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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Die Entwicklung der deutschen Monarchie
1^ermann Barge Oon (Schluß)

vu einer Reichsgewalt im strengen Sinne des Worts kann nach
dem Untergänge der Hohenstaufen nicht mehr die Rede sein.
Die Römerzuge der Kaiser des ausgehenden Mittelalters ent
hehren vielfach nicht eines tragikomischen Beigeschmacks, Dem
Namen nach hat es deutsche Kaiser bis zum Jahre 1806 ge
geben. Auch wurde das alte Inventar der Kaiserkrönungcn und Titulaturen
unverändert weitergeführt. Aber soweit Kaiser einen hervorragenden Einfluß
ausübten, haben sie dies nnr auf Grund ihrer territorialen Machtstellung und
in ihrer Eigenschaft als Landesfürsten vermocht. Will man die Entwicklungs¬
stufen der deutschen Monarchie feststellen, so muß dieser Verwesungsprozeß
des mittelalterlichen Königtums ganz ausscheiden. Die staatlichen Zustände
Deutschlands im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert nach dem Unter¬
gang der kaiserlichen Macht gewähren zunächst den Anblick trauriger Ver¬
worrenheit, Das farbenreiche Bild einer historischen Karte Deutschlands im
vierzehnten Jahrhundert giebt doch nicht entfernt die ganze Bnntscheckigkeit der
damals herrschenden staatlichen Verhältnisse wieder. Denn innerhalb jedes
einzelnen dieser vielen Territorien gab es noch ein Gewirr von Gegensätzen,
eine Fülle ungeklärter Machtansprüche und Rechtsverhältnisse. Im Verlaufe
der spätern Entwicklung hat ein Übermaß juristischer Konstruktionen die gesunde
Bewegungsfreiheit des Einzelnen und ganzer Stände in Deutschland vielfach
in ungehöriger Weise beeinträchtigt; zu jener Zeit war umgekehrt allenthalben
ein Mangel an rechtlicher Ordnung, an Klarheit der Kompetenzen drückend
fühlbar. Die Jagd nach Macht -- sicherlich nicht nur eine Eigentümlichkeit
des ausgehenden Mittelalters -- hat doch in dieser Periode besonders ab¬
stoßende Formen angenommen.

Unter denen, die nach den verwaisten Königsrechten griffen, waren natürlich
die geistlichen nud die weltlichen Fürsten und Herren in einer bevorzugten Lage,
die schon früher in ihrer Eigenschaft als Beamte Hoheitsrechte des Reichs
ausgeübt hatten, Sie haben die Landeshoheit über ihre Territorien geschaffen
und sind damit die Träger der monarchischen Weiterentwicklung in Deutschland
geworden. Das Königtum selbst hatte ihnen in der Ausübung staatlicher
Gewalt die volle Selbständigkeit und Unabhängigkeit garantiert, Daraus zogen




Die Entwicklung der deutschen Monarchie
1^ermann Barge Oon (Schluß)

vu einer Reichsgewalt im strengen Sinne des Worts kann nach
dem Untergänge der Hohenstaufen nicht mehr die Rede sein.
Die Römerzuge der Kaiser des ausgehenden Mittelalters ent
hehren vielfach nicht eines tragikomischen Beigeschmacks, Dem
Namen nach hat es deutsche Kaiser bis zum Jahre 1806 ge
geben. Auch wurde das alte Inventar der Kaiserkrönungcn und Titulaturen
unverändert weitergeführt. Aber soweit Kaiser einen hervorragenden Einfluß
ausübten, haben sie dies nnr auf Grund ihrer territorialen Machtstellung und
in ihrer Eigenschaft als Landesfürsten vermocht. Will man die Entwicklungs¬
stufen der deutschen Monarchie feststellen, so muß dieser Verwesungsprozeß
des mittelalterlichen Königtums ganz ausscheiden. Die staatlichen Zustände
Deutschlands im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert nach dem Unter¬
gang der kaiserlichen Macht gewähren zunächst den Anblick trauriger Ver¬
worrenheit, Das farbenreiche Bild einer historischen Karte Deutschlands im
vierzehnten Jahrhundert giebt doch nicht entfernt die ganze Bnntscheckigkeit der
damals herrschenden staatlichen Verhältnisse wieder. Denn innerhalb jedes
einzelnen dieser vielen Territorien gab es noch ein Gewirr von Gegensätzen,
eine Fülle ungeklärter Machtansprüche und Rechtsverhältnisse. Im Verlaufe
der spätern Entwicklung hat ein Übermaß juristischer Konstruktionen die gesunde
Bewegungsfreiheit des Einzelnen und ganzer Stände in Deutschland vielfach
in ungehöriger Weise beeinträchtigt; zu jener Zeit war umgekehrt allenthalben
ein Mangel an rechtlicher Ordnung, an Klarheit der Kompetenzen drückend
fühlbar. Die Jagd nach Macht — sicherlich nicht nur eine Eigentümlichkeit
des ausgehenden Mittelalters — hat doch in dieser Periode besonders ab¬
stoßende Formen angenommen.

