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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Erinnerungen an den ungarischen Feldzug im Jahre ^3H9

des echten Mystikers sei im Innern, nicht im Äußern. Ganz recht! Aber
daraus folgt doch eben, daß die Mystik nicht die allgemeine Religion des
deutschen Volks sein kann, und daß dieses eine mehr äußerliche Religion
braucht, da es, wie gerade Chamberlain kräftig betont, ohne Religion nicht be¬
stelln kann. Wie kann er so auf starke Persönlichkeit und auf geistige Unabhängig¬
keit dringen und zugleich als den Kern germanischer Religion Meister Eckharts
Wort anführen: "So lange ich dies und das bin oder dies und das habe, so
bin ich nicht alle Ding." Soll der Germane die Welt beherrschen, so muß er
dies oder das sein und dies oder das haben und darf nicht im All zerfließen.
Auch wir loben den Meister Eckhart und bekunden durch unser Verständnis
für germanisches Empfinden, daß wir selbst Germanen sind; aber der Kampf
ums Dasein, in dem wir uns ja nach Chamberlains Wunsche behaupten sollen,
zwingt uns, in diesem Punkte Juden und Römer zu sein, wie es ja auch die
Germanen gewesen sind, die das römische Reich zerstört haben. Wenn wir
demnach den Kampf der Germanen gegen das Ungermanische zwar nicht mit
Chamberlain als den ausschließlichen Inhalt der Geschichte seit Christus, aber
doch als einen bedeutenden Teil dieses Inhalts anerkennen, so geschieht das
in der Voraussetzung, daß die Existenz der Nichtarier nicht als ein Übel,
sondern als eine Lebensbedingung für die Germanen und ihre Kultur ange¬
sehen wird.




Erinnerungen an den ungarischen jeldzug
im Jahre
von dem Adjutanten des russischen Generals Grafen Rüdiger Herausgegeben von Adolf Heß, Sxeyer
Einleitung

M^WWWer ungarische Feldzug des Jahres 1849 wird immer einen wich¬
tigen Platz in der Kriegsgeschichte der Neuzeit einnehmen, sowohl
wegen der Absicht, in der er unternommen wurde, als auch wegen
seines Einflusses auf ganz Europa. Es steht mir nicht zu, zu
I entscheiden, worin der Keim des ungarischen Aufstands lag, wie
dieser Aufstand wuchs, und wie er organisiert wurde; aber es giebt in der Ge¬
schichte kein andres Beispiel, daß eine Revolutiouspartei so heimlich und in so
kurzer Zeit eine derartig zahlreiche wohlorganisierte und gut bewaffnete Armee
auf die Beine gebracht hätte. Sie war ganz unbemerkt in Trupps zusammen¬
gekommen und erhielt täglich Verstürkuugen in großer Anzahl. Die Möglich¬
keit und zugleich die Ursachen einer so schnellen Entwicklung des Unternehmens


Grenzboten II 1900 S
Erinnerungen an den ungarischen Feldzug im Jahre ^3H9

des echten Mystikers sei im Innern, nicht im Äußern. Ganz recht! Aber
daraus folgt doch eben, daß die Mystik nicht die allgemeine Religion des
deutschen Volks sein kann, und daß dieses eine mehr äußerliche Religion
braucht, da es, wie gerade Chamberlain kräftig betont, ohne Religion nicht be¬
stelln kann. Wie kann er so auf starke Persönlichkeit und auf geistige Unabhängig¬
keit dringen und zugleich als den Kern germanischer Religion Meister Eckharts
Wort anführen: „So lange ich dies und das bin oder dies und das habe, so
bin ich nicht alle Ding." Soll der Germane die Welt beherrschen, so muß er
dies oder das sein und dies oder das haben und darf nicht im All zerfließen.
Auch wir loben den Meister Eckhart und bekunden durch unser Verständnis
für germanisches Empfinden, daß wir selbst Germanen sind; aber der Kampf
ums Dasein, in dem wir uns ja nach Chamberlains Wunsche behaupten sollen,
zwingt uns, in diesem Punkte Juden und Römer zu sein, wie es ja auch die
Germanen gewesen sind, die das römische Reich zerstört haben. Wenn wir
demnach den Kampf der Germanen gegen das Ungermanische zwar nicht mit
Chamberlain als den ausschließlichen Inhalt der Geschichte seit Christus, aber
doch als einen bedeutenden Teil dieses Inhalts anerkennen, so geschieht das
in der Voraussetzung, daß die Existenz der Nichtarier nicht als ein Übel,
sondern als eine Lebensbedingung für die Germanen und ihre Kultur ange¬
sehen wird.




