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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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August von Goethes Briefe aus Italien

Hintergrund lebt in diesen Briefen das Bewußtsein der Schreibers, in der
Heimat nur von wenigen ehrlich vermißt und die Furcht, rasch vergessen zu
werdeu. Die seltsame Mischung wilden Trotzes und gemütstiefer Weichheit in
seinem Wesen, der Widerspruch, daß er sich "die alte Garde" nannte und am
liebsten einem der napoleonischen Groguards geglichen Hütte, während er in
Wahrheit ein behaglicher Lebemensch war, der das Behagen in seinen nächsten
Verhältnissen schwer vermißte, dankbare Erinnerung an alle, die ihm frohe
Tage bereitet hatten, und gelegentliche Bitterkeit über die ihn einengendem Zu¬
stände leuchten aus diesen vertraulichen letzten Lebensäußerungen hervor. Die
entschlossene Art, wie sich Angust von Goethe über allerhand schlimme Er-
fahrungen seiner Neisemonate hinwegsetzt, deutet auf die Resignation eines ge¬
wohnheitsmäßigen Pechvogels. Der war und der blieb er, ganz abgesehen
vom letzten Verhängnis, das ihn in Rom ereilte, und das man nach allem
eher für ein Glück als für ein Mißgeschick erachten kann. Aber daß er in
Mailand die befreundete Familie Mylius, an die er wohl empfohlen war,
unter den Nachwirkungen eines schweren Trauerfalls antraf, daß sich sein Be¬
gleiter von Weimar her, Eckermann, in Genua von ihm trennte, daß er am
Tage nach dieser Trennung einen Armbruch erlitt und in Spezzia wochen¬
lang die Heilung erwarten mußte, das alles qualifizierte ihn auch in Italien
zum guten Jungen Unstern, aus dem vieles in der Welt Hütte werden können,
wenn sich ihm sein Schicksal nicht tückisch in den Weg gestellt Hütte.

Rührend und ergreifend wirken die Vriefstellen, in denen August von Goethe
sein Verlangen nach Weimar immer sehnlicher ausspricht, sich der Freundn,
gegenüber wegen seines lungern Ausbleibens entschuldigt und sich auf nichts
mehr freut als auf die traulichen Abende, die er im Novemberschnee bei Gilles
verleben will. Man sieht deutlich, daß seine Gedanken und Hoffnungen auch
jetzt nicht zu hoch flogen, und daß er sich "etwas müde" fühlte, ohne zu casum,
wie nahe ihm die lange und große Ruhe sei.

1

Guten Morgen, Obgleich ich diese Nacht wieder leidlich geschlafen, so ist
doch mein Zustand noch wie gestern und es will nicht wanken und weichen. Auch
macht es mich unruhig, daß meine Geschäfts-Sachen sich anfangen zu Häuser,
so ist mir nun auch die ewige Stubenluft zuwider, die Sonne scheint freundlich
und ich möchte gern hinaus; es ist ein trostloser Zustand! Ihre Zeilen haben
mich sehr erfreut und ich hoffte auch recht darauf. Gestern Abend haben mir
Walther und Wolf auf ihrem Puppentheater eine von Walther selbst verfaßte
Komödie vorgespielt, was mich auf eine Stunde etwas erheiterte. Sonst bin
ich wieder kräftig, kann arbeiten, nur fehlt mir der Lebensmuth, und das ist
ein trauriges Gefühl; ich komme mir vor, als wäre ich nur noch geborgt auf
der Welt, kein Witz, kein Spaß kömmt über meine Lippen, und wenn ich mich
zwinge etwas komisches zu lesen, so macht es mich traurig. Sagen Sie Gilten,
daß mir seine Gegenwart immer lieb ist und daß er der Einzige wäre, mit dem


August von Goethes Briefe aus Italien

Hintergrund lebt in diesen Briefen das Bewußtsein der Schreibers, in der
Heimat nur von wenigen ehrlich vermißt und die Furcht, rasch vergessen zu
werdeu. Die seltsame Mischung wilden Trotzes und gemütstiefer Weichheit in
seinem Wesen, der Widerspruch, daß er sich „die alte Garde" nannte und am
liebsten einem der napoleonischen Groguards geglichen Hütte, während er in
Wahrheit ein behaglicher Lebemensch war, der das Behagen in seinen nächsten
Verhältnissen schwer vermißte, dankbare Erinnerung an alle, die ihm frohe
Tage bereitet hatten, und gelegentliche Bitterkeit über die ihn einengendem Zu¬
stände leuchten aus diesen vertraulichen letzten Lebensäußerungen hervor. Die
entschlossene Art, wie sich Angust von Goethe über allerhand schlimme Er-
fahrungen seiner Neisemonate hinwegsetzt, deutet auf die Resignation eines ge¬
wohnheitsmäßigen Pechvogels. Der war und der blieb er, ganz abgesehen
vom letzten Verhängnis, das ihn in Rom ereilte, und das man nach allem
eher für ein Glück als für ein Mißgeschick erachten kann. Aber daß er in
Mailand die befreundete Familie Mylius, an die er wohl empfohlen war,
unter den Nachwirkungen eines schweren Trauerfalls antraf, daß sich sein Be¬
gleiter von Weimar her, Eckermann, in Genua von ihm trennte, daß er am
Tage nach dieser Trennung einen Armbruch erlitt und in Spezzia wochen¬
lang die Heilung erwarten mußte, das alles qualifizierte ihn auch in Italien
zum guten Jungen Unstern, aus dem vieles in der Welt Hütte werden können,
wenn sich ihm sein Schicksal nicht tückisch in den Weg gestellt Hütte.

