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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliche und Unmaßgebliches - schwarzes Lrett

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Lotte Sonn in


Schwarzes Brett

Abermals munkelt man von einer "Reform" des höhern Schulwesens, namentlich der
Gymnasien, in Preußen. Nötig wäre sie allerdings, aber als eine wirkliche "Reform," d, h, als
eine Rückbildung zur alten klassischen Grundlage, denn daß die "Reform" von 1891 gründlich
mißlungen ist, das pfeifen die Spatzen von allen Dächern. Statt dessen scheint es im Werke zu
sein, das Frankfurter System (Beginn des Französischen in VI, des Lateinischen in IIIL, des
Griechischen in IIZ) auf alle Gymnasien zu übertragen. Das wäre 1. eine leichtsinnige Ver¬
allgemeinerung der in Frankfurt nur unter ganz besonders günstigen Umständen (Großstadt,
ausgesuchtes Lehrerkollegium, besonders geeignete Schüler) erzielten, aber in ihren weitern
Wirkungen noch nicht erprobten Ergebnisse, die in der ungeheuern Mehrzahl der Gymnasien,
wo keine dieser Bedingungen zutrifft, nur schweres Unheil anrichten würde; 2. entweder eine
unerhörte Vergewaltigung der übrigen deutschen Staaten, da diese sich einer solchen "Reform"
nur höchst widerwillig fügen würden, oder, wenn sie es nicht thäten, ein tieser Riß in das ganze
höhere Unterrichtswesen Deutschlands. Es giebt nur eine vernünftige Lösung der verfahrnen
Schulfragc, allerdings eine ganz radikale, nämlich die Rückkehr der humanistischen Gym¬
nasien zu der alten klassischen Grundlage vor 1891 auf der einen, die Beseitigung
des sogenannten Gymnasialmonopols auf der andern Seite, eines Monopols, an dem
den Gymnasien selbst nicht das allermindeste liegt. Man gebe also den Nealgymnasiasten
den vollen Zutritt zu allen Universitätsstädten, nicht nur zu dem der Medizin.
Dann wird das Geschrei, jetzt seien die Eltern genötigt, viel zu früh die Entscheidung über die
Laufbahn ihrer Söhne zu treffen, also das stärkste Argument sür die sogenannte Einheitsschule,
sofort verstummen. Wie die Universitäten ihrerseits mit Studenten von so verschiedner Vor¬
bildung zurecht kommen werden, das ist dann ihre Sache. Sie haben die Gymnasien in ihrem
schweren Kampfe sür die humanistische Bildung so vollständig im Stich gelassen, ja durch be¬
ständige Klagen über ihre mangelhaften Leistungen bald in dem, bald in jenem Fache so schwer
geschädigt, daß sie mit etwaigen Unbequemlichkeiten nur ernten würden, was sie gesät haben.




Die sechste Versammlung deutscher Historiker ist nach Halle für die Tage vom
4. bis zum 7. April d. I. einberufen. Die Herren Universitätshistoriker wollen wohl hübsch
unter sich bleiben, damit die Reinheit der Wissenschaft nicht durch unzünftiges Volk gefährdet
werde? Denn in diesen Tagen des Semesterschlusscs kann kaum ein Schulhistoriker abkommen.
Das mußten die Herren, die an der Spitze stehn, wissen, und darum verdient dieses Beispiel
einer wahrhaft monumentalen Rücksichtslosigkeit tiefer gehängt zu werden.






Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
Maßgebliche und Unmaßgebliches - schwarzes Lrett

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Abermals munkelt man von einer „Reform" des höhern Schulwesens, namentlich der
Gymnasien, in Preußen. Nötig wäre sie allerdings, aber als eine wirkliche „Reform," d, h, als
eine Rückbildung zur alten klassischen Grundlage, denn daß die „Reform" von 1891 gründlich
mißlungen ist, das pfeifen die Spatzen von allen Dächern. Statt dessen scheint es im Werke zu
sein, das Frankfurter System (Beginn des Französischen in VI, des Lateinischen in IIIL, des
Griechischen in IIZ) auf alle Gymnasien zu übertragen. Das wäre 1. eine leichtsinnige Ver¬
allgemeinerung der in Frankfurt nur unter ganz besonders günstigen Umständen (Großstadt,
ausgesuchtes Lehrerkollegium, besonders geeignete Schüler) erzielten, aber in ihren weitern
Wirkungen noch nicht erprobten Ergebnisse, die in der ungeheuern Mehrzahl der Gymnasien,
wo keine dieser Bedingungen zutrifft, nur schweres Unheil anrichten würde; 2. entweder eine
unerhörte Vergewaltigung der übrigen deutschen Staaten, da diese sich einer solchen „Reform"
nur höchst widerwillig fügen würden, oder, wenn sie es nicht thäten, ein tieser Riß in das ganze
höhere Unterrichtswesen Deutschlands. Es giebt nur eine vernünftige Lösung der verfahrnen
Schulfragc, allerdings eine ganz radikale, nämlich die Rückkehr der humanistischen Gym¬
nasien zu der alten klassischen Grundlage vor 1891 auf der einen, die Beseitigung
des sogenannten Gymnasialmonopols auf der andern Seite, eines Monopols, an dem
den Gymnasien selbst nicht das allermindeste liegt. Man gebe also den Nealgymnasiasten
den vollen Zutritt zu allen Universitätsstädten, nicht nur zu dem der Medizin.
Dann wird das Geschrei, jetzt seien die Eltern genötigt, viel zu früh die Entscheidung über die
Laufbahn ihrer Söhne zu treffen, also das stärkste Argument sür die sogenannte Einheitsschule,
sofort verstummen. Wie die Universitäten ihrerseits mit Studenten von so verschiedner Vor¬
bildung zurecht kommen werden, das ist dann ihre Sache. Sie haben die Gymnasien in ihrem
schweren Kampfe sür die humanistische Bildung so vollständig im Stich gelassen, ja durch be¬
ständige Klagen über ihre mangelhaften Leistungen bald in dem, bald in jenem Fache so schwer
geschädigt, daß sie mit etwaigen Unbequemlichkeiten nur ernten würden, was sie gesät haben.




