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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Historische Nationalitätssorschung

enden sich etwa die Mitte des vorigen Jahrhunderts in
deutschen Landen der nationale Sinn zu regen anfinge begann sich
auch die wissenschaftliche Thätigkeit unsrer Nation Aufgaben zu
stellen und Ziele zu stecken, um die zuvor niemand gedacht hatte.
Zwar hatte schon im Jahre 1813 Ernst Moritz Arndt die jetzt
mächtig erwachenden Ideen berührt, indem er die Frage: Was ist des Deutschen
Vaterland? mit deu Worten beantwortete: Soweit die deutsche Zunge klingt
und Gott im Himmel Lieder singt. Aber wer wußte damals, wie weit die
deutsche Zunge klang? Wer hätte auch mir mit annähernder Genauigkeit
die Linie anzugeben vermocht, dnrch die unsre Nationalität und Sprache von
den romanischen, slawischen und germanischen Nachbarvölkern geschieden wird?
Noch im Jahre 1839 war es geschehn, daß bei der Teilung Luxemburgs die
gut deutsche Stadt Arion mit ihrer ebenfalls deutschen Umgebung zu Belgien
geschlagen wurde, im krassesten Widerspruch zu der beabsichtigte!! Sonderung
"ach Sprachgebieten. Man kannte eben die deutsch-wallonische Sprach¬
grenze nicht.

Die wissenschaftliche Erforschung und genaue Feststellung der Sprach¬
grenzen blieb überwiegend der zweiten Hälfte unsers Jahrhunderts vorbehalten.
Von den zahlreichen diesen Gegenstand behandelnden Schriften sei hier nur die
1870 erschienene grundlegende Arbeit Richard Böckhs: "Der Deutschen Volks¬
zahl und Sprachgebiet" erwähnt, in der zum erstenmal mit Geschick und Glück
versucht wurde, das Gesamtbild der Verbreitung der Dentschen in Europa zu
Kulmen. Hand in Hand mit dieser wissenschaftlichen Forschung und von ihr
Abhast ausgebeutet gingen die mit den Volkszählungen verbundnen statistischen
Aufnahmen der Nationalitätsverhältnisse. Begünstigt durch eine solche staat¬
liche Unterstützung hat sich in deu letzten Jahrzehnten eine fast unabsehbare
Fülle von Materialien angesammelt, durch die die Ausbreitung unsers Volks-
wms und damit die Sprachgrenzen festgelegt werden. Und dabei nimmt das


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Historische Nationalitätssorschung

enden sich etwa die Mitte des vorigen Jahrhunderts in
deutschen Landen der nationale Sinn zu regen anfinge begann sich
auch die wissenschaftliche Thätigkeit unsrer Nation Aufgaben zu
stellen und Ziele zu stecken, um die zuvor niemand gedacht hatte.
Zwar hatte schon im Jahre 1813 Ernst Moritz Arndt die jetzt
mächtig erwachenden Ideen berührt, indem er die Frage: Was ist des Deutschen
Vaterland? mit deu Worten beantwortete: Soweit die deutsche Zunge klingt
und Gott im Himmel Lieder singt. Aber wer wußte damals, wie weit die
deutsche Zunge klang? Wer hätte auch mir mit annähernder Genauigkeit
die Linie anzugeben vermocht, dnrch die unsre Nationalität und Sprache von
den romanischen, slawischen und germanischen Nachbarvölkern geschieden wird?
Noch im Jahre 1839 war es geschehn, daß bei der Teilung Luxemburgs die
gut deutsche Stadt Arion mit ihrer ebenfalls deutschen Umgebung zu Belgien
geschlagen wurde, im krassesten Widerspruch zu der beabsichtigte!! Sonderung
"ach Sprachgebieten. Man kannte eben die deutsch-wallonische Sprach¬
grenze nicht.

Die wissenschaftliche Erforschung und genaue Feststellung der Sprach¬
grenzen blieb überwiegend der zweiten Hälfte unsers Jahrhunderts vorbehalten.
Von den zahlreichen diesen Gegenstand behandelnden Schriften sei hier nur die
1870 erschienene grundlegende Arbeit Richard Böckhs: „Der Deutschen Volks¬
zahl und Sprachgebiet" erwähnt, in der zum erstenmal mit Geschick und Glück
versucht wurde, das Gesamtbild der Verbreitung der Dentschen in Europa zu
Kulmen. Hand in Hand mit dieser wissenschaftlichen Forschung und von ihr
Abhast ausgebeutet gingen die mit den Volkszählungen verbundnen statistischen
Aufnahmen der Nationalitätsverhältnisse. Begünstigt durch eine solche staat¬
liche Unterstützung hat sich in deu letzten Jahrzehnten eine fast unabsehbare
Fülle von Materialien angesammelt, durch die die Ausbreitung unsers Volks-
wms und damit die Sprachgrenzen festgelegt werden. Und dabei nimmt das


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[0273] [Abbildung] Historische Nationalitätssorschung enden sich etwa die Mitte des vorigen Jahrhunderts in deutschen Landen der nationale Sinn zu regen anfinge begann sich auch die wissenschaftliche Thätigkeit unsrer Nation Aufgaben zu stellen und Ziele zu stecken, um die zuvor niemand gedacht hatte. Zwar hatte schon im Jahre 1813 Ernst Moritz Arndt die jetzt mächtig erwachenden Ideen berührt, indem er die Frage: Was ist des Deutschen Vaterland? mit deu Worten beantwortete: Soweit die deutsche Zunge klingt und Gott im Himmel Lieder singt. Aber wer wußte damals, wie weit die deutsche Zunge klang? Wer hätte auch mir mit annähernder Genauigkeit die Linie anzugeben vermocht, dnrch die unsre Nationalität und Sprache von den romanischen, slawischen und germanischen Nachbarvölkern geschieden wird? Noch im Jahre 1839 war es geschehn, daß bei der Teilung Luxemburgs die gut deutsche Stadt Arion mit ihrer ebenfalls deutschen Umgebung zu Belgien geschlagen wurde, im krassesten Widerspruch zu der beabsichtigte!! Sonderung "ach Sprachgebieten. Man kannte eben die deutsch-wallonische Sprach¬ grenze nicht. Die wissenschaftliche Erforschung und genaue Feststellung der Sprach¬ grenzen blieb überwiegend der zweiten Hälfte unsers Jahrhunderts vorbehalten. Von den zahlreichen diesen Gegenstand behandelnden Schriften sei hier nur die 1870 erschienene grundlegende Arbeit Richard Böckhs: „Der Deutschen Volks¬ zahl und Sprachgebiet" erwähnt, in der zum erstenmal mit Geschick und Glück versucht wurde, das Gesamtbild der Verbreitung der Dentschen in Europa zu Kulmen. Hand in Hand mit dieser wissenschaftlichen Forschung und von ihr Abhast ausgebeutet gingen die mit den Volkszählungen verbundnen statistischen Aufnahmen der Nationalitätsverhältnisse. Begünstigt durch eine solche staat¬ liche Unterstützung hat sich in deu letzten Jahrzehnten eine fast unabsehbare Fülle von Materialien angesammelt, durch die die Ausbreitung unsers Volks- wms und damit die Sprachgrenzen festgelegt werden. Und dabei nimmt das Grenzboten I 1900 ?>4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/273>, abgerufen am 05.12.2024.