</^<im>//, die Selbstbescheidung und Selbstbeschränkung zu preisen. Sie
wußten wohl, warum sie es thaten. Denn die antiken Menschen, durch kein
festes, objektives Sittengesetz in ihrer Selbstsucht gebändigt, neigten an sich zur
ü/^> und gereichten ihrem Vaterlande trotz reichster Gaben oft weniger zum
Segen als zum Fluch. Der Typus des „Übermenschen," der rücksichtslos seinen
Instinkten und seinen Interessen folgt, ist keineswegs modern, sondern antik,
nicht christlich, sondern heidnisch, schon, deshalb, weil die antike Gottesidee


Grenzboten II 1901 N
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[0297] [Abbildung] Der Auch der Größe ind große Männer wirklich im gewöhnlichen Sinne glücklich? Man wird diese Frage schwerlich ohne weiteres bejahen wollen. Gewiß haben sie mehr oder weniger zahlreiche Stunden stolzer und froher Erhebung, in denen ihnen das Bewußtsein ihrer Be¬ deutung, das Hochgefühl ihrer Erfolge die Seele schwellt; aber die Erinnerung an eine ungeheure Verantwortung wird dieses vorübergehende Glttcksgefühl immer wieder dämpfen und zurückdränge». Sogar ein Bismarck wollte in einem langen Leben voll der größten Erfolge nur von wenig Stunden ungetrübten Glückes Nüssen. Und wie er, so haben auch andre große Männer ein wirkliche?, innerliches Glück nnr im engsten Familienkreise ge¬ funden; andre haben auch dieses schmerzlich entbehren müssen, zumal Fürsten, denen die Wahl der Lebensgefährtin zu allen Zeiten so oft durch äußerliche Rücksichten auferlegt worden ist, wie z. B. Friedrich der Große. Woher kommt das? Wie erklärt es sich, daß an dem Leben großer Männer so häufig etwas wie ein Fluch haftet, daß es so oft etwas Tragisches hat? Die Grieche» sahen darin den Neid der Götter, die den Menschen keine An¬ näherung an ihre Sphäre erlauben, oder sie schrieben das der v/^,^ zu, dem über das Menschliche hinausgehenden Streben, das, indem es die Schranken des allgemein Menschlichen überschreitet, die sittliche Vergeltung herausfordert; ja Herodot hat auf diese Idee seine ganze geschichtsphilosophische Anschauung begründet, und die attischen Tragiker werden nicht müde, vor der -v/S^ zu warnen, deren Typus ihnen Tantalvs und die Tantalideu sind, und die v'all</^<im>//, die Selbstbescheidung und Selbstbeschränkung zu preisen. Sie wußten wohl, warum sie es thaten. Denn die antiken Menschen, durch kein festes, objektives Sittengesetz in ihrer Selbstsucht gebändigt, neigten an sich zur ü/^> und gereichten ihrem Vaterlande trotz reichster Gaben oft weniger zum Segen als zum Fluch. Der Typus des „Übermenschen," der rücksichtslos seinen Instinkten und seinen Interessen folgt, ist keineswegs modern, sondern antik, nicht christlich, sondern heidnisch, schon, deshalb, weil die antike Gottesidee Grenzboten II 1901 N

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/297>, abgerufen am 29.06.2024.