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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Kunstlitteratur

wir wieder einmal einig wären, würden wir auch bald so praktisch, gebieterisch
und unbarmherzig gegen andre Völker sein, wie wir es früher waren, und am
meisten sollen sich die Franzosen in acht nehmen, wenn sie sich einbilden, wir
seien nur noch ein Schreibervolk," Der Abschnitt schließt mit dem Satze:
"Im Jahre 1854 gab ich meine christliche Symbolik heraus, freilich nur eine
fleißige Kompilation, aber doch geeignet, auf die Gemütstiefe aufmerksam zu
machen, die sich in der poetischen Auffassung des Christentums hauptsächlich
im germanischen Mittelalter kund gab." Daß Chamberlain diese Schrift so
gründlich mißverstehn und den Verfasser für einen Katholiken, noch dazu für
einen streng orthodoxen halten konnte, muß gegen die Grundlagen seiner
"Grundlagen" ein starkes Mißtrauen einflößen.




Kunstlitteratur

em immer mehr verbreiteten Kunstinteresse unsrer Zeit, das
zwischen einer verwirrenden Menge von Anregungen ratlos um¬
herflattert, müssen gute lehrbuchartige Hilfsmittel besonders er¬
wünscht sein. Der erste Platz gebührt hier Dehios "Kunst¬
geschichte in Bildern" (Leipzig, Seemann). Der früher erschienene
dritte Band enthält die italienische Renaissance, der neuste vierte das fünfzehnte
und sechzehnte Jahrhundert außerhalb Italiens, also die van Esel und ihre
Nachfolger, dann Dürer, Cranach, Holbein usw., ferner die ältere niederländische
und französische Plastik, sowie Adam Krafft, Peter Bischer, Veit Stoß und
Riemenschneider, endlich in der Architektur die sogenannte deutsche Renaissance.
Das Gesamtbild kann hier nicht so glänzend sein wie in dem frühern Bande,
aber was auf diesen vierundachtzig Tafeln geboten wird, imponiert womöglich
noch mehr durch die sichere Auswahl und eine originelle, praktisch einleuchtende
Anordnung. Eine Zeit der nationalen Stile und eine des italienischen Ein¬
flusses umfassen als Hauptgruppen die einzelnen Künste, und zwar so, daß in
jene beinahe die gesamte Plastik und Malerei gestellt worden ist, z. B. auch
Peter Bischer, Holbein, Burckmair, Altdorfer, und für die zweite Abteilung
nur wenige ganz ausgesprochene Romanisten übrig bleiben, Giovanni da Bologna,
die beiden Floris (als Porträtmaler steht Frans Floris in der ersten), Adriaen
de Vries, in Deutschland Elsheimer mit einem Figurenbilde. In der Ab¬
teilung des italienischen Einflusses steht die ganze Architektur; die Gotik dieses
Zeitraums wird also im zweiten Bande des Werkes mitberücksichtigt werden,
und nur gotische Grabmäler, Altäre und andre Werke der dekorativen Kunst
finden sich in der ersten Gruppe unsers Bandes. Wer mit Nachdenken in
diesem Atlas hin und her blättert, kann viel dabei lernen. Er enthält auch
eine Menge wenig bekannter Sachen in neuen Aufnahmen überall hie und da.


Kunstlitteratur

wir wieder einmal einig wären, würden wir auch bald so praktisch, gebieterisch
und unbarmherzig gegen andre Völker sein, wie wir es früher waren, und am
meisten sollen sich die Franzosen in acht nehmen, wenn sie sich einbilden, wir
seien nur noch ein Schreibervolk," Der Abschnitt schließt mit dem Satze:
„Im Jahre 1854 gab ich meine christliche Symbolik heraus, freilich nur eine
fleißige Kompilation, aber doch geeignet, auf die Gemütstiefe aufmerksam zu
machen, die sich in der poetischen Auffassung des Christentums hauptsächlich
im germanischen Mittelalter kund gab." Daß Chamberlain diese Schrift so
gründlich mißverstehn und den Verfasser für einen Katholiken, noch dazu für
einen streng orthodoxen halten konnte, muß gegen die Grundlagen seiner
„Grundlagen" ein starkes Mißtrauen einflößen.




