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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Erinnerungen an den ungarischen Feldzug im Jahre ^3^9

beruhten einerseits auf der Begeisterung der Ungarn für eine Sache, die ihnen
gerecht erschien, andrerseits auf der ungewöhnlichen Begabung junger und
energischer Anführer, wie Görgei, Klapka und andrer. Nach Verlauf von
einigen Monaten war die Armee der Aufständischen so gewachsen, daß ihr
Österreich mit 20000 Mann regulärer Truppen keinen Widerstand leisten
konnte und außer den Verlusten, die es durch massenhaftes Überlaufen seiner
Soldaten zu den Ungarn erlitt, noch fortwährende Niederlagen zu tragen
hatte. Mit einem Wort: im April 1849 war Österreich, das seine Kriegsmacht
zwischen zwei aufrührerischen Erhebungen -- in Italien und in Österreich --
und einer dritten, die täglich in Böhmen auszubrechen drohte, zersplitterte, am
Rande des Verderbens.

In dieser Lage war es gezwungen, sein Augenmerk auf den Beistand des
ganzen Europas, besonders auf Rußland, zu richten, das ihm uicht nur seit
langem verbündet war, sondern zugleich in seinem ganzen Wesen die ruhige
Sicherheit und den festen Bestand des monarchischen Prinzips verkörperte.
Dieser Verbündete hatte außerdem mehr als andre das Recht, an der Be¬
kämpfung des Aufstands mitzuwirken, weil auch die Polen in der Absicht, ihr
Land zu befreien, an der ungarischen Erhebung teil genommen hatten. Im
Vorgefühl seiner wichtige" Bestimmung stand Rußland kampfbereit da und
folgte dein Gange der Ereignisse mit gespannter Aufmerksamkeit. Als unsre
(die russischen) Truppen die Grenze überschritten, erschrak Kossuth in Debreczin,
und Görgei sagte, daß für sein Vaterland alles verloren sei. Die Demokraten
in Europa schauten mit schlecht verhohlner Bestürzung auf die Reihen unsrer
Truppen, die die Karpathen überstiegen; denn beim ersten Wort des russischen
Zaren nahmen alle Dinge eine andre Wendung. Ich war während des unga¬
rischen Feldzugs Adjutant bei dem Kommandanten der dritten Division, Grafen
Theodor Rüdiger, und weilte dank seiner Freundlichkeit immer im Haupt¬
quartier, dem Mittel- und Ausgangspunkt aller kriegerischen Ereignisse.


^ Arakan -- Beziehungen der russischen Truppen zu den österreichischen --
Mahl im Adelsklub -- Übergang über die Aarpathen

Nach dem Ausmarsch unsrer Truppen aus dem .Königreich Polen wurde
der Stab der dritten Infanteriedivision unter dem Generaladjutanten Grafen
Rüdiger mit der Eisenbahn direkt nach Krakau befördert, wo wir am 8. Mai
um sieben Uhr abends anlangten. Krcckan war der Herd der polnischen Revo¬
lution, und da wir das Jahr 1846, wo die Erhebung und Diktatur Tissowskis
die Empörung ganz Polens bezweckten, noch in frischer Erinnerung hatten, so
hielt es der vorsichtige Kommandant für nötig, bei der Wahl eines Hauses
für seinen Aufenthalt besonders behutsam zu verfahren. Graf Adam Potocki
und Gräfin Plater boten ihm ihre prächtigen Paläste an, aber Graf Rüdiger
nahm, nachdem er seinen Dank für diese Gastfreundschaft ausgesprochen hatte,
im Hause des Bankiers Hetzel Quartier, den er für einen Ehrenmann hielt.
Für den Empfang des russischen Kommandanten waren in Krakau großartige


Erinnerungen an den ungarischen Feldzug im Jahre ^3^9

beruhten einerseits auf der Begeisterung der Ungarn für eine Sache, die ihnen
gerecht erschien, andrerseits auf der ungewöhnlichen Begabung junger und
energischer Anführer, wie Görgei, Klapka und andrer. Nach Verlauf von
einigen Monaten war die Armee der Aufständischen so gewachsen, daß ihr
Österreich mit 20000 Mann regulärer Truppen keinen Widerstand leisten
konnte und außer den Verlusten, die es durch massenhaftes Überlaufen seiner
Soldaten zu den Ungarn erlitt, noch fortwährende Niederlagen zu tragen
hatte. Mit einem Wort: im April 1849 war Österreich, das seine Kriegsmacht
zwischen zwei aufrührerischen Erhebungen — in Italien und in Österreich —
und einer dritten, die täglich in Böhmen auszubrechen drohte, zersplitterte, am
Rande des Verderbens.

In dieser Lage war es gezwungen, sein Augenmerk auf den Beistand des
ganzen Europas, besonders auf Rußland, zu richten, das ihm uicht nur seit
langem verbündet war, sondern zugleich in seinem ganzen Wesen die ruhige
Sicherheit und den festen Bestand des monarchischen Prinzips verkörperte.
Dieser Verbündete hatte außerdem mehr als andre das Recht, an der Be¬
kämpfung des Aufstands mitzuwirken, weil auch die Polen in der Absicht, ihr
Land zu befreien, an der ungarischen Erhebung teil genommen hatten. Im
Vorgefühl seiner wichtige» Bestimmung stand Rußland kampfbereit da und
folgte dein Gange der Ereignisse mit gespannter Aufmerksamkeit. Als unsre
(die russischen) Truppen die Grenze überschritten, erschrak Kossuth in Debreczin,
und Görgei sagte, daß für sein Vaterland alles verloren sei. Die Demokraten
in Europa schauten mit schlecht verhohlner Bestürzung auf die Reihen unsrer
Truppen, die die Karpathen überstiegen; denn beim ersten Wort des russischen
Zaren nahmen alle Dinge eine andre Wendung. Ich war während des unga¬
rischen Feldzugs Adjutant bei dem Kommandanten der dritten Division, Grafen
Theodor Rüdiger, und weilte dank seiner Freundlichkeit immer im Haupt¬
quartier, dem Mittel- und Ausgangspunkt aller kriegerischen Ereignisse.


^ Arakan — Beziehungen der russischen Truppen zu den österreichischen —
Mahl im Adelsklub — Übergang über die Aarpathen

Nach dem Ausmarsch unsrer Truppen aus dem .Königreich Polen wurde
der Stab der dritten Infanteriedivision unter dem Generaladjutanten Grafen
Rüdiger mit der Eisenbahn direkt nach Krakau befördert, wo wir am 8. Mai
um sieben Uhr abends anlangten. Krcckan war der Herd der polnischen Revo¬
lution, und da wir das Jahr 1846, wo die Erhebung und Diktatur Tissowskis
die Empörung ganz Polens bezweckten, noch in frischer Erinnerung hatten, so
hielt es der vorsichtige Kommandant für nötig, bei der Wahl eines Hauses
für seinen Aufenthalt besonders behutsam zu verfahren. Graf Adam Potocki
und Gräfin Plater boten ihm ihre prächtigen Paläste an, aber Graf Rüdiger
nahm, nachdem er seinen Dank für diese Gastfreundschaft ausgesprochen hatte,
im Hause des Bankiers Hetzel Quartier, den er für einen Ehrenmann hielt.
Für den Empfang des russischen Kommandanten waren in Krakau großartige


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/42>, abgerufen am 29.06.2024.