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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Gedanken zur Revision des Kronkenversichenmgsgesetzes

Taxe, so wühlt man natürlich den, von dem man weiß, daß er hoch abschätzt!
braucht man eine niedrige, so nimmt man einen Tarator, der geneigt ist, niedrig
abzuschätzen. Bisweilen ist dies auch gar nicht nötig. So habe ich es bei
einem gerichtlichen Sachverständigen erlebt, daß er heute ein Grundstück sehr
hoch abschätzte und einige Wochen, kaum Monate später dasselbe unverändert
gebliebne Grundstück um mehr als ein Drittel niedriger, nämlich um mehr als
100000 Mark geringer! Eine derartige Handhabung ergiebt leider dann die
Richtigkeit des Sprichworts, daß Taxen nur Faxen seien!


Georg Baumert


Gedanken zur Revision des Krankenversicherungs¬
gesetzes
(Fortsetzung)

WZ?,'"
DU
isM)ergleiche ich nnn die auf Grund einer uneingeschränkten Selbst
Verwaltung organisierte Krankenversicherung mit ihrer jüngern
sozialpolitischen Schwester, der Invalidenversicherung, so scheinen
mir die staatlichen Jnvaliditätsvcrsicherungsanstalten mit staat¬
lichen Beamten an der Spitze sowohl in der Geschäftsführung
als auch in der höhern Auffassung ihrer Aufgabe überlegnere und bessere
Vertreter der Arbeiterversicherung zu sein. Gegen etwaige büreaukratische
Neigungen ist da der aus Vertretern von Unternehmern und Arbeitern be¬
stehende Ausschuß oder Vorstand ein gutes Gegenmittel. Trotz der kürzern
Entwicklungszeit der Invalidenversicherung, und obgleich die .Krankenfürsorge
uicht ihre eigentliche Aufgabe ist, haben sie diese doch mit weitem Blick in
ihren Arbeitsbereich gezogen. Während anfangs die Versicherungsanstalten
ihre Hauptaufgabe in der Bewilligung der Renten sahen, hat sich von Jahr
zu Jahr mehr die Überzeugung Bahn gebrochen, daß die größere Aufgabe
darin bestehe, eine durchgreifende und früh einsetzende Krauteufürsorge anszu-
iiben, und das nicht nur vom reinen Geschäftsstandpunkt ans, um Invaliden¬
renten zu sparen, sondern mich aus humanen Rücksichten, denen die staatliche
Arbeiterfürsorge ihre Entstehung verdankt.

Eine hochsinuige Erfassung und gründliche, umsichtige Bethätigung ihres
sozialpolitischen Vernfs leuchtet z. B. aus den Verwaltungsgrnndsätzen der
Landesversicherungsanstalt in Hannover hervor. Diese Anstalt sieht nicht mir
ihre Aufgabe darin, das Gesetz anzuwenden, sondern auch Belehrung über
dieses zu verbreiten. (Kürzlich sind von ihr 10000 Exemplare der von Pro¬
zessor Hitze verfaßten Broschüre: "Was jedermann von der Jnvalidenversiche-


Gedanken zur Revision des Kronkenversichenmgsgesetzes

Taxe, so wühlt man natürlich den, von dem man weiß, daß er hoch abschätzt!
braucht man eine niedrige, so nimmt man einen Tarator, der geneigt ist, niedrig
abzuschätzen. Bisweilen ist dies auch gar nicht nötig. So habe ich es bei
einem gerichtlichen Sachverständigen erlebt, daß er heute ein Grundstück sehr
hoch abschätzte und einige Wochen, kaum Monate später dasselbe unverändert
gebliebne Grundstück um mehr als ein Drittel niedriger, nämlich um mehr als
100000 Mark geringer! Eine derartige Handhabung ergiebt leider dann die
Richtigkeit des Sprichworts, daß Taxen nur Faxen seien!


Georg Baumert


Gedanken zur Revision des Krankenversicherungs¬
gesetzes
(Fortsetzung)

