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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Die Aottenvorlage

er Reichstag ist Ende März in die Ferien gegangen und wird
erst Ende April die Arbeit wieder aufnehmen. Mit der Flotten-
Vorlage hat er es wenig eilig gehabt, über die ersten Vorbera-
tuugen ist er nicht hinausgekommen. Trotzdem darf man wohl
die Aussichten im ganzen als günstig betrachten. Wie glaubhaft
versichert wird, haben die von den Staatssekretären des Auswärtigen und
der Marine über die politische und die strategische Notwendigkeit der Flotten¬
vermehrung in der Kommission abgegebnen Erklärungen auf allen Seiten einen
ausMord endlichen Eindruck gemacht und an der Beachtung und Dringlichkeit der
Regierungsforderungen bei der großen Mehrheit der Kommissiousmitglieder in
der Hauptsache keinen Zweifel besteh" lassen. Auch die finanzielle Fähigkeit des
Reichs, die Kosten aufzubringen, scheint im Prinzip allseitig anerkannt zu sein.

Andrerseits haben aber die Kommissionsverhandluugen und die sie er¬
gänzenden Äußerungen tonangebender Politiker und Blätter gezeigt, daß uoch
recht unerquickliche Kämpfe auszufechten sein werden, bevor die Vorlage Gesetz
geworden sein wird. Wenn der Kaiser in der bekannten Hamburger Rede vom
18. Oktober vorigen Jahres die Mahnung um das deutsche Volk richtete, es
solle aufhören, die Partei über das Wohl des Ganzen zu stellen, so lehrt der
bisherige Verlauf der Sache, daß unsre Volksvertreter noch recht weit davon
entfernt sind, dieser Mahnung Gehör zu geben. Gerade daß die Mehrheit
trotz der grundsätzlichen Zustimmung die Annahme der Vorlage bis jetzt noch
von sachlich ebenso unberechtigten wie unnötigen und zum Teil unmöglichen
Bedingungen abhängig zu machen sucht, liefert den Beweis, daß wir in Deutsch¬
land noch immer nicht die Stufe politischer Reife und praktischer Vaterlands¬
liebe erreicht haben, die in England und Frankreich in ähnlichen Fällen die
schnelle und fast widerspruchslose Annahme solcher Regierungsvorlagen zur
Regel macht. Wir denken dabei gar nicht einmal an die sozialdemokratische
und die demokratische offen flottenfeindliche Minorität. Sie ist ein Verhängnis,


Grenzboten II 1S00 Is


Die Aottenvorlage

er Reichstag ist Ende März in die Ferien gegangen und wird
erst Ende April die Arbeit wieder aufnehmen. Mit der Flotten-
Vorlage hat er es wenig eilig gehabt, über die ersten Vorbera-
tuugen ist er nicht hinausgekommen. Trotzdem darf man wohl
die Aussichten im ganzen als günstig betrachten. Wie glaubhaft
versichert wird, haben die von den Staatssekretären des Auswärtigen und
der Marine über die politische und die strategische Notwendigkeit der Flotten¬
vermehrung in der Kommission abgegebnen Erklärungen auf allen Seiten einen
ausMord endlichen Eindruck gemacht und an der Beachtung und Dringlichkeit der
Regierungsforderungen bei der großen Mehrheit der Kommissiousmitglieder in
der Hauptsache keinen Zweifel besteh» lassen. Auch die finanzielle Fähigkeit des
Reichs, die Kosten aufzubringen, scheint im Prinzip allseitig anerkannt zu sein.

Andrerseits haben aber die Kommissionsverhandluugen und die sie er¬
gänzenden Äußerungen tonangebender Politiker und Blätter gezeigt, daß uoch
recht unerquickliche Kämpfe auszufechten sein werden, bevor die Vorlage Gesetz
geworden sein wird. Wenn der Kaiser in der bekannten Hamburger Rede vom
18. Oktober vorigen Jahres die Mahnung um das deutsche Volk richtete, es
solle aufhören, die Partei über das Wohl des Ganzen zu stellen, so lehrt der
bisherige Verlauf der Sache, daß unsre Volksvertreter noch recht weit davon
entfernt sind, dieser Mahnung Gehör zu geben. Gerade daß die Mehrheit
trotz der grundsätzlichen Zustimmung die Annahme der Vorlage bis jetzt noch
von sachlich ebenso unberechtigten wie unnötigen und zum Teil unmöglichen
Bedingungen abhängig zu machen sucht, liefert den Beweis, daß wir in Deutsch¬
land noch immer nicht die Stufe politischer Reife und praktischer Vaterlands¬
liebe erreicht haben, die in England und Frankreich in ähnlichen Fällen die
schnelle und fast widerspruchslose Annahme solcher Regierungsvorlagen zur
Regel macht. Wir denken dabei gar nicht einmal an die sozialdemokratische
und die demokratische offen flottenfeindliche Minorität. Sie ist ein Verhängnis,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/121>, abgerufen am 29.06.2024.