Rührend und ergreifend wirken die Vriefstellen, in denen August von Goethe
sein Verlangen nach Weimar immer sehnlicher ausspricht, sich der Freundn,
gegenüber wegen seines lungern Ausbleibens entschuldigt und sich auf nichts
mehr freut als auf die traulichen Abende, die er im Novemberschnee bei Gilles
verleben will. Man sieht deutlich, daß seine Gedanken und Hoffnungen auch
jetzt nicht zu hoch flogen, und daß er sich „etwas müde" fühlte, ohne zu casum,
wie nahe ihm die lange und große Ruhe sei.

1

Guten Morgen, Obgleich ich diese Nacht wieder leidlich geschlafen, so ist
doch mein Zustand noch wie gestern und es will nicht wanken und weichen. Auch
macht es mich unruhig, daß meine Geschäfts-Sachen sich anfangen zu Häuser,
so ist mir nun auch die ewige Stubenluft zuwider, die Sonne scheint freundlich
und ich möchte gern hinaus; es ist ein trostloser Zustand! Ihre Zeilen haben
mich sehr erfreut und ich hoffte auch recht darauf. Gestern Abend haben mir
Walther und Wolf auf ihrem Puppentheater eine von Walther selbst verfaßte
Komödie vorgespielt, was mich auf eine Stunde etwas erheiterte. Sonst bin
ich wieder kräftig, kann arbeiten, nur fehlt mir der Lebensmuth, und das ist
ein trauriges Gefühl; ich komme mir vor, als wäre ich nur noch geborgt auf
der Welt, kein Witz, kein Spaß kömmt über meine Lippen, und wenn ich mich
zwinge etwas komisches zu lesen, so macht es mich traurig. Sagen Sie Gilten,
daß mir seine Gegenwart immer lieb ist und daß er der Einzige wäre, mit dem


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[0200] August von Goethes Briefe aus Italien Hintergrund lebt in diesen Briefen das Bewußtsein der Schreibers, in der Heimat nur von wenigen ehrlich vermißt und die Furcht, rasch vergessen zu werdeu. Die seltsame Mischung wilden Trotzes und gemütstiefer Weichheit in seinem Wesen, der Widerspruch, daß er sich „die alte Garde" nannte und am liebsten einem der napoleonischen Groguards geglichen Hütte, während er in Wahrheit ein behaglicher Lebemensch war, der das Behagen in seinen nächsten Verhältnissen schwer vermißte, dankbare Erinnerung an alle, die ihm frohe Tage bereitet hatten, und gelegentliche Bitterkeit über die ihn einengendem Zu¬ stände leuchten aus diesen vertraulichen letzten Lebensäußerungen hervor. Die entschlossene Art, wie sich Angust von Goethe über allerhand schlimme Er- fahrungen seiner Neisemonate hinwegsetzt, deutet auf die Resignation eines ge¬ wohnheitsmäßigen Pechvogels. Der war und der blieb er, ganz abgesehen vom letzten Verhängnis, das ihn in Rom ereilte, und das man nach allem eher für ein Glück als für ein Mißgeschick erachten kann. Aber daß er in Mailand die befreundete Familie Mylius, an die er wohl empfohlen war, unter den Nachwirkungen eines schweren Trauerfalls antraf, daß sich sein Be¬ gleiter von Weimar her, Eckermann, in Genua von ihm trennte, daß er am Tage nach dieser Trennung einen Armbruch erlitt und in Spezzia wochen¬ lang die Heilung erwarten mußte, das alles qualifizierte ihn auch in Italien zum guten Jungen Unstern, aus dem vieles in der Welt Hütte werden können, wenn sich ihm sein Schicksal nicht tückisch in den Weg gestellt Hütte. Rührend und ergreifend wirken die Vriefstellen, in denen August von Goethe sein Verlangen nach Weimar immer sehnlicher ausspricht, sich der Freundn, gegenüber wegen seines lungern Ausbleibens entschuldigt und sich auf nichts mehr freut als auf die traulichen Abende, die er im Novemberschnee bei Gilles verleben will. Man sieht deutlich, daß seine Gedanken und Hoffnungen auch jetzt nicht zu hoch flogen, und daß er sich „etwas müde" fühlte, ohne zu casum, wie nahe ihm die lange und große Ruhe sei. 1 Guten Morgen, Obgleich ich diese Nacht wieder leidlich geschlafen, so ist doch mein Zustand noch wie gestern und es will nicht wanken und weichen. Auch macht es mich unruhig, daß meine Geschäfts-Sachen sich anfangen zu Häuser, so ist mir nun auch die ewige Stubenluft zuwider, die Sonne scheint freundlich und ich möchte gern hinaus; es ist ein trostloser Zustand! Ihre Zeilen haben mich sehr erfreut und ich hoffte auch recht darauf. Gestern Abend haben mir Walther und Wolf auf ihrem Puppentheater eine von Walther selbst verfaßte Komödie vorgespielt, was mich auf eine Stunde etwas erheiterte. Sonst bin ich wieder kräftig, kann arbeiten, nur fehlt mir der Lebensmuth, und das ist ein trauriges Gefühl; ich komme mir vor, als wäre ich nur noch geborgt auf der Welt, kein Witz, kein Spaß kömmt über meine Lippen, und wenn ich mich zwinge etwas komisches zu lesen, so macht es mich traurig. Sagen Sie Gilten, daß mir seine Gegenwart immer lieb ist und daß er der Einzige wäre, mit dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/200>, abgerufen am 22.07.2024.