Die sechste Versammlung deutscher Historiker ist nach Halle für die Tage vom
4. bis zum 7. April d. I. einberufen. Die Herren Universitätshistoriker wollen wohl hübsch
unter sich bleiben, damit die Reinheit der Wissenschaft nicht durch unzünftiges Volk gefährdet
werde? Denn in diesen Tagen des Semesterschlusscs kann kaum ein Schulhistoriker abkommen.
Das mußten die Herren, die an der Spitze stehn, wissen, und darum verdient dieses Beispiel
einer wahrhaft monumentalen Rücksichtslosigkeit tiefer gehängt zu werden.






Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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[0064] Maßgebliche und Unmaßgebliches - schwarzes Lrett nächstes Jahr mit etwas neuem kommen werden? Könnten Sie mir darüber ein Wort schreiben, würden Sie zu Dank verpflichten Ihre Lotte Sonn in Schwarzes Brett Abermals munkelt man von einer „Reform" des höhern Schulwesens, namentlich der Gymnasien, in Preußen. Nötig wäre sie allerdings, aber als eine wirkliche „Reform," d, h, als eine Rückbildung zur alten klassischen Grundlage, denn daß die „Reform" von 1891 gründlich mißlungen ist, das pfeifen die Spatzen von allen Dächern. Statt dessen scheint es im Werke zu sein, das Frankfurter System (Beginn des Französischen in VI, des Lateinischen in IIIL, des Griechischen in IIZ) auf alle Gymnasien zu übertragen. Das wäre 1. eine leichtsinnige Ver¬ allgemeinerung der in Frankfurt nur unter ganz besonders günstigen Umständen (Großstadt, ausgesuchtes Lehrerkollegium, besonders geeignete Schüler) erzielten, aber in ihren weitern Wirkungen noch nicht erprobten Ergebnisse, die in der ungeheuern Mehrzahl der Gymnasien, wo keine dieser Bedingungen zutrifft, nur schweres Unheil anrichten würde; 2. entweder eine unerhörte Vergewaltigung der übrigen deutschen Staaten, da diese sich einer solchen „Reform" nur höchst widerwillig fügen würden, oder, wenn sie es nicht thäten, ein tieser Riß in das ganze höhere Unterrichtswesen Deutschlands. Es giebt nur eine vernünftige Lösung der verfahrnen Schulfragc, allerdings eine ganz radikale, nämlich die Rückkehr der humanistischen Gym¬ nasien zu der alten klassischen Grundlage vor 1891 auf der einen, die Beseitigung des sogenannten Gymnasialmonopols auf der andern Seite, eines Monopols, an dem den Gymnasien selbst nicht das allermindeste liegt. Man gebe also den Nealgymnasiasten den vollen Zutritt zu allen Universitätsstädten, nicht nur zu dem der Medizin. Dann wird das Geschrei, jetzt seien die Eltern genötigt, viel zu früh die Entscheidung über die Laufbahn ihrer Söhne zu treffen, also das stärkste Argument sür die sogenannte Einheitsschule, sofort verstummen. Wie die Universitäten ihrerseits mit Studenten von so verschiedner Vor¬ bildung zurecht kommen werden, das ist dann ihre Sache. Sie haben die Gymnasien in ihrem schweren Kampfe sür die humanistische Bildung so vollständig im Stich gelassen, ja durch be¬ ständige Klagen über ihre mangelhaften Leistungen bald in dem, bald in jenem Fache so schwer geschädigt, daß sie mit etwaigen Unbequemlichkeiten nur ernten würden, was sie gesät haben. Die sechste Versammlung deutscher Historiker ist nach Halle für die Tage vom 4. bis zum 7. April d. I. einberufen. Die Herren Universitätshistoriker wollen wohl hübsch unter sich bleiben, damit die Reinheit der Wissenschaft nicht durch unzünftiges Volk gefährdet werde? Denn in diesen Tagen des Semesterschlusscs kann kaum ein Schulhistoriker abkommen. Das mußten die Herren, die an der Spitze stehn, wissen, und darum verdient dieses Beispiel einer wahrhaft monumentalen Rücksichtslosigkeit tiefer gehängt zu werden. Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/64>, abgerufen am 29.06.2024.