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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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maßgebliches und Unmaßgebliches

bereichere. Aus einer so unmoralischen und unsozialen Thätigkeit eine Finanzquelle
zu macheu, sei des Staats nicht würdig. In einer der Beilagen wird bewiesen,
daß man beim Spiel in der ersten Klasse seine Gewinnchance siebzehnfach, in der
zweiten zehnfach, in der dritten siebenfach, in der vierten beinahe anderthalbfach
bezahlt. Wenn Vernunft über die Unvernunft etwas vermöchte, so würde schon
eine Bemerkung Herbarts der Lotterie den Garaus gemacht haben. Dieser Philosoph
s"ge, wer ganz sicher gehn wolle, der müsse sämtliche Lose kaufen; natürlich bekommt
er dann alle Gewinne, mit Ausnahme derer, die auf die für die Lotterickasse ge¬
spielten Freilose fallen. Im Jahre 139", für das in der erwähnten Beilage der
Spielplan mitgeteilt wird, würde der vorsichtige Kunde dem Staat etwa 32 Mil¬
lionen bezahlt und von ihm etwa 23 Millionen herausbekommen haben. In einer
sehr schönen Untersuchung der psychologischen Wurzeln und der volkswirtschaftlichen
Bedeutung des Glückspiels gelangt der Verfasser zu folgendem Ergebnis. In unsrer
Zeit, wo das ganze Erwerbsleben in so hohem Grade den Charakter eines Glück¬
spiels trägt, und wo der mit einem Lose, d. h. mit Vermögen geborne von vorn¬
herein die Konjunktur für sich hat, ist es dem armen Manne nicht so sehr zu ver¬
übeln, wenn er sein Geld auf einen Hosfnnngskauf hinauswirft. Aber der Staat
soll dieser massenhaften Befriedigung eines uuwirtschaftlicheu Bedürfnisses nicht
unthätig zusehn, noch weniger sie für seine Finanzen ausnutzen, sondern den Spiel¬
trieb allmählich in den Spartrieb umbiegen. Das könne er, meint der Verfasser,
durch die Verbindung der Lotterie mit der Sparkasse, durch Ziuslotterien. Nur
ein Teil der Zinsen solle in der Form von Gewinnen verteilt werden, und der
Staat dürfe sich nnr die Verwaltungskosten bezahlen lassen. Dem Sparer nud
Spieler bleibe dann nicht allein der ganze Einsatz erhalten, sondern er bekomme
auch noch einen kleinen Zins; seinem Spiel- und Hoffnungsbedürfuis werde eine
bescheidne Befriedigung zu teil, zugleich aber werde er selbst zum Sparen erzogen.
Eine der Beilagen enthält praktische Vorschläge zur Einrichtung einer solchen Zinsen¬
lotterie oder Lottosparkasse.


Einiges von Gewerbe und Landwirtschaft.

An der Hand der Unter¬
suchungen des Vereins für Sozialpolitik und andrer Veröffentlichungen haben wir
unsre Leser über die Lage des Handwerks in Deutschland hinlänglich orientiert,
nud solange sich diese Lage selbst nicht ändert, werden neue Veröffentlichungen an
dem Bilde nichts ändern, das wir von der Sache gewonnen haben. Das gilt auch
von dem soeben bei Gustav Fischer in Jena erschienenen 22. Bande der Samm-
lung nntionalökonomischer und statistischer Abhandlungen des staatswissenschaftlicher
Seminars zu Halle, worin Dr. Max Mendelson die Stellung des Hand¬
werks in den hauptsächlichsten der ehemals zünftigen Gewerbe darlegt.
Er behandelt die Seiler, Gerber, Böttcher, Drechsler, Tischler, Klempner, Schmiede,
Schlosser, Tapezierer, Sattler, Buchbinder, Schuhmacher, Schneider, Bäcker und
Zuckerbäcker, Fleischer, Barbiere und die Baugewerbe. Er gelangt zu dem Er¬
gebnis, daß sich die Handscilcrei und die handwerksmäßige Gerberei neben dem
Fabrikbetriebe nicht werde halten können, daß aber die übrigen hier genannten
Handwerke trotz aller Veränderungen, die mehrere von ihnen erlitten haben und
uoch täglich erleiden, vor der Hand lebensfähig bleiben werden; daß ferner der
Umwanolungsprozeß, der die Gewerbe ergriffen hat, nicht ewig dauern, sondern
daß uach einiger Zeit wieder ein Beharrnngszustand eintreten werde, daß sich aber
nicht voraussehen lasse, was nach Ablauf dieses Prozesses von den alten Hand¬
werken noch übrig sein werde. Erfahren mir demnach aus dem Buche nichts neues,
so ist es doch nützlich zu gebrauchen, weil es eine gute Übersicht des von vielen
Fachleuten angehäuften weitschichtige" Materials enthält, und weil es mit den Er¬
gebnissen der Spezialuntersuchungeu die der Gewerbezählnngcn von 1382 und 1895


