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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Wozu der Lärm?

le Kluft zwischen dem Kaiser und der Nation wird immer breiter
und tiefer, als" verkünden "nationale" Blätter aller möglichen
Richtungen vom äußersten rechten bis zum linken Flügel wörtlich
oder doch dem Sinne nach mit seltner Einstimmigkeit, und
nirgends wird mehr und giftiger räsonniert als in der deutscheu
Reichshauptstadt,' die bekanntlich die politische Weisheit ebenso in Erbpacht ge¬
nommen hat wie den politischen Witz, Sehen wir uns einmal diese Kluft und
ihre Entstehungsgründe etwas näher um! Es ist klar, daß hier zunächst eine
üble Nachwirkung der Kritik vorliegt, die Fürst Bismarck jahrelang an den
Handlungen der amtlichen Politik geübt hat. Was er thun durfte, das er¬
lauben sich nach seinein Tode auch seine blinden Nachbeter und Nachtreter,
die es ihm abgeguckt haben, wie er sich rüusperte und wie er spuckte, die aber
nicht Kinder und Erben seines Geistes sind. Seine Erbschaft hat überhaupt
kein einzelner angetreten, auch die Hamburger Nachrichten haben es nicht ge¬
than, die nur Bedeutung hatten, solange sie sein Organ sein durften, und auch
dann diese Bedeutung nicht mehr haben, wenn sie sich noch ihre Inspiration
aus Friedrichsruh holen. Die wahren Erben Bismarcks sind die, die redlich
an der Macht und Größe unsers Vaterlands arbeiten, zuweilen mit neuen
Mitteln, unbekümmert um Druckerschwärze, unbekümmert auch um das Mi߬
trauen, das nicht erst seit gestern die Handlungen der Regierung begleitet.

Nichts hat dieses Mißtrauen mehr gesteigert als der unselige Burcukrieg,
Deal hier konstruiert die bnrenfreundliche Presse zunächst einen Widerspruch
zwischen der Depesche des Kaisers vom 3. Januar 1896, die den Präsidenten
Krüger zur glücklichen Abwehr des Jamesonschcn Nanbeinfalls beglückwünschte,
und der Haltung, die Deutschland in dein Kriege seit 1899 beobachtet hat,
Sie sieht nicht oder will vielmehr nicht sehen, daß zwischen einem Flibustier¬
ritt, den die englische Regierung gern oder ungern der Stimmung ihrer Nation
zum Trotz ableugnete, und einem offnen Kriege, den sie zwar herbeiführte,
aber nicht einmal erklärte, staatsrechtlich ein himmelweiter Unterschied ist, daß


Grsnzboten I 1901


Wozu der Lärm?

le Kluft zwischen dem Kaiser und der Nation wird immer breiter
und tiefer, als» verkünden „nationale" Blätter aller möglichen
Richtungen vom äußersten rechten bis zum linken Flügel wörtlich
oder doch dem Sinne nach mit seltner Einstimmigkeit, und
nirgends wird mehr und giftiger räsonniert als in der deutscheu
Reichshauptstadt,' die bekanntlich die politische Weisheit ebenso in Erbpacht ge¬
nommen hat wie den politischen Witz, Sehen wir uns einmal diese Kluft und
ihre Entstehungsgründe etwas näher um! Es ist klar, daß hier zunächst eine
üble Nachwirkung der Kritik vorliegt, die Fürst Bismarck jahrelang an den
Handlungen der amtlichen Politik geübt hat. Was er thun durfte, das er¬
lauben sich nach seinein Tode auch seine blinden Nachbeter und Nachtreter,
die es ihm abgeguckt haben, wie er sich rüusperte und wie er spuckte, die aber
nicht Kinder und Erben seines Geistes sind. Seine Erbschaft hat überhaupt
kein einzelner angetreten, auch die Hamburger Nachrichten haben es nicht ge¬
than, die nur Bedeutung hatten, solange sie sein Organ sein durften, und auch
dann diese Bedeutung nicht mehr haben, wenn sie sich noch ihre Inspiration
aus Friedrichsruh holen. Die wahren Erben Bismarcks sind die, die redlich
an der Macht und Größe unsers Vaterlands arbeiten, zuweilen mit neuen
Mitteln, unbekümmert um Druckerschwärze, unbekümmert auch um das Mi߬
trauen, das nicht erst seit gestern die Handlungen der Regierung begleitet.

