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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Der Sinn des (Lhristentums
(Schluß)

h
ristns Hot also die Weltkinder nicht verdammt, und diese sind
auch nach Hilty weder schlechte noch böse Menschen, Ich ziehe
daraus den Schluß, daß sie eben Gott nicht "auserwählt" hat,
daß sie daher bleiben sollen, was sie sind. Hilty zieht diesen
Schluß nicht und büßt dadurch den Nutzen der gewonnenen Er¬
kenntnis ein. Er fährt an der angeführten Stelle fort: "Was ihnen fehlt, ist
gemeinhin nnr der Mut, gut zu sein, das hinreichende Vertrauen auf eine
sittliche Weltordnung, die sicher genug bestehe, um den ihr sich Anvertrauenden
auch über die Schwierigkeiten des Kampfes ums Dasein hinwegzuhelfen. In
der That ist diese Sicherheit keineswegs augenscheinlich vorhanden; im Gegen¬
teil, wer die Wege aller Welt verläßt, hat zunächst die Sicherheit vor Augen,
daß er von ihr auch verlassen wird und vielleicht den größten Teil seines
fernern Lebenswegs im Dunkel über die Frage zubringen muß, ob er wirklich
das bessere Teil erwählt habe. Es sind also die Weltkinder einfach Leute, die
lieber den gewöhnlichen und bekannten Weg gehn Wollen, weil ihnen ein außer¬
gewöhnlicher zwar theoretisch recht schön und großartig, aber praktisch nicht
hinreichend gangbar vorkommt." Hier muß zunächst die Wendung "der Mut,
gut zu sein," gerügt werden; da die Weltmenschen bloß darum, weil sie Welt¬
menschen sind, weder schlecht noch böse zu sein brauchen, so darf man ihnen
nicht in Bausch und Bogen den Mut zum Guten absprechen. Unter den
Millionen Männern und Jünglingen, die sich schon für ein gefährdetes Vater¬
land in Todesgefahr gestürzt haben, sind von je hundert allermindestens neun-
undneunzig Weltkinder gewesen. Auch der Glaube an die sittliche Weltordnung
fehlt keineswegs allen Weltkindern; sie hat nicht einmal den alten Heiden ge¬
fehlt, nur haben sie einen andern Begriff von ihr als Hilty; sie glauben, daß
diese sittliche Weltordnung die Anwendung der gewöhnlichen Waffen im Kampfe
ums Dasein nicht verbiete, sondern gebiete. Der Mut, den Hilty meint, ist
dem Mute zum Selbstmord ähnlich, es handelt sich doch auch nach seiner Aus-
drucksweise um einen geistigen Tod. Nun ist dieser gewiß für die, die ihn zu
erleiden wagen, der Durchgang zu einem neuen. Leben, aber da er die Ver¬
neinung der meisten Formen des Weltlebens bedeutet, so soll er gar nicht von
allen oder auch nur von der Mehrzahl erlitten werden. Die Bekehrung aller
würde die Welt in eine kolossale Herrnhutergemciude verwandeln, die zwar die




Der Sinn des (Lhristentums
(Schluß)

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ristns Hot also die Weltkinder nicht verdammt, und diese sind
auch nach Hilty weder schlechte noch böse Menschen, Ich ziehe
daraus den Schluß, daß sie eben Gott nicht „auserwählt" hat,
daß sie daher bleiben sollen, was sie sind. Hilty zieht diesen
Schluß nicht und büßt dadurch den Nutzen der gewonnenen Er¬
kenntnis ein. Er fährt an der angeführten Stelle fort: „Was ihnen fehlt, ist
gemeinhin nnr der Mut, gut zu sein, das hinreichende Vertrauen auf eine
sittliche Weltordnung, die sicher genug bestehe, um den ihr sich Anvertrauenden
auch über die Schwierigkeiten des Kampfes ums Dasein hinwegzuhelfen. In
der That ist diese Sicherheit keineswegs augenscheinlich vorhanden; im Gegen¬
teil, wer die Wege aller Welt verläßt, hat zunächst die Sicherheit vor Augen,
daß er von ihr auch verlassen wird und vielleicht den größten Teil seines
fernern Lebenswegs im Dunkel über die Frage zubringen muß, ob er wirklich
das bessere Teil erwählt habe. Es sind also die Weltkinder einfach Leute, die
lieber den gewöhnlichen und bekannten Weg gehn Wollen, weil ihnen ein außer¬
gewöhnlicher zwar theoretisch recht schön und großartig, aber praktisch nicht
hinreichend gangbar vorkommt." Hier muß zunächst die Wendung „der Mut,
gut zu sein," gerügt werden; da die Weltmenschen bloß darum, weil sie Welt¬
menschen sind, weder schlecht noch böse zu sein brauchen, so darf man ihnen
nicht in Bausch und Bogen den Mut zum Guten absprechen. Unter den
Millionen Männern und Jünglingen, die sich schon für ein gefährdetes Vater¬
land in Todesgefahr gestürzt haben, sind von je hundert allermindestens neun-
undneunzig Weltkinder gewesen. Auch der Glaube an die sittliche Weltordnung
fehlt keineswegs allen Weltkindern; sie hat nicht einmal den alten Heiden ge¬
fehlt, nur haben sie einen andern Begriff von ihr als Hilty; sie glauben, daß
diese sittliche Weltordnung die Anwendung der gewöhnlichen Waffen im Kampfe
ums Dasein nicht verbiete, sondern gebiete. Der Mut, den Hilty meint, ist
dem Mute zum Selbstmord ähnlich, es handelt sich doch auch nach seiner Aus-
drucksweise um einen geistigen Tod. Nun ist dieser gewiß für die, die ihn zu
erleiden wagen, der Durchgang zu einem neuen. Leben, aber da er die Ver¬
neinung der meisten Formen des Weltlebens bedeutet, so soll er gar nicht von
allen oder auch nur von der Mehrzahl erlitten werden. Die Bekehrung aller
würde die Welt in eine kolossale Herrnhutergemciude verwandeln, die zwar die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/452>, abgerufen am 05.12.2024.