maßgebliches und Unmaßgebliches

bereichere. Aus einer so unmoralischen und unsozialen Thätigkeit eine Finanzquelle
zu macheu, sei des Staats nicht würdig. In einer der Beilagen wird bewiesen,
daß man beim Spiel in der ersten Klasse seine Gewinnchance siebzehnfach, in der
zweiten zehnfach, in der dritten siebenfach, in der vierten beinahe anderthalbfach
bezahlt. Wenn Vernunft über die Unvernunft etwas vermöchte, so würde schon
eine Bemerkung Herbarts der Lotterie den Garaus gemacht haben. Dieser Philosoph
s"ge, wer ganz sicher gehn wolle, der müsse sämtliche Lose kaufen; natürlich bekommt
er dann alle Gewinne, mit Ausnahme derer, die auf die für die Lotterickasse ge¬
spielten Freilose fallen. Im Jahre 139», für das in der erwähnten Beilage der
Spielplan mitgeteilt wird, würde der vorsichtige Kunde dem Staat etwa 32 Mil¬
lionen bezahlt und von ihm etwa 23 Millionen herausbekommen haben. In einer
sehr schönen Untersuchung der psychologischen Wurzeln und der volkswirtschaftlichen
Bedeutung des Glückspiels gelangt der Verfasser zu folgendem Ergebnis. In unsrer
Zeit, wo das ganze Erwerbsleben in so hohem Grade den Charakter eines Glück¬
spiels trägt, und wo der mit einem Lose, d. h. mit Vermögen geborne von vorn¬
herein die Konjunktur für sich hat, ist es dem armen Manne nicht so sehr zu ver¬
übeln, wenn er sein Geld auf einen Hosfnnngskauf hinauswirft. Aber der Staat
soll dieser massenhaften Befriedigung eines uuwirtschaftlicheu Bedürfnisses nicht
unthätig zusehn, noch weniger sie für seine Finanzen ausnutzen, sondern den Spiel¬
trieb allmählich in den Spartrieb umbiegen. Das könne er, meint der Verfasser,
durch die Verbindung der Lotterie mit der Sparkasse, durch Ziuslotterien. Nur
ein Teil der Zinsen solle in der Form von Gewinnen verteilt werden, und der
Staat dürfe sich nnr die Verwaltungskosten bezahlen lassen. Dem Sparer nud
Spieler bleibe dann nicht allein der ganze Einsatz erhalten, sondern er bekomme
auch noch einen kleinen Zins; seinem Spiel- und Hoffnungsbedürfuis werde eine
bescheidne Befriedigung zu teil, zugleich aber werde er selbst zum Sparen erzogen.
Eine der Beilagen enthält praktische Vorschläge zur Einrichtung einer solchen Zinsen¬
lotterie oder Lottosparkasse.


Einiges von Gewerbe und Landwirtschaft.

An der Hand der Unter¬
suchungen des Vereins für Sozialpolitik und andrer Veröffentlichungen haben wir
unsre Leser über die Lage des Handwerks in Deutschland hinlänglich orientiert,
nud solange sich diese Lage selbst nicht ändert, werden neue Veröffentlichungen an
dem Bilde nichts ändern, das wir von der Sache gewonnen haben. Das gilt auch
von dem soeben bei Gustav Fischer in Jena erschienenen 22. Bande der Samm-
lung nntionalökonomischer und statistischer Abhandlungen des staatswissenschaftlicher
Seminars zu Halle, worin Dr. Max Mendelson die Stellung des Hand¬
werks in den hauptsächlichsten der ehemals zünftigen Gewerbe darlegt.
Er behandelt die Seiler, Gerber, Böttcher, Drechsler, Tischler, Klempner, Schmiede,
Schlosser, Tapezierer, Sattler, Buchbinder, Schuhmacher, Schneider, Bäcker und
Zuckerbäcker, Fleischer, Barbiere und die Baugewerbe. Er gelangt zu dem Er¬
gebnis, daß sich die Handscilcrei und die handwerksmäßige Gerberei neben dem
Fabrikbetriebe nicht werde halten können, daß aber die übrigen hier genannten
Handwerke trotz aller Veränderungen, die mehrere von ihnen erlitten haben und
uoch täglich erleiden, vor der Hand lebensfähig bleiben werden; daß ferner der
Umwanolungsprozeß, der die Gewerbe ergriffen hat, nicht ewig dauern, sondern
daß uach einiger Zeit wieder ein Beharrnngszustand eintreten werde, daß sich aber
nicht voraussehen lasse, was nach Ablauf dieses Prozesses von den alten Hand¬
werken noch übrig sein werde. Erfahren mir demnach aus dem Buche nichts neues,
so ist es doch nützlich zu gebrauchen, weil es eine gute Übersicht des von vielen
Fachleuten angehäuften weitschichtige» Materials enthält, und weil es mit den Er¬
gebnissen der Spezialuntersuchungeu die der Gewerbezählnngcn von 1382 und 1895


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/59>, abgerufen am 05.12.2024.