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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Drei Anekdoten aus dein alten Rurhessen

nehmungen zu schaffe", sich selbst gleichsam überflüssig zu machen. Wo, wie
in Krefeld, die Gunst der holländischen Nachbarschaft eine bedeutende Industrie
ohne Schutzzoll, ohne Bonifikation und Reglement geschaffen hatte, da dachte
der König uicht um Staatseimnischnng; höchstens stützte er das thatsächliche
Monopol der Gebrüder von der Lehen, weil er sah, daß dieses große Haus
war, die ganze Industrie musterhaft emporzubringen und zu leiten. Im
übrigen zeigte er gerade darin seine administrative, sich nicht nach der Scha¬
blone, sondern nach den Menschen und Verhältnissen richtende Weisheit, daß
er zugleich so entgegengesetzte Shsteme der Judustriepolitik anwandte, in Berlin
die schroffste staatliche Leitung der Industrie, in Krefeld ein vollständiges
I^g,i8868 lÄirs.

Freilich war er ja selbst in seinem innersten Wesen ebenso sehr ein philo¬
sophischer Jünger der individualistischen Aufklärung, als ein letzter großer Ver¬
treter des fürstlichen Absolutismus; der preußische Staat war unter ihm ebenso
auf Rechtssicherheit, Unabhängigkeit der Überzeugung und der individuellen
Meinung als auf Disziplin, Gehorsam und Unterordnung gestellt. Hätte er
nicht diese seltnen Eigenschaften in sich vereinigt, er wäre nicht der große König
gewesen.

Wir meinen, daß sich mit diesen Studien Schmoller das Verdienst er¬
worben hat, die vagen Begriffe "absolutistische Regierung," "Staatsindustrie" usw.,
die man auf die Regierung Friedrich Wilhelms I. und Friedrichs des Große"
häufig anwendet, in lebensvolle Wirklichkeiten verwandelt zu haben. Freilich
stammen diese Arbeiten alle ans frühern Jahren, und mau sollte meinen, ihre
Ergebnisse würcu längst Gemeingut geworden; das ist aber leider keineswegs der
Fall, und wir können es deshalb nur mit Freude begrüßen, daß dieser Gelehrte
uns seine bisher verstreuten kleinern Arbeiten gesammelt übergiebt. Der Band,
aus dem wir unsern Stoff geschöpft haben, ist der vierte dieser Sammlung, auf
die nachdrücklich aufmerksam zu machen wir uns für verpflichtet halten.




Drei Anekdoten aus dem alten Kurliessen
R. A. Philipp! von

es habe mir in diesen Tagen aus dem Werke von Karl Braun
"Bilder ans der deutschen Kleinstaaterei" den Artikel "Der letzte
kurhessische Landtag" vorlesen lassen, denn meine emnndneunzig-
jährigen Augen erlauben mir nicht mehr selbst zu lesen, und da
sind mir drei mir ganz genau bekannte kleine Ereignisse einge¬
fallen, die einerseits die von Braun gegebne Charakteristik des Seelenlebens


Drei Anekdoten aus dein alten Rurhessen

nehmungen zu schaffe«, sich selbst gleichsam überflüssig zu machen. Wo, wie
in Krefeld, die Gunst der holländischen Nachbarschaft eine bedeutende Industrie
ohne Schutzzoll, ohne Bonifikation und Reglement geschaffen hatte, da dachte
der König uicht um Staatseimnischnng; höchstens stützte er das thatsächliche
Monopol der Gebrüder von der Lehen, weil er sah, daß dieses große Haus
war, die ganze Industrie musterhaft emporzubringen und zu leiten. Im
übrigen zeigte er gerade darin seine administrative, sich nicht nach der Scha¬
blone, sondern nach den Menschen und Verhältnissen richtende Weisheit, daß
er zugleich so entgegengesetzte Shsteme der Judustriepolitik anwandte, in Berlin
die schroffste staatliche Leitung der Industrie, in Krefeld ein vollständiges
I^g,i8868 lÄirs.

Freilich war er ja selbst in seinem innersten Wesen ebenso sehr ein philo¬
sophischer Jünger der individualistischen Aufklärung, als ein letzter großer Ver¬
treter des fürstlichen Absolutismus; der preußische Staat war unter ihm ebenso
auf Rechtssicherheit, Unabhängigkeit der Überzeugung und der individuellen
Meinung als auf Disziplin, Gehorsam und Unterordnung gestellt. Hätte er
nicht diese seltnen Eigenschaften in sich vereinigt, er wäre nicht der große König
gewesen.

