Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Bei diesen Worten zeigte er "iir einen respektabel" Stoß Papier, der Meine Sinne verwirrten sich; statt der Papyrusrolle glaubte ich einen Maßgebliches und Unmaßgebliches Mein wunderlicher Freund. Na, was machen Sie denn für ein fideles Ach, ich war vorhin bei Grunow, sagte ich. Ich dachte, heute riskiert er gewiß Grenzboten I Is00 71
Maßgebliches und Unmaßgebliches Bei diesen Worten zeigte er »iir einen respektabel» Stoß Papier, der Meine Sinne verwirrten sich; statt der Papyrusrolle glaubte ich einen Maßgebliches und Unmaßgebliches Mein wunderlicher Freund. Na, was machen Sie denn für ein fideles Ach, ich war vorhin bei Grunow, sagte ich. Ich dachte, heute riskiert er gewiß Grenzboten I Is00 71
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0569" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/233121"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1861"> Bei diesen Worten zeigte er »iir einen respektabel» Stoß Papier, der<lb/> mit allerlei merkwürdigen Tabellen bedeckt war. Ich suchte nach dein Kaufe<lb/> und schlug deu 8 433 auf. Dort erblickte ich mit stillem Schauder bei dem<lb/> Worte „Sache" unter Ur. 4 ein ganzes kleines Wörterbuch — vom Aal an<lb/> bis zum Zweifel, von dem man ja neuerdings gemeint hat, er müsse sich,<lb/> ebenso wie die Hoffnung beim Hoffuuugökauf, auch als hnudelbnre Ware be¬<lb/> trachten lassen. Und mit welcher Gründlichkeit war daS Register entworfen!<lb/> Ich las mit wachsender Bewunderung: Aal — Aalgelee — Abendbrot —<lb/> Aeetylen — Acker — Adelsbrief . . .'</p><lb/> <p xml:id="ID_1862"> Meine Sinne verwirrten sich; statt der Papyrusrolle glaubte ich einen<lb/> modernen, sehr elegant gebundnen Kommentar in der Hand zu haben; ich er¬<lb/> schrak so, daß ich erwachte und mich erleichtert auf mich selbst besinnen konnte.<lb/> Aber alsbald wurde mirs mit Entsetzen klar, daß auch die Gegenwart nicht<lb/> frei von ähnlichen Schrecknissen sei. Der Katzenjammer, den ich gefühlt hatte,<lb/> war mein immer noch andauernder Neujahrhundertskater: der 1. Januar 1900<lb/> war erst seit wenigen Tagen vorüber und hatte auch uns mit einem neuen<lb/> Gesetzbuch beschenkt!</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Maßgebliches und Unmaßgebliches</head><lb/> <div n="2"> <head> Mein wunderlicher Freund.</head> <p xml:id="ID_1863"> Na, was machen Sie denn für ein fideles<lb/> Gesicht? fragte er mich, als ich an das Rosenthalthor kam. Er hatte wahrhaftig<lb/> auf mich warten müsse».</p><lb/> <p xml:id="ID_1864" next="#ID_1865"> Ach, ich war vorhin bei Grunow, sagte ich. Ich dachte, heute riskiert er gewiß<lb/> einen Schnupfen und hat seine Verandathür offen, und ging deshalb hinten herum<lb/> durch den Garten. Natürlich stürzten Hero und Leander mit wütendem Gebell<lb/> die Treppe herunter, sobald sie mich die Gatterthür aufmachen hörten, aber als<lb/> sie mich erkannte», begleitete» sie mich schweisivedeliid und würdevoll die eiserne<lb/> Wendeltreppe hinauf, wobei allerdings unsre zehn Beine wie gewöhnlich durchein¬<lb/> ander gerieten. Oben stand richtig die Thür offen, und sein weißes Haupt leuchtete<lb/> mir aus der Stube entgegen. Er stand vor seiner Knktusstellage und hatte eins<lb/> von den Dingern in der ,5w>d, das er tiefsinnig durch das Vergrößerungsglas be¬<lb/> trachtete. — So, das nennen Sie Buchhandel? fragte ich. Weiter haben Sie nichts<lb/> zu thun? — Holla! sagte er, haben Sie auch den Sommerweg schon wiederge¬<lb/> funden? Hören Sie es denn auch? — Nein, was? Ja wirklich, die Amsel! —<lb/> Ja, heute zum erstenmal. Es wird einem ganz wunderlich, wenn man den Ton<lb/> wieder hört: „Frühling, du bist es!" Es ist ein wahres Labsal, endlich wieder einmal<lb/> Sonnenschein zu genieße». Wenn ich nur erst meine Kaktusse hinausthun könnte.