Kunstlitteratur

em immer mehr verbreiteten Kunstinteresse unsrer Zeit, das
zwischen einer verwirrenden Menge von Anregungen ratlos um¬
herflattert, müssen gute lehrbuchartige Hilfsmittel besonders er¬
wünscht sein. Der erste Platz gebührt hier Dehios „Kunst¬
geschichte in Bildern" (Leipzig, Seemann). Der früher erschienene
dritte Band enthält die italienische Renaissance, der neuste vierte das fünfzehnte
und sechzehnte Jahrhundert außerhalb Italiens, also die van Esel und ihre
Nachfolger, dann Dürer, Cranach, Holbein usw., ferner die ältere niederländische
und französische Plastik, sowie Adam Krafft, Peter Bischer, Veit Stoß und
Riemenschneider, endlich in der Architektur die sogenannte deutsche Renaissance.
Das Gesamtbild kann hier nicht so glänzend sein wie in dem frühern Bande,
aber was auf diesen vierundachtzig Tafeln geboten wird, imponiert womöglich
noch mehr durch die sichere Auswahl und eine originelle, praktisch einleuchtende
Anordnung. Eine Zeit der nationalen Stile und eine des italienischen Ein¬
flusses umfassen als Hauptgruppen die einzelnen Künste, und zwar so, daß in
jene beinahe die gesamte Plastik und Malerei gestellt worden ist, z. B. auch
Peter Bischer, Holbein, Burckmair, Altdorfer, und für die zweite Abteilung
nur wenige ganz ausgesprochene Romanisten übrig bleiben, Giovanni da Bologna,
die beiden Floris (als Porträtmaler steht Frans Floris in der ersten), Adriaen
de Vries, in Deutschland Elsheimer mit einem Figurenbilde. In der Ab¬
teilung des italienischen Einflusses steht die ganze Architektur; die Gotik dieses
Zeitraums wird also im zweiten Bande des Werkes mitberücksichtigt werden,
und nur gotische Grabmäler, Altäre und andre Werke der dekorativen Kunst
finden sich in der ersten Gruppe unsers Bandes. Wer mit Nachdenken in
diesem Atlas hin und her blättert, kann viel dabei lernen. Er enthält auch
eine Menge wenig bekannter Sachen in neuen Aufnahmen überall hie und da.


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[0256] Kunstlitteratur wir wieder einmal einig wären, würden wir auch bald so praktisch, gebieterisch und unbarmherzig gegen andre Völker sein, wie wir es früher waren, und am meisten sollen sich die Franzosen in acht nehmen, wenn sie sich einbilden, wir seien nur noch ein Schreibervolk," Der Abschnitt schließt mit dem Satze: „Im Jahre 1854 gab ich meine christliche Symbolik heraus, freilich nur eine fleißige Kompilation, aber doch geeignet, auf die Gemütstiefe aufmerksam zu machen, die sich in der poetischen Auffassung des Christentums hauptsächlich im germanischen Mittelalter kund gab." Daß Chamberlain diese Schrift so gründlich mißverstehn und den Verfasser für einen Katholiken, noch dazu für einen streng orthodoxen halten konnte, muß gegen die Grundlagen seiner „Grundlagen" ein starkes Mißtrauen einflößen. Kunstlitteratur em immer mehr verbreiteten Kunstinteresse unsrer Zeit, das zwischen einer verwirrenden Menge von Anregungen ratlos um¬ herflattert, müssen gute lehrbuchartige Hilfsmittel besonders er¬ wünscht sein. Der erste Platz gebührt hier Dehios „Kunst¬ geschichte in Bildern" (Leipzig, Seemann). Der früher erschienene dritte Band enthält die italienische Renaissance, der neuste vierte das fünfzehnte und sechzehnte Jahrhundert außerhalb Italiens, also die van Esel und ihre Nachfolger, dann Dürer, Cranach, Holbein usw., ferner die ältere niederländische und französische Plastik, sowie Adam Krafft, Peter Bischer, Veit Stoß und Riemenschneider, endlich in der Architektur die sogenannte deutsche Renaissance. Das Gesamtbild kann hier nicht so glänzend sein wie in dem frühern Bande, aber was auf diesen vierundachtzig Tafeln geboten wird, imponiert womöglich noch mehr durch die sichere Auswahl und eine originelle, praktisch einleuchtende Anordnung. Eine Zeit der nationalen Stile und eine des italienischen Ein¬ flusses umfassen als Hauptgruppen die einzelnen Künste, und zwar so, daß in jene beinahe die gesamte Plastik und Malerei gestellt worden ist, z. B. auch Peter Bischer, Holbein, Burckmair, Altdorfer, und für die zweite Abteilung nur wenige ganz ausgesprochene Romanisten übrig bleiben, Giovanni da Bologna, die beiden Floris (als Porträtmaler steht Frans Floris in der ersten), Adriaen de Vries, in Deutschland Elsheimer mit einem Figurenbilde. In der Ab¬ teilung des italienischen Einflusses steht die ganze Architektur; die Gotik dieses Zeitraums wird also im zweiten Bande des Werkes mitberücksichtigt werden, und nur gotische Grabmäler, Altäre und andre Werke der dekorativen Kunst finden sich in der ersten Gruppe unsers Bandes. Wer mit Nachdenken in diesem Atlas hin und her blättert, kann viel dabei lernen. Er enthält auch eine Menge wenig bekannter Sachen in neuen Aufnahmen überall hie und da.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/256>, abgerufen am 28.09.2024.