Wir meinen, daß sich mit diesen Studien Schmoller das Verdienst er¬
worben hat, die vagen Begriffe „absolutistische Regierung," „Staatsindustrie" usw.,
die man auf die Regierung Friedrich Wilhelms I. und Friedrichs des Große»
häufig anwendet, in lebensvolle Wirklichkeiten verwandelt zu haben. Freilich
stammen diese Arbeiten alle ans frühern Jahren, und mau sollte meinen, ihre
Ergebnisse würcu längst Gemeingut geworden; das ist aber leider keineswegs der
Fall, und wir können es deshalb nur mit Freude begrüßen, daß dieser Gelehrte
uns seine bisher verstreuten kleinern Arbeiten gesammelt übergiebt. Der Band,
aus dem wir unsern Stoff geschöpft haben, ist der vierte dieser Sammlung, auf
die nachdrücklich aufmerksam zu machen wir uns für verpflichtet halten.




Drei Anekdoten aus dem alten Kurliessen
R. A. Philipp! von

es habe mir in diesen Tagen aus dem Werke von Karl Braun
„Bilder ans der deutschen Kleinstaaterei" den Artikel „Der letzte
kurhessische Landtag" vorlesen lassen, denn meine emnndneunzig-
jährigen Augen erlauben mir nicht mehr selbst zu lesen, und da
sind mir drei mir ganz genau bekannte kleine Ereignisse einge¬
fallen, die einerseits die von Braun gegebne Charakteristik des Seelenlebens


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[0634] Drei Anekdoten aus dein alten Rurhessen nehmungen zu schaffe«, sich selbst gleichsam überflüssig zu machen. Wo, wie in Krefeld, die Gunst der holländischen Nachbarschaft eine bedeutende Industrie ohne Schutzzoll, ohne Bonifikation und Reglement geschaffen hatte, da dachte der König uicht um Staatseimnischnng; höchstens stützte er das thatsächliche Monopol der Gebrüder von der Lehen, weil er sah, daß dieses große Haus war, die ganze Industrie musterhaft emporzubringen und zu leiten. Im übrigen zeigte er gerade darin seine administrative, sich nicht nach der Scha¬ blone, sondern nach den Menschen und Verhältnissen richtende Weisheit, daß er zugleich so entgegengesetzte Shsteme der Judustriepolitik anwandte, in Berlin die schroffste staatliche Leitung der Industrie, in Krefeld ein vollständiges I^g,i8868 lÄirs. Freilich war er ja selbst in seinem innersten Wesen ebenso sehr ein philo¬ sophischer Jünger der individualistischen Aufklärung, als ein letzter großer Ver¬ treter des fürstlichen Absolutismus; der preußische Staat war unter ihm ebenso auf Rechtssicherheit, Unabhängigkeit der Überzeugung und der individuellen Meinung als auf Disziplin, Gehorsam und Unterordnung gestellt. Hätte er nicht diese seltnen Eigenschaften in sich vereinigt, er wäre nicht der große König gewesen. Wir meinen, daß sich mit diesen Studien Schmoller das Verdienst er¬ worben hat, die vagen Begriffe „absolutistische Regierung," „Staatsindustrie" usw., die man auf die Regierung Friedrich Wilhelms I. und Friedrichs des Große» häufig anwendet, in lebensvolle Wirklichkeiten verwandelt zu haben. Freilich stammen diese Arbeiten alle ans frühern Jahren, und mau sollte meinen, ihre Ergebnisse würcu längst Gemeingut geworden; das ist aber leider keineswegs der Fall, und wir können es deshalb nur mit Freude begrüßen, daß dieser Gelehrte uns seine bisher verstreuten kleinern Arbeiten gesammelt übergiebt. Der Band, aus dem wir unsern Stoff geschöpft haben, ist der vierte dieser Sammlung, auf die nachdrücklich aufmerksam zu machen wir uns für verpflichtet halten. Drei Anekdoten aus dem alten Kurliessen R. A. Philipp! von es habe mir in diesen Tagen aus dem Werke von Karl Braun „Bilder ans der deutschen Kleinstaaterei" den Artikel „Der letzte kurhessische Landtag" vorlesen lassen, denn meine emnndneunzig- jährigen Augen erlauben mir nicht mehr selbst zu lesen, und da sind mir drei mir ganz genau bekannte kleine Ereignisse einge¬ fallen, die einerseits die von Braun gegebne Charakteristik des Seelenlebens

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/634>, abgerufen am 29.06.2024.