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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Kontinentales und maritimes Gleichgewicht
v Ernst von der Brügger on

MI hat seit 1815 England oft den Balancier Europas genannt,
lind in der That hat England sich jederzeit bemüht, keinen der
kontinentalen Staaten zu stark werden zu lassen, und zwar, hat
es das nicht erst seit der napoleonischen Zeit, sondern mich schon
vorher gethan. Ein Unterschied lag mir darin, daß es sich vorher
immer gegen die Macht wandte, die zur See übermächtig zu werden drohte,
wie Spanien zur Zeit Philipps II., dann Holland nach der Losreißung von
Spanien, dann Frankreich um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts. Seit
es keinen Nebenbuhler zur See mehr gab, balancierte England das kontinentale
Gleichgewicht, indem es Schützer der Schwachen wurde, soweit diese ihm gegen
die Starken nützlich werden konnten. Nachdem es die französische Flotte ver¬
nichtet und die französischen Kolonien genommen hatte, gab es Frankreich etwas
eigenmächtig und etwas pomphaft seinen .König wieder "ut verhinderte die
Rückgabe des Elsaß und den Wiederanschluß, der Niederlande um Deutschland.
Besonders die letzte Eventualität hätte ja eine holländisch-deutsche Seemacht
können erstehn lassen; und noch weniger durste Frankreich an der Küste des
Kanals gestärkt werden, weshalb denn die alten spanischen Niederlande zu
einem neuen Königreich wieder vereinigt werden mußten, und weshalb sich
seither England immer als Protektor der Freiheit der Niederlande gebärdete.
mich wenn niemand diese Freiheit bedrohte. Der Eifer für die Freiheit der
Kleinen ging so weit, daß England im Jahre 1830 mit Wohlgefallen Belgien
sich von Holland trennen und eine eigne Unabhängigkeit gründen sah, wodurch
Holland noch weniger gefährlich wurde als vorher. Als sich der französische
Schützling Englands in Verona, 1822, entschloß, in Spanien dem bourbo-
nischen Better ans der Patsche zu helfen, da überkam England das alte
Gruseln vor bourbonischen Fmnilienpakten, und indem Cuming im Namen der


Grenzboten II 1900 70


Kontinentales und maritimes Gleichgewicht
v Ernst von der Brügger on

MI hat seit 1815 England oft den Balancier Europas genannt,
lind in der That hat England sich jederzeit bemüht, keinen der
kontinentalen Staaten zu stark werden zu lassen, und zwar, hat
es das nicht erst seit der napoleonischen Zeit, sondern mich schon
vorher gethan. Ein Unterschied lag mir darin, daß es sich vorher
immer gegen die Macht wandte, die zur See übermächtig zu werden drohte,
wie Spanien zur Zeit Philipps II., dann Holland nach der Losreißung von
Spanien, dann Frankreich um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts. Seit
es keinen Nebenbuhler zur See mehr gab, balancierte England das kontinentale
Gleichgewicht, indem es Schützer der Schwachen wurde, soweit diese ihm gegen
die Starken nützlich werden konnten. Nachdem es die französische Flotte ver¬
nichtet und die französischen Kolonien genommen hatte, gab es Frankreich etwas
eigenmächtig und etwas pomphaft seinen .König wieder »ut verhinderte die
Rückgabe des Elsaß und den Wiederanschluß, der Niederlande um Deutschland.
Besonders die letzte Eventualität hätte ja eine holländisch-deutsche Seemacht
können erstehn lassen; und noch weniger durste Frankreich an der Küste des
Kanals gestärkt werden, weshalb denn die alten spanischen Niederlande zu
einem neuen Königreich wieder vereinigt werden mußten, und weshalb sich
seither England immer als Protektor der Freiheit der Niederlande gebärdete.
mich wenn niemand diese Freiheit bedrohte. Der Eifer für die Freiheit der
Kleinen ging so weit, daß England im Jahre 1830 mit Wohlgefallen Belgien
sich von Holland trennen und eine eigne Unabhängigkeit gründen sah, wodurch
Holland noch weniger gefährlich wurde als vorher. Als sich der französische
Schützling Englands in Verona, 1822, entschloß, in Spanien dem bourbo-
nischen Better ans der Patsche zu helfen, da überkam England das alte
Gruseln vor bourbonischen Fmnilienpakten, und indem Cuming im Namen der


Grenzboten II 1900 70
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[0561] [Abbildung] Kontinentales und maritimes Gleichgewicht v Ernst von der Brügger on MI hat seit 1815 England oft den Balancier Europas genannt, lind in der That hat England sich jederzeit bemüht, keinen der kontinentalen Staaten zu stark werden zu lassen, und zwar, hat es das nicht erst seit der napoleonischen Zeit, sondern mich schon vorher gethan. Ein Unterschied lag mir darin, daß es sich vorher immer gegen die Macht wandte, die zur See übermächtig zu werden drohte, wie Spanien zur Zeit Philipps II., dann Holland nach der Losreißung von Spanien, dann Frankreich um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts. Seit es keinen Nebenbuhler zur See mehr gab, balancierte England das kontinentale Gleichgewicht, indem es Schützer der Schwachen wurde, soweit diese ihm gegen die Starken nützlich werden konnten. Nachdem es die französische Flotte ver¬ nichtet und die französischen Kolonien genommen hatte, gab es Frankreich etwas eigenmächtig und etwas pomphaft seinen .König wieder »ut verhinderte die Rückgabe des Elsaß und den Wiederanschluß, der Niederlande um Deutschland. Besonders die letzte Eventualität hätte ja eine holländisch-deutsche Seemacht können erstehn lassen; und noch weniger durste Frankreich an der Küste des Kanals gestärkt werden, weshalb denn die alten spanischen Niederlande zu einem neuen Königreich wieder vereinigt werden mußten, und weshalb sich seither England immer als Protektor der Freiheit der Niederlande gebärdete. mich wenn niemand diese Freiheit bedrohte. Der Eifer für die Freiheit der Kleinen ging so weit, daß England im Jahre 1830 mit Wohlgefallen Belgien sich von Holland trennen und eine eigne Unabhängigkeit gründen sah, wodurch Holland noch weniger gefährlich wurde als vorher. Als sich der französische Schützling Englands in Verona, 1822, entschloß, in Spanien dem bourbo- nischen Better ans der Patsche zu helfen, da überkam England das alte Gruseln vor bourbonischen Fmnilienpakten, und indem Cuming im Namen der Grenzboten II 1900 70

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/561>, abgerufen am 29.06.2024.