Nichts hat dieses Mißtrauen mehr gesteigert als der unselige Burcukrieg,
Deal hier konstruiert die bnrenfreundliche Presse zunächst einen Widerspruch
zwischen der Depesche des Kaisers vom 3. Januar 1896, die den Präsidenten
Krüger zur glücklichen Abwehr des Jamesonschcn Nanbeinfalls beglückwünschte,
und der Haltung, die Deutschland in dein Kriege seit 1899 beobachtet hat,
Sie sieht nicht oder will vielmehr nicht sehen, daß zwischen einem Flibustier¬
ritt, den die englische Regierung gern oder ungern der Stimmung ihrer Nation
zum Trotz ableugnete, und einem offnen Kriege, den sie zwar herbeiführte,
aber nicht einmal erklärte, staatsrechtlich ein himmelweiter Unterschied ist, daß


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[0401] [Abbildung] Wozu der Lärm? le Kluft zwischen dem Kaiser und der Nation wird immer breiter und tiefer, als» verkünden „nationale" Blätter aller möglichen Richtungen vom äußersten rechten bis zum linken Flügel wörtlich oder doch dem Sinne nach mit seltner Einstimmigkeit, und nirgends wird mehr und giftiger räsonniert als in der deutscheu Reichshauptstadt,' die bekanntlich die politische Weisheit ebenso in Erbpacht ge¬ nommen hat wie den politischen Witz, Sehen wir uns einmal diese Kluft und ihre Entstehungsgründe etwas näher um! Es ist klar, daß hier zunächst eine üble Nachwirkung der Kritik vorliegt, die Fürst Bismarck jahrelang an den Handlungen der amtlichen Politik geübt hat. Was er thun durfte, das er¬ lauben sich nach seinein Tode auch seine blinden Nachbeter und Nachtreter, die es ihm abgeguckt haben, wie er sich rüusperte und wie er spuckte, die aber nicht Kinder und Erben seines Geistes sind. Seine Erbschaft hat überhaupt kein einzelner angetreten, auch die Hamburger Nachrichten haben es nicht ge¬ than, die nur Bedeutung hatten, solange sie sein Organ sein durften, und auch dann diese Bedeutung nicht mehr haben, wenn sie sich noch ihre Inspiration aus Friedrichsruh holen. Die wahren Erben Bismarcks sind die, die redlich an der Macht und Größe unsers Vaterlands arbeiten, zuweilen mit neuen Mitteln, unbekümmert um Druckerschwärze, unbekümmert auch um das Mi߬ trauen, das nicht erst seit gestern die Handlungen der Regierung begleitet. Nichts hat dieses Mißtrauen mehr gesteigert als der unselige Burcukrieg, Deal hier konstruiert die bnrenfreundliche Presse zunächst einen Widerspruch zwischen der Depesche des Kaisers vom 3. Januar 1896, die den Präsidenten Krüger zur glücklichen Abwehr des Jamesonschcn Nanbeinfalls beglückwünschte, und der Haltung, die Deutschland in dein Kriege seit 1899 beobachtet hat, Sie sieht nicht oder will vielmehr nicht sehen, daß zwischen einem Flibustier¬ ritt, den die englische Regierung gern oder ungern der Stimmung ihrer Nation zum Trotz ableugnete, und einem offnen Kriege, den sie zwar herbeiführte, aber nicht einmal erklärte, staatsrechtlich ein himmelweiter Unterschied ist, daß Grsnzboten I 1901

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/401>, abgerufen am 24.08.2024.