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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Erdboden

as moderne wirtschaftliche Leben konzentriert sich mehr und mehr
in der reinen Geldwirtschaft, Der maßlos anschwellende Papier-
kcivitalismus drückt alles Persönliche unter die Herrschaft der
Zahl und des materiellen Erfolges hinab, er will von den
Imponderabilien in der Volkswirtschaft nichts wissen, und die
Wissenschaft, die man Nationalökonomie nennt, weiß von ihnen oft nur wenig.
Die moderne Nationalökonomie hat zum wesentlichen Objekt ihrer Forschung
das materielle Volksleben, nicht das gesamte Kulturleben, nimmt aber in der
öffentlichen Meinung die Autorität einer wissenschaftlichen Leiterin des Volks¬
lebens in weiteren Umfange in Anspruch, als ihr gebührt. Da auf der mate¬
riellen Grundlage auch die ideellen Bedürfnisse des Volks ihre Befriedigung
suchen, da materielle und ideelle Interessen überall aneinander grenzen und
ineinander übergreifen, liegt der Nationalökonomie die Versuchung nahe, ihr
materielles Gebiet auf Kosten des ideellen Gebiets vorzuschieben und dadurch
sehr wertvolle und sehr empfindliche Seiten des Volkslebens einem unpassenden
Maßstabe zu unterwerfen. Diese jüngste aller Wissenschaften, der man noch
vor ein paar Jahrzehnten den Eintritt in den Musentempel überhaupt ver¬
wehren, den Namen einer Wissenschaft nicht gewähren wollte, hat sich eine
Menge von Schablonen und Schlagworten geschaffen, die oft auf Dinge an¬
gewandt werden, auf die sie gar nicht oder doch nur höchst einseitig passen.
Zu diesen Dingen gehört der Erdboden, oder wie der gebräuchliche, aber sehr
unhandliche Ausdruck lautet: der Grund und Boden.

Der Erdboden ist ein Kapital einmal der staatlichen Gemeinschaft, die
darauf gegründet ist, und weiter des Einzelnen, insofern, als er an Teilen des
Erdbodens das Eigentumsrecht erworben hat. In dem Ausgleich dieser beiden
Ansprüche untereinander liegt wesentlich die Aufgabe der staatlichen Agrarpolitik.
Die Beziehungen sowohl eines Volks als des Einzelnen zum Erdboden sind
verschieden je nach der Seßhaftigkeit, der Kultur des Volks. Der Nomade


Grenzboten II 1900


Erdboden

as moderne wirtschaftliche Leben konzentriert sich mehr und mehr
in der reinen Geldwirtschaft, Der maßlos anschwellende Papier-
kcivitalismus drückt alles Persönliche unter die Herrschaft der
Zahl und des materiellen Erfolges hinab, er will von den
Imponderabilien in der Volkswirtschaft nichts wissen, und die
Wissenschaft, die man Nationalökonomie nennt, weiß von ihnen oft nur wenig.
Die moderne Nationalökonomie hat zum wesentlichen Objekt ihrer Forschung
das materielle Volksleben, nicht das gesamte Kulturleben, nimmt aber in der
öffentlichen Meinung die Autorität einer wissenschaftlichen Leiterin des Volks¬
lebens in weiteren Umfange in Anspruch, als ihr gebührt. Da auf der mate¬
riellen Grundlage auch die ideellen Bedürfnisse des Volks ihre Befriedigung
suchen, da materielle und ideelle Interessen überall aneinander grenzen und
ineinander übergreifen, liegt der Nationalökonomie die Versuchung nahe, ihr
materielles Gebiet auf Kosten des ideellen Gebiets vorzuschieben und dadurch
sehr wertvolle und sehr empfindliche Seiten des Volkslebens einem unpassenden
Maßstabe zu unterwerfen. Diese jüngste aller Wissenschaften, der man noch
vor ein paar Jahrzehnten den Eintritt in den Musentempel überhaupt ver¬
wehren, den Namen einer Wissenschaft nicht gewähren wollte, hat sich eine
Menge von Schablonen und Schlagworten geschaffen, die oft auf Dinge an¬
gewandt werden, auf die sie gar nicht oder doch nur höchst einseitig passen.
Zu diesen Dingen gehört der Erdboden, oder wie der gebräuchliche, aber sehr
unhandliche Ausdruck lautet: der Grund und Boden.

Der Erdboden ist ein Kapital einmal der staatlichen Gemeinschaft, die
darauf gegründet ist, und weiter des Einzelnen, insofern, als er an Teilen des
Erdbodens das Eigentumsrecht erworben hat. In dem Ausgleich dieser beiden
Ansprüche untereinander liegt wesentlich die Aufgabe der staatlichen Agrarpolitik.
Die Beziehungen sowohl eines Volks als des Einzelnen zum Erdboden sind
verschieden je nach der Seßhaftigkeit, der Kultur des Volks. Der Nomade


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[0273] [Abbildung] Erdboden as moderne wirtschaftliche Leben konzentriert sich mehr und mehr in der reinen Geldwirtschaft, Der maßlos anschwellende Papier- kcivitalismus drückt alles Persönliche unter die Herrschaft der Zahl und des materiellen Erfolges hinab, er will von den Imponderabilien in der Volkswirtschaft nichts wissen, und die Wissenschaft, die man Nationalökonomie nennt, weiß von ihnen oft nur wenig. Die moderne Nationalökonomie hat zum wesentlichen Objekt ihrer Forschung das materielle Volksleben, nicht das gesamte Kulturleben, nimmt aber in der öffentlichen Meinung die Autorität einer wissenschaftlichen Leiterin des Volks¬ lebens in weiteren Umfange in Anspruch, als ihr gebührt. Da auf der mate¬ riellen Grundlage auch die ideellen Bedürfnisse des Volks ihre Befriedigung suchen, da materielle und ideelle Interessen überall aneinander grenzen und ineinander übergreifen, liegt der Nationalökonomie die Versuchung nahe, ihr materielles Gebiet auf Kosten des ideellen Gebiets vorzuschieben und dadurch sehr wertvolle und sehr empfindliche Seiten des Volkslebens einem unpassenden Maßstabe zu unterwerfen. Diese jüngste aller Wissenschaften, der man noch vor ein paar Jahrzehnten den Eintritt in den Musentempel überhaupt ver¬ wehren, den Namen einer Wissenschaft nicht gewähren wollte, hat sich eine Menge von Schablonen und Schlagworten geschaffen, die oft auf Dinge an¬ gewandt werden, auf die sie gar nicht oder doch nur höchst einseitig passen. Zu diesen Dingen gehört der Erdboden, oder wie der gebräuchliche, aber sehr unhandliche Ausdruck lautet: der Grund und Boden. Der Erdboden ist ein Kapital einmal der staatlichen Gemeinschaft, die darauf gegründet ist, und weiter des Einzelnen, insofern, als er an Teilen des Erdbodens das Eigentumsrecht erworben hat. In dem Ausgleich dieser beiden Ansprüche untereinander liegt wesentlich die Aufgabe der staatlichen Agrarpolitik. Die Beziehungen sowohl eines Volks als des Einzelnen zum Erdboden sind verschieden je nach der Seßhaftigkeit, der Kultur des Volks. Der Nomade Grenzboten II 1900

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/273>, abgerufen am 29.06.2024.