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DU
isM)ergleiche ich nnn die auf Grund einer uneingeschränkten Selbst
Verwaltung organisierte Krankenversicherung mit ihrer jüngern
sozialpolitischen Schwester, der Invalidenversicherung, so scheinen
mir die staatlichen Jnvaliditätsvcrsicherungsanstalten mit staat¬
lichen Beamten an der Spitze sowohl in der Geschäftsführung
als auch in der höhern Auffassung ihrer Aufgabe überlegnere und bessere
Vertreter der Arbeiterversicherung zu sein. Gegen etwaige büreaukratische
Neigungen ist da der aus Vertretern von Unternehmern und Arbeitern be¬
stehende Ausschuß oder Vorstand ein gutes Gegenmittel. Trotz der kürzern
Entwicklungszeit der Invalidenversicherung, und obgleich die .Krankenfürsorge
uicht ihre eigentliche Aufgabe ist, haben sie diese doch mit weitem Blick in
ihren Arbeitsbereich gezogen. Während anfangs die Versicherungsanstalten
ihre Hauptaufgabe in der Bewilligung der Renten sahen, hat sich von Jahr
zu Jahr mehr die Überzeugung Bahn gebrochen, daß die größere Aufgabe
darin bestehe, eine durchgreifende und früh einsetzende Krauteufürsorge anszu-
iiben, und das nicht nur vom reinen Geschäftsstandpunkt ans, um Invaliden¬
renten zu sparen, sondern mich aus humanen Rücksichten, denen die staatliche
Arbeiterfürsorge ihre Entstehung verdankt.

Eine hochsinuige Erfassung und gründliche, umsichtige Bethätigung ihres
sozialpolitischen Vernfs leuchtet z. B. aus den Verwaltungsgrnndsätzen der
Landesversicherungsanstalt in Hannover hervor. Diese Anstalt sieht nicht mir
ihre Aufgabe darin, das Gesetz anzuwenden, sondern auch Belehrung über
dieses zu verbreiten. (Kürzlich sind von ihr 10000 Exemplare der von Pro¬
zessor Hitze verfaßten Broschüre: „Was jedermann von der Jnvalidenversiche-


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[0215] Gedanken zur Revision des Kronkenversichenmgsgesetzes Taxe, so wühlt man natürlich den, von dem man weiß, daß er hoch abschätzt! braucht man eine niedrige, so nimmt man einen Tarator, der geneigt ist, niedrig abzuschätzen. Bisweilen ist dies auch gar nicht nötig. So habe ich es bei einem gerichtlichen Sachverständigen erlebt, daß er heute ein Grundstück sehr hoch abschätzte und einige Wochen, kaum Monate später dasselbe unverändert gebliebne Grundstück um mehr als ein Drittel niedriger, nämlich um mehr als 100000 Mark geringer! Eine derartige Handhabung ergiebt leider dann die Richtigkeit des Sprichworts, daß Taxen nur Faxen seien! Georg Baumert Gedanken zur Revision des Krankenversicherungs¬ gesetzes (Fortsetzung) WZ?,'» DU isM)ergleiche ich nnn die auf Grund einer uneingeschränkten Selbst Verwaltung organisierte Krankenversicherung mit ihrer jüngern sozialpolitischen Schwester, der Invalidenversicherung, so scheinen mir die staatlichen Jnvaliditätsvcrsicherungsanstalten mit staat¬ lichen Beamten an der Spitze sowohl in der Geschäftsführung als auch in der höhern Auffassung ihrer Aufgabe überlegnere und bessere Vertreter der Arbeiterversicherung zu sein. Gegen etwaige büreaukratische Neigungen ist da der aus Vertretern von Unternehmern und Arbeitern be¬ stehende Ausschuß oder Vorstand ein gutes Gegenmittel. Trotz der kürzern Entwicklungszeit der Invalidenversicherung, und obgleich die .Krankenfürsorge uicht ihre eigentliche Aufgabe ist, haben sie diese doch mit weitem Blick in ihren Arbeitsbereich gezogen. Während anfangs die Versicherungsanstalten ihre Hauptaufgabe in der Bewilligung der Renten sahen, hat sich von Jahr zu Jahr mehr die Überzeugung Bahn gebrochen, daß die größere Aufgabe darin bestehe, eine durchgreifende und früh einsetzende Krauteufürsorge anszu- iiben, und das nicht nur vom reinen Geschäftsstandpunkt ans, um Invaliden¬ renten zu sparen, sondern mich aus humanen Rücksichten, denen die staatliche Arbeiterfürsorge ihre Entstehung verdankt. Eine hochsinuige Erfassung und gründliche, umsichtige Bethätigung ihres sozialpolitischen Vernfs leuchtet z. B. aus den Verwaltungsgrnndsätzen der Landesversicherungsanstalt in Hannover hervor. Diese Anstalt sieht nicht mir ihre Aufgabe darin, das Gesetz anzuwenden, sondern auch Belehrung über dieses zu verbreiten. (Kürzlich sind von ihr 10000 Exemplare der von Pro¬ zessor Hitze verfaßten Broschüre: „Was jedermann von der Jnvalidenversiche-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/215>, abgerufen am 29.06.2024.