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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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August von Goethes Briefe aus Italien

6

Genua. Morgens 11 Uhr den 23 Jul. 1830.


Guten Morgen

Soeben erhalte ich Ihren Brief, wie freue ich mich zu erfahren, daß alles
in Ihrem Hause wohl ist und Gille so freundlich bei Holteis Anwesenheit
meiner gedachte. Carls theilnehmende fühlende Zeilen haben mich eben so
fröhlich gemacht wie die herzlichen von Nanny; tausend Dank beiden. Marien
hoffe ich recht gewachsen zu finden, so wie Mela auch aber in ihren Schlaf-
röckchen. -- Ich sitze hier in einem beinahe fürstlichen Zimmer; die Aussicht
auf den Hafen, wo 200 Schiffe liegen, worunter 6 Kriegsschiffe, das ist ein
wunderbarer Anblick für eine Landratte wie ich! warum ist es so weit von
Weimar! und das Meer am Horizont so blau! ich wünschte Sie. Carl, Nanny,
Gille, Marichen und Mela nur eine Stunde hier, wie oft thut es mir leid,
alles dieses allein genießen zu müssen. Mein Tagebuch mag Ihnen wunder¬
lich erscheinen! aber ich bleibe immer die alte Garde, es geht heute mit diesem
Brief ab und ich hoffe, es kommt beides zugleich in Ihre Hände. Nun muß
ich Ihnen einen Traum erzählen, den ich neulich auf dem Meere hatte: Ich
wogte eines Abends auf dem Meer, erfreute mich des Lebens, denn alles war
Bewegung, Schiffe liefen ein und aus, Fischer waren thätig und Delphine
zeigten sich mir freundlich; ich kam mir vor wie ein Kind in der Wiege nud
schlief ein, den linken Arm auf dein Rand der Barke. Da sah ich träumend
eine schäumende Welle, sie ward zum Schleier, den zwei schöne Arme empor¬
hoben; Augen! ein holdes Gesicht blickten mich an. Sie legte die rechte Hand
auf meine Linke; ich fühlte den sanften Druck der Theilnahme an meinem Meer¬
leben. Wir sahen uns in die Augen, lange, lange --. Sanft entschwand
Sie, die liebe Hand entschlüpfte, die meinige war in die Wellen gesunken --.
Die Theilnahme Seiner Excellenz des Herrn Oberkammerherrn an meinen Zu¬
ständen freut mich sehr, es ist ein Mann, den ich verehre, wenn auch im
Stillen, nicht als ein gewöhnlicher Visitenmacher. Ich wünschte nur etwas
von dem Regen und Kühle; das ist das einzige, was hier fehlt, gar keine
Abwechslung im Wetter, immer blauer Himmel; feit meiner Abreise von
Weimar habe ich 5--6 Regentage gehabt, und jetzt ist eine Hitze, daß man
verzwiflen möchte. Eckermann geht morgen ab und ich stehe allein in der
fremden Welt, wie wird es mir vorkommen? Doch ich muß durch, es koste
was es wolle, doch ich hoffe nicht das Leben. Daß Sie in unserem Hause
einige frohe Stunden verlebt, giebt mir die frohe Ueberzeugung einer fortge¬
setzten Berührung unserer Existenzen. Schmidts Gruß und Gedanke, daß ich
nicht so viel lache als wenn wir zusammen reißten, haben mich erfreut, es ist
beides recht und wahr. Marichen und die Mutter Schmidt grüßen Sie ent¬
weder schriftlich oder mündlich, dn ich nicht weis, wenn diese Zeilen zu Ihnen
gelangen. Lassen Sie bald wieder etwas von Sich hören, und fürchten Sie
nicht, daß ich das Postgeld schene. Grüßen Sie auch Töpfern von mir. Nun


August von Goethes Briefe aus Italien

6

Genua. Morgens 11 Uhr den 23 Jul. 1830.