Unter denen, die nach den verwaisten Königsrechten griffen, waren natürlich
die geistlichen nud die weltlichen Fürsten und Herren in einer bevorzugten Lage,
die schon früher in ihrer Eigenschaft als Beamte Hoheitsrechte des Reichs
ausgeübt hatten, Sie haben die Landeshoheit über ihre Territorien geschaffen
und sind damit die Träger der monarchischen Weiterentwicklung in Deutschland
geworden. Das Königtum selbst hatte ihnen in der Ausübung staatlicher
Gewalt die volle Selbständigkeit und Unabhängigkeit garantiert, Daraus zogen


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[0117] [Abbildung] Die Entwicklung der deutschen Monarchie 1^ermann Barge Oon (Schluß) vu einer Reichsgewalt im strengen Sinne des Worts kann nach dem Untergänge der Hohenstaufen nicht mehr die Rede sein. Die Römerzuge der Kaiser des ausgehenden Mittelalters ent hehren vielfach nicht eines tragikomischen Beigeschmacks, Dem Namen nach hat es deutsche Kaiser bis zum Jahre 1806 ge geben. Auch wurde das alte Inventar der Kaiserkrönungcn und Titulaturen unverändert weitergeführt. Aber soweit Kaiser einen hervorragenden Einfluß ausübten, haben sie dies nnr auf Grund ihrer territorialen Machtstellung und in ihrer Eigenschaft als Landesfürsten vermocht. Will man die Entwicklungs¬ stufen der deutschen Monarchie feststellen, so muß dieser Verwesungsprozeß des mittelalterlichen Königtums ganz ausscheiden. Die staatlichen Zustände Deutschlands im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert nach dem Unter¬ gang der kaiserlichen Macht gewähren zunächst den Anblick trauriger Ver¬ worrenheit, Das farbenreiche Bild einer historischen Karte Deutschlands im vierzehnten Jahrhundert giebt doch nicht entfernt die ganze Bnntscheckigkeit der damals herrschenden staatlichen Verhältnisse wieder. Denn innerhalb jedes einzelnen dieser vielen Territorien gab es noch ein Gewirr von Gegensätzen, eine Fülle ungeklärter Machtansprüche und Rechtsverhältnisse. Im Verlaufe der spätern Entwicklung hat ein Übermaß juristischer Konstruktionen die gesunde Bewegungsfreiheit des Einzelnen und ganzer Stände in Deutschland vielfach in ungehöriger Weise beeinträchtigt; zu jener Zeit war umgekehrt allenthalben ein Mangel an rechtlicher Ordnung, an Klarheit der Kompetenzen drückend fühlbar. Die Jagd nach Macht — sicherlich nicht nur eine Eigentümlichkeit des ausgehenden Mittelalters — hat doch in dieser Periode besonders ab¬ stoßende Formen angenommen. Unter denen, die nach den verwaisten Königsrechten griffen, waren natürlich die geistlichen nud die weltlichen Fürsten und Herren in einer bevorzugten Lage, die schon früher in ihrer Eigenschaft als Beamte Hoheitsrechte des Reichs ausgeübt hatten, Sie haben die Landeshoheit über ihre Territorien geschaffen und sind damit die Träger der monarchischen Weiterentwicklung in Deutschland geworden. Das Königtum selbst hatte ihnen in der Ausübung staatlicher Gewalt die volle Selbständigkeit und Unabhängigkeit garantiert, Daraus zogen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/117>, abgerufen am 29.06.2024.