Erinnerungen an den ungarischen jeldzug
im Jahre
von dem Adjutanten des russischen Generals Grafen Rüdiger Herausgegeben von Adolf Heß, Sxeyer
Einleitung

M^WWWer ungarische Feldzug des Jahres 1849 wird immer einen wich¬
tigen Platz in der Kriegsgeschichte der Neuzeit einnehmen, sowohl
wegen der Absicht, in der er unternommen wurde, als auch wegen
seines Einflusses auf ganz Europa. Es steht mir nicht zu, zu
I entscheiden, worin der Keim des ungarischen Aufstands lag, wie
dieser Aufstand wuchs, und wie er organisiert wurde; aber es giebt in der Ge¬
schichte kein andres Beispiel, daß eine Revolutiouspartei so heimlich und in so
kurzer Zeit eine derartig zahlreiche wohlorganisierte und gut bewaffnete Armee
auf die Beine gebracht hätte. Sie war ganz unbemerkt in Trupps zusammen¬
gekommen und erhielt täglich Verstürkuugen in großer Anzahl. Die Möglich¬
keit und zugleich die Ursachen einer so schnellen Entwicklung des Unternehmens


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[0041] Erinnerungen an den ungarischen Feldzug im Jahre ^3H9 des echten Mystikers sei im Innern, nicht im Äußern. Ganz recht! Aber daraus folgt doch eben, daß die Mystik nicht die allgemeine Religion des deutschen Volks sein kann, und daß dieses eine mehr äußerliche Religion braucht, da es, wie gerade Chamberlain kräftig betont, ohne Religion nicht be¬ stelln kann. Wie kann er so auf starke Persönlichkeit und auf geistige Unabhängig¬ keit dringen und zugleich als den Kern germanischer Religion Meister Eckharts Wort anführen: „So lange ich dies und das bin oder dies und das habe, so bin ich nicht alle Ding." Soll der Germane die Welt beherrschen, so muß er dies oder das sein und dies oder das haben und darf nicht im All zerfließen. Auch wir loben den Meister Eckhart und bekunden durch unser Verständnis für germanisches Empfinden, daß wir selbst Germanen sind; aber der Kampf ums Dasein, in dem wir uns ja nach Chamberlains Wunsche behaupten sollen, zwingt uns, in diesem Punkte Juden und Römer zu sein, wie es ja auch die Germanen gewesen sind, die das römische Reich zerstört haben. Wenn wir demnach den Kampf der Germanen gegen das Ungermanische zwar nicht mit Chamberlain als den ausschließlichen Inhalt der Geschichte seit Christus, aber doch als einen bedeutenden Teil dieses Inhalts anerkennen, so geschieht das in der Voraussetzung, daß die Existenz der Nichtarier nicht als ein Übel, sondern als eine Lebensbedingung für die Germanen und ihre Kultur ange¬ sehen wird. Erinnerungen an den ungarischen jeldzug im Jahre von dem Adjutanten des russischen Generals Grafen Rüdiger Herausgegeben von Adolf Heß, Sxeyer Einleitung M^WWWer ungarische Feldzug des Jahres 1849 wird immer einen wich¬ tigen Platz in der Kriegsgeschichte der Neuzeit einnehmen, sowohl wegen der Absicht, in der er unternommen wurde, als auch wegen seines Einflusses auf ganz Europa. Es steht mir nicht zu, zu I entscheiden, worin der Keim des ungarischen Aufstands lag, wie dieser Aufstand wuchs, und wie er organisiert wurde; aber es giebt in der Ge¬ schichte kein andres Beispiel, daß eine Revolutiouspartei so heimlich und in so kurzer Zeit eine derartig zahlreiche wohlorganisierte und gut bewaffnete Armee auf die Beine gebracht hätte. Sie war ganz unbemerkt in Trupps zusammen¬ gekommen und erhielt täglich Verstürkuugen in großer Anzahl. Die Möglich¬ keit und zugleich die Ursachen einer so schnellen Entwicklung des Unternehmens Grenzboten II 1900 S

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/41>, abgerufen am 29.06.2024.