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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Die tschechische Obstruktion

as Ministerium Körber, das mit ebensoviel gutem Willen als zäher
Geduld die schwierige Aufgabe übernommen hatte, das vom Grafen
Badeui gestörte, vom Grafen Thun nur ganz zeitlveilig hergestellte
und auch unter seinem Nachfolger Grafen Clnry noch immer be¬
drohte konstitutionelle Leben Österreichs wieder in das richtige
Geleise zu bringen, ist mit Klugheit und Geschick an die Lösung der
großen Lebensfrage Österreichs, einen Ausgleich zwischen Tschechen und Deutschen
herangetreten. Nach Überwindung großer Schwierigkeiten, die man einem Ausländer
schwer begreiflich machen kann, gelang es ihm zunächst, Vertreter der beiden das
Königreich Böhmen bewohnenden Völker am grünen Tische zu außerparlamenta¬
rischer Beratung zusammenzubringen und wenigstens einige zwischen ihnen strittige
Punkte, insbesondre die Sprache bei den autonomen Behörden, einem Einvernehmen
ganz nahe zu bringen. Nun hatte aber die deutsche Volkspartei die Ausgleichungs-
kvnferenz nur uuter der Bedingung beschickt, daß der Reichstag bald wieder ein¬
berufen werden sollte. Mit der Erfüllung dieser Zusage vor demi vollständigen
Abschluß eines Ausgleichs, der für die rein tschechischen Bezirke Böhmens die
tschechische innere Amtssprache bringen sollte, waren nun die Tschechen höchlich un¬
zufrieden und griffen alsbald zu der Waffe der Obstruktion. Nur mit großer
Mühe wurden sie von ihren Verbündeten, den Polen und den Klerikalen, dahin
gebracht, wenigstens die Bewilligung einer der Krone am meisten um Herzen
liegenden Stnatsnotwendigkeit, die Bewilligung des Rekrntenkontingents, nicht zu
hindern. Angesichts der Notwendigkeit, auch die Landtage zur Erledigung ihrer
gesetzlichen Obliegenheiten einzuberufen, forderten die Tschechen die Fortsetzung der
Ausgleichskvnferenzen in Prag. Das wurde auf das bestimmteste von den Deutschen
abgelehnt, die einesteils mit gutem Grunde das Ausgleichswerk nicht durch die
Leidenschaften der Straße bedrohen lassen konnten, andernteils grundsätzlich die Be¬
ratung über eine das ganze Reich betreffende.Angelegenheit nicht mit der Thätig¬
keit des böhmischen Landtags in Verbindung gebracht wissen wollten, da sie dessen
Kompetenz in der Sprachenfrage bestreiten. Daß in Prag ein für jeden Ausgleich
ungünstiger Wind wehn würde, stand von vornherein fest.

Der Verlauf der böhmischen Landtagssession hat gezeigt, wie begründet die
Befürchtungen wegen einer Beeinflussung der Friedensncigung der tschechischen
Volksvertreter gewesen sind. Die radikale Partei wirft den Jnngtschechen allzu¬
große Nachgiebigkeit vor und sucht ihnen in der Bevölkerung in ganz ähnlicher
Weise den Boden abzugraben, wie es vor einem Jahrzehnt bei den Wiener Punk¬
tationen den Alttschechen widerfahren war.

Jetzt rächt sich an den Herren Pacnk, Herold, Kaizl, Kramarsch und Genossen
die maßlose Aufstachluug der nationalen Leidenschaften bei ihren Stammesgenossen.
Schon der Eintritt in die Ausgleichskonferenzen ohne vorherige Sühne der Auf¬
hebung der Badenischen Sprachenverordnungen, mit andern Worten ohne be-




Die tschechische Obstruktion

as Ministerium Körber, das mit ebensoviel gutem Willen als zäher
Geduld die schwierige Aufgabe übernommen hatte, das vom Grafen
Badeui gestörte, vom Grafen Thun nur ganz zeitlveilig hergestellte
und auch unter seinem Nachfolger Grafen Clnry noch immer be¬
drohte konstitutionelle Leben Österreichs wieder in das richtige
Geleise zu bringen, ist mit Klugheit und Geschick an die Lösung der
großen Lebensfrage Österreichs, einen Ausgleich zwischen Tschechen und Deutschen
herangetreten. Nach Überwindung großer Schwierigkeiten, die man einem Ausländer
schwer begreiflich machen kann, gelang es ihm zunächst, Vertreter der beiden das
Königreich Böhmen bewohnenden Völker am grünen Tische zu außerparlamenta¬
rischer Beratung zusammenzubringen und wenigstens einige zwischen ihnen strittige
Punkte, insbesondre die Sprache bei den autonomen Behörden, einem Einvernehmen
ganz nahe zu bringen. Nun hatte aber die deutsche Volkspartei die Ausgleichungs-
kvnferenz nur uuter der Bedingung beschickt, daß der Reichstag bald wieder ein¬
berufen werden sollte. Mit der Erfüllung dieser Zusage vor demi vollständigen
Abschluß eines Ausgleichs, der für die rein tschechischen Bezirke Böhmens die
tschechische innere Amtssprache bringen sollte, waren nun die Tschechen höchlich un¬
zufrieden und griffen alsbald zu der Waffe der Obstruktion. Nur mit großer
Mühe wurden sie von ihren Verbündeten, den Polen und den Klerikalen, dahin
gebracht, wenigstens die Bewilligung einer der Krone am meisten um Herzen
liegenden Stnatsnotwendigkeit, die Bewilligung des Rekrntenkontingents, nicht zu
hindern. Angesichts der Notwendigkeit, auch die Landtage zur Erledigung ihrer
gesetzlichen Obliegenheiten einzuberufen, forderten die Tschechen die Fortsetzung der
Ausgleichskvnferenzen in Prag. Das wurde auf das bestimmteste von den Deutschen
abgelehnt, die einesteils mit gutem Grunde das Ausgleichswerk nicht durch die
Leidenschaften der Straße bedrohen lassen konnten, andernteils grundsätzlich die Be¬
ratung über eine das ganze Reich betreffende.Angelegenheit nicht mit der Thätig¬
keit des böhmischen Landtags in Verbindung gebracht wissen wollten, da sie dessen
Kompetenz in der Sprachenfrage bestreiten. Daß in Prag ein für jeden Ausgleich
ungünstiger Wind wehn würde, stand von vornherein fest.

Der Verlauf der böhmischen Landtagssession hat gezeigt, wie begründet die
Befürchtungen wegen einer Beeinflussung der Friedensncigung der tschechischen
Volksvertreter gewesen sind. Die radikale Partei wirft den Jnngtschechen allzu¬
große Nachgiebigkeit vor und sucht ihnen in der Bevölkerung in ganz ähnlicher
Weise den Boden abzugraben, wie es vor einem Jahrzehnt bei den Wiener Punk¬
tationen den Alttschechen widerfahren war.

Jetzt rächt sich an den Herren Pacnk, Herold, Kaizl, Kramarsch und Genossen
die maßlose Aufstachluug der nationalen Leidenschaften bei ihren Stammesgenossen.
Schon der Eintritt in die Ausgleichskonferenzen ohne vorherige Sühne der Auf¬
hebung der Badenischen Sprachenverordnungen, mit andern Worten ohne be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/549>, abgerufen am 29.06.2024.