Guten Morgen

Soeben erhalte ich Ihren Brief, wie freue ich mich zu erfahren, daß alles
in Ihrem Hause wohl ist und Gille so freundlich bei Holteis Anwesenheit
meiner gedachte. Carls theilnehmende fühlende Zeilen haben mich eben so
fröhlich gemacht wie die herzlichen von Nanny; tausend Dank beiden. Marien
hoffe ich recht gewachsen zu finden, so wie Mela auch aber in ihren Schlaf-
röckchen. — Ich sitze hier in einem beinahe fürstlichen Zimmer; die Aussicht
auf den Hafen, wo 200 Schiffe liegen, worunter 6 Kriegsschiffe, das ist ein
wunderbarer Anblick für eine Landratte wie ich! warum ist es so weit von
Weimar! und das Meer am Horizont so blau! ich wünschte Sie. Carl, Nanny,
Gille, Marichen und Mela nur eine Stunde hier, wie oft thut es mir leid,
alles dieses allein genießen zu müssen. Mein Tagebuch mag Ihnen wunder¬
lich erscheinen! aber ich bleibe immer die alte Garde, es geht heute mit diesem
Brief ab und ich hoffe, es kommt beides zugleich in Ihre Hände. Nun muß
ich Ihnen einen Traum erzählen, den ich neulich auf dem Meere hatte: Ich
wogte eines Abends auf dem Meer, erfreute mich des Lebens, denn alles war
Bewegung, Schiffe liefen ein und aus, Fischer waren thätig und Delphine
zeigten sich mir freundlich; ich kam mir vor wie ein Kind in der Wiege nud
schlief ein, den linken Arm auf dein Rand der Barke. Da sah ich träumend
eine schäumende Welle, sie ward zum Schleier, den zwei schöne Arme empor¬
hoben; Augen! ein holdes Gesicht blickten mich an. Sie legte die rechte Hand
auf meine Linke; ich fühlte den sanften Druck der Theilnahme an meinem Meer¬
leben. Wir sahen uns in die Augen, lange, lange —. Sanft entschwand
Sie, die liebe Hand entschlüpfte, die meinige war in die Wellen gesunken —.
Die Theilnahme Seiner Excellenz des Herrn Oberkammerherrn an meinen Zu¬
ständen freut mich sehr, es ist ein Mann, den ich verehre, wenn auch im
Stillen, nicht als ein gewöhnlicher Visitenmacher. Ich wünschte nur etwas
von dem Regen und Kühle; das ist das einzige, was hier fehlt, gar keine
Abwechslung im Wetter, immer blauer Himmel; feit meiner Abreise von
Weimar habe ich 5—6 Regentage gehabt, und jetzt ist eine Hitze, daß man
verzwiflen möchte. Eckermann geht morgen ab und ich stehe allein in der
fremden Welt, wie wird es mir vorkommen? Doch ich muß durch, es koste
was es wolle, doch ich hoffe nicht das Leben. Daß Sie in unserem Hause
einige frohe Stunden verlebt, giebt mir die frohe Ueberzeugung einer fortge¬
setzten Berührung unserer Existenzen. Schmidts Gruß und Gedanke, daß ich
nicht so viel lache als wenn wir zusammen reißten, haben mich erfreut, es ist
beides recht und wahr. Marichen und die Mutter Schmidt grüßen Sie ent¬
weder schriftlich oder mündlich, dn ich nicht weis, wenn diese Zeilen zu Ihnen
gelangen. Lassen Sie bald wieder etwas von Sich hören, und fürchten Sie
nicht, daß ich das Postgeld schene. Grüßen Sie auch Töpfern von mir. Nun


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[0204] August von Goethes Briefe aus Italien 6 Genua. Morgens 11 Uhr den 23 Jul. 1830. Guten Morgen Soeben erhalte ich Ihren Brief, wie freue ich mich zu erfahren, daß alles in Ihrem Hause wohl ist und Gille so freundlich bei Holteis Anwesenheit meiner gedachte. Carls theilnehmende fühlende Zeilen haben mich eben so fröhlich gemacht wie die herzlichen von Nanny; tausend Dank beiden. Marien hoffe ich recht gewachsen zu finden, so wie Mela auch aber in ihren Schlaf- röckchen. — Ich sitze hier in einem beinahe fürstlichen Zimmer; die Aussicht auf den Hafen, wo 200 Schiffe liegen, worunter 6 Kriegsschiffe, das ist ein wunderbarer Anblick für eine Landratte wie ich! warum ist es so weit von Weimar! und das Meer am Horizont so blau! ich wünschte Sie. Carl, Nanny, Gille, Marichen und Mela nur eine Stunde hier, wie oft thut es mir leid, alles dieses allein genießen zu müssen. Mein Tagebuch mag Ihnen wunder¬ lich erscheinen! aber ich bleibe immer die alte Garde, es geht heute mit diesem Brief ab und ich hoffe, es kommt beides zugleich in Ihre Hände. Nun muß ich Ihnen einen Traum erzählen, den ich neulich auf dem Meere hatte: Ich wogte eines Abends auf dem Meer, erfreute mich des Lebens, denn alles war Bewegung, Schiffe liefen ein und aus, Fischer waren thätig und Delphine zeigten sich mir freundlich; ich kam mir vor wie ein Kind in der Wiege nud schlief ein, den linken Arm auf dein Rand der Barke. Da sah ich träumend eine schäumende Welle, sie ward zum Schleier, den zwei schöne Arme empor¬ hoben; Augen! ein holdes Gesicht blickten mich an. Sie legte die rechte Hand auf meine Linke; ich fühlte den sanften Druck der Theilnahme an meinem Meer¬ leben. Wir sahen uns in die Augen, lange, lange —. Sanft entschwand Sie, die liebe Hand entschlüpfte, die meinige war in die Wellen gesunken —. Die Theilnahme Seiner Excellenz des Herrn Oberkammerherrn an meinen Zu¬ ständen freut mich sehr, es ist ein Mann, den ich verehre, wenn auch im Stillen, nicht als ein gewöhnlicher Visitenmacher. Ich wünschte nur etwas von dem Regen und Kühle; das ist das einzige, was hier fehlt, gar keine Abwechslung im Wetter, immer blauer Himmel; feit meiner Abreise von Weimar habe ich 5—6 Regentage gehabt, und jetzt ist eine Hitze, daß man verzwiflen möchte. Eckermann geht morgen ab und ich stehe allein in der fremden Welt, wie wird es mir vorkommen? Doch ich muß durch, es koste was es wolle, doch ich hoffe nicht das Leben. Daß Sie in unserem Hause einige frohe Stunden verlebt, giebt mir die frohe Ueberzeugung einer fortge¬ setzten Berührung unserer Existenzen. Schmidts Gruß und Gedanke, daß ich nicht so viel lache als wenn wir zusammen reißten, haben mich erfreut, es ist beides recht und wahr. Marichen und die Mutter Schmidt grüßen Sie ent¬ weder schriftlich oder mündlich, dn ich nicht weis, wenn diese Zeilen zu Ihnen gelangen. Lassen Sie bald wieder etwas von Sich hören, und fürchten Sie nicht, daß ich das Postgeld schene. Grüßen Sie auch Töpfern von mir. Nun

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/204>, abgerufen am 27.06.2024.