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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Zur jrauenfrage

(Zuista, "on wovsis
Ruhendes soll man nicht bewegen;
Aber man soll auch die leisen Gewalten,
Die sich unter der Decke regen,
Nicht zu lange sür "Stille" halten,

Robbe

mer meiner Freunde führt in unsrer Stadt und sogar darüber
hinaus den seltsamen Beinamen Tanti. Er teilt alle Menschen,
die in den Bereich seiner Beurteilung kommen, in zwei Klassen
ein, in solche, die tanti sind, und in solche, die es nicht sind.
Alle Welt weiß, was er damit meint. Für tanti hält er die,
die in dem Wirkungsbereich, in den sie gestellt sind, ihre Sache verstehn und
ihrer Aufgabe gewachsen sind. Alle andern sind nicht tanti, besonders nicht
die Schwätzer, die Windhunde und die eiteln Großsprecher und konventionellen
Scheinmenschen. Daß mein Freund selbst in seinem Berufe tanti ist, darüber
giebt es nur eine Stimme bei Freund und Feind.

Mein Freund Tauti ist ein Greuzbotenleser, und ich kann ihn auch wohl
als Grenzbotenfreund bezeichnen. Freilich ist ihm nicht jeder Aufsatz und jedes
Wort recht, und zuweilen räsonniert er darüber, daß dieser oder jener Ver¬
fasser eines Aufsatzes uicht tanti sei. Wieweit er damit im Rechte ist, mag
dahingestellt bleiben, denn tanti sein bleibt immer ein relativer Begriff, und
mein Freund Tanti ist der letzte, der sich in aller und jeder Frage für tanti
halten wollte. Aus Anlaß der jüngst in den Grenzboten gestreiften Frauen-
frage*) kamen wir kürzlich in ein eingehendes Gespräch über diese. Seltsamer¬
weise machten wir beide den Vorbehalt, daß wir uns auf diesem Gebiete nicht
recht tanti fühlten. Und damit mögen wir wohl beide Recht gehabt haben.
Aber darin waren wir doch einig, daß die Sache selbst von größter Wichtigkeit



*) Grenzboten 1899, Ur. 50, S. S88, Anmerkung; 1900, Ur. 3, S. 1S1 ff.
Grenzboten II 1900 1


Zur jrauenfrage

(Zuista, »on wovsis
Ruhendes soll man nicht bewegen;
Aber man soll auch die leisen Gewalten,
Die sich unter der Decke regen,
Nicht zu lange sür „Stille" halten,

Robbe

mer meiner Freunde führt in unsrer Stadt und sogar darüber
hinaus den seltsamen Beinamen Tanti. Er teilt alle Menschen,
die in den Bereich seiner Beurteilung kommen, in zwei Klassen
ein, in solche, die tanti sind, und in solche, die es nicht sind.
Alle Welt weiß, was er damit meint. Für tanti hält er die,
die in dem Wirkungsbereich, in den sie gestellt sind, ihre Sache verstehn und
ihrer Aufgabe gewachsen sind. Alle andern sind nicht tanti, besonders nicht
die Schwätzer, die Windhunde und die eiteln Großsprecher und konventionellen
Scheinmenschen. Daß mein Freund selbst in seinem Berufe tanti ist, darüber
giebt es nur eine Stimme bei Freund und Feind.

Mein Freund Tauti ist ein Greuzbotenleser, und ich kann ihn auch wohl
als Grenzbotenfreund bezeichnen. Freilich ist ihm nicht jeder Aufsatz und jedes
Wort recht, und zuweilen räsonniert er darüber, daß dieser oder jener Ver¬
fasser eines Aufsatzes uicht tanti sei. Wieweit er damit im Rechte ist, mag
dahingestellt bleiben, denn tanti sein bleibt immer ein relativer Begriff, und
mein Freund Tanti ist der letzte, der sich in aller und jeder Frage für tanti
halten wollte. Aus Anlaß der jüngst in den Grenzboten gestreiften Frauen-
frage*) kamen wir kürzlich in ein eingehendes Gespräch über diese. Seltsamer¬
weise machten wir beide den Vorbehalt, daß wir uns auf diesem Gebiete nicht
recht tanti fühlten. Und damit mögen wir wohl beide Recht gehabt haben.
Aber darin waren wir doch einig, daß die Sache selbst von größter Wichtigkeit



*) Grenzboten 1899, Ur. 50, S. S88, Anmerkung; 1900, Ur. 3, S. 1S1 ff.
Grenzboten II 1900 1
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[0009] [Abbildung] Zur jrauenfrage (Zuista, »on wovsis Ruhendes soll man nicht bewegen; Aber man soll auch die leisen Gewalten, Die sich unter der Decke regen, Nicht zu lange sür „Stille" halten, Robbe mer meiner Freunde führt in unsrer Stadt und sogar darüber hinaus den seltsamen Beinamen Tanti. Er teilt alle Menschen, die in den Bereich seiner Beurteilung kommen, in zwei Klassen ein, in solche, die tanti sind, und in solche, die es nicht sind. Alle Welt weiß, was er damit meint. Für tanti hält er die, die in dem Wirkungsbereich, in den sie gestellt sind, ihre Sache verstehn und ihrer Aufgabe gewachsen sind. Alle andern sind nicht tanti, besonders nicht die Schwätzer, die Windhunde und die eiteln Großsprecher und konventionellen Scheinmenschen. Daß mein Freund selbst in seinem Berufe tanti ist, darüber giebt es nur eine Stimme bei Freund und Feind. Mein Freund Tauti ist ein Greuzbotenleser, und ich kann ihn auch wohl als Grenzbotenfreund bezeichnen. Freilich ist ihm nicht jeder Aufsatz und jedes Wort recht, und zuweilen räsonniert er darüber, daß dieser oder jener Ver¬ fasser eines Aufsatzes uicht tanti sei. Wieweit er damit im Rechte ist, mag dahingestellt bleiben, denn tanti sein bleibt immer ein relativer Begriff, und mein Freund Tanti ist der letzte, der sich in aller und jeder Frage für tanti halten wollte. Aus Anlaß der jüngst in den Grenzboten gestreiften Frauen- frage*) kamen wir kürzlich in ein eingehendes Gespräch über diese. Seltsamer¬ weise machten wir beide den Vorbehalt, daß wir uns auf diesem Gebiete nicht recht tanti fühlten. Und damit mögen wir wohl beide Recht gehabt haben. Aber darin waren wir doch einig, daß die Sache selbst von größter Wichtigkeit *) Grenzboten 1899, Ur. 50, S. S88, Anmerkung; 1900, Ur. 3, S. 1S1 ff. Grenzboten II 1900 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/9>, abgerufen am 29.06.2024.