<lb/> Solange man sie im Zimmer hat, wird man der Läuse nicht Herr. — Er spießte<lb/> vorsichtig mit einer Nadel eines der Ungetüme auf. das er entdeckt hatte, und zeigte<lb/> es mir. Da»» stellte er die stachlige Kugel wieder zu de» ander», und wir setzte»<lb/> uns an den Tisch. Ich gab ihm mein Mnmiskript und holte mir eine Cigarre</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I Is00 71</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0569]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Bei diesen Worten zeigte er »iir einen respektabel» Stoß Papier, der
mit allerlei merkwürdigen Tabellen bedeckt war. Ich suchte nach dein Kaufe
und schlug deu 8 433 auf. Dort erblickte ich mit stillem Schauder bei dem
Worte „Sache" unter Ur. 4 ein ganzes kleines Wörterbuch — vom Aal an
bis zum Zweifel, von dem man ja neuerdings gemeint hat, er müsse sich,
ebenso wie die Hoffnung beim Hoffuuugökauf, auch als hnudelbnre Ware be¬
trachten lassen. Und mit welcher Gründlichkeit war daS Register entworfen!
Ich las mit wachsender Bewunderung: Aal — Aalgelee — Abendbrot —
Aeetylen — Acker — Adelsbrief . . .'
Meine Sinne verwirrten sich; statt der Papyrusrolle glaubte ich einen
modernen, sehr elegant gebundnen Kommentar in der Hand zu haben; ich er¬
schrak so, daß ich erwachte und mich erleichtert auf mich selbst besinnen konnte.
Aber alsbald wurde mirs mit Entsetzen klar, daß auch die Gegenwart nicht
frei von ähnlichen Schrecknissen sei. Der Katzenjammer, den ich gefühlt hatte,
war mein immer noch andauernder Neujahrhundertskater: der 1. Januar 1900
war erst seit wenigen Tagen vorüber und hatte auch uns mit einem neuen
Gesetzbuch beschenkt!
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Mein wunderlicher Freund. Na, was machen Sie denn für ein fideles
Gesicht? fragte er mich, als ich an das Rosenthalthor kam. Er hatte wahrhaftig
auf mich warten müsse».
Ach, ich war vorhin bei Grunow, sagte ich. Ich dachte, heute riskiert er gewiß
einen Schnupfen und hat seine Verandathür offen, und ging deshalb hinten herum
durch den Garten. Natürlich stürzten Hero und Leander mit wütendem Gebell
die Treppe herunter, sobald sie mich die Gatterthür aufmachen hörten, aber als
sie mich erkannte», begleitete» sie mich schweisivedeliid und würdevoll die eiserne
Wendeltreppe hinauf, wobei allerdings unsre zehn Beine wie gewöhnlich durchein¬
ander gerieten. Oben stand richtig die Thür offen, und sein weißes Haupt leuchtete
mir aus der Stube entgegen. Er stand vor seiner Knktusstellage und hatte eins
von den Dingern in der ,5w>d, das er tiefsinnig durch das Vergrößerungsglas be¬
trachtete. — So, das nennen Sie Buchhandel? fragte ich. Weiter haben Sie nichts
zu thun? — Holla! sagte er, haben Sie auch den Sommerweg schon wiederge¬
funden? Hören Sie es denn auch? — Nein, was? Ja wirklich, die Amsel! —
Ja, heute zum erstenmal. Es wird einem ganz wunderlich, wenn man den Ton
wieder hört: „Frühling, du bist es!" Es ist ein wahres Labsal, endlich wieder einmal
Sonnenschein zu genieße». Wenn ich nur erst meine Kaktusse hinausthun könnte.
Solange man sie im Zimmer hat, wird man der Läuse nicht Herr. — Er spießte
vorsichtig mit einer Nadel eines der Ungetüme auf. das er entdeckt hatte, und zeigte
es mir. Da»» stellte er die stachlige Kugel wieder zu de» ander», und wir setzte»
uns an den Tisch. Ich gab ihm mein Mnmiskript und holte mir eine Cigarre
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