Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Eine Fahrt nach dein Haterlande

01, sollte meinen, daß in einer Zeit, wo die Eisenbahnen die
unwirtlichsten Gegenden Asiens und Amerikas durchschneiden,
ja wo der Augenblick nahe zu rücken scheint, wo die Land¬
straßen beinahe schon überwundue Verkehrswege genannt werden
dürfen, kein Fleckchen unsers eignen Vaterlands von dem be¬
lebenden Strome des modernen Verkehrs unberührt bliebe. Und trotzdem
giebt es noch derartige Einsiedeleien; eine von ihnen ist das Snterland, von
dessen Dasein kaum über die engsten Grenzen der Nachbarschaft die Kunde
gedrungen ist, obwohl wir in ihm ein Stückchen Erde vor nus haben, das
nach Geschichte und Kultur, nach seinen Bewohnern und der Scholle, auf der
sie sitzen, gleich eigentümlich ist. Seine genane Kenntnis ist uns erst in neuster
Zeit von dem Archivar des Großherzoglichen Haus- und Staatsarchivs in Olden¬
burg, Dr. Sello und von einem Sohne dieses Landes, Dr. Julius Bröriug,
in vorzüglicher Weise erschlossen worden, von denen jener als scharfsinniger
.Historiker, dieser mit seiner Heimatliebe und der sorgsamen Einzelbeschreibung
auf uns zu wirken weiß.

Das Saterland ist der nordwestliche Teil des vldcnlmrgischen Verwaltuugs-
muts Friesoythe; es hat bei einer Länge von 23,3 Kilometern, einer mittlern
Breite von etwa 10 Kilometern einen Flächeninhalt von 149 Quadratkilometern.
Es wird von einem Flusse der Länge nach durchflossen, der Saker-Ems, die
nus den beiden am Hümling entspringenden Flüßchen Ode und Marta ent¬
steht, von dein "gemeinen freien Strom durch das Sagaterlnnd nach Fries-
lnnd fließend," wie die Saker-Ems 1588 etwas euphemistisch von ihren An¬
wohnern bezeichnet wird; euphemistisch, wenn man die Größe des Gewässers
ins Auge faßt, aber in Wahrheit stimmt der Ausdruck, denn der Fluß ist jähr
hundertelang fast die einzige Lebensader gewesen, die das Ländchen mit der
Außenwelt verband; man benutzte zum Landverkehre durch die unwirtlichen




*) Georg Sello, Saterlands Geschichte und Verfassung; mit einer Nachbildung
der Karte des Saterlands von 1588. Oldenburg und Leipzig, bei Schulze, 1896.
**) Dr. Julius Bröring, Das Saterland, eine Darstellung von Land, Leben und
Leuten in Wort und Bild; erster Teil. Mit Titelbild und zwölf Abbildungen. Oldenburg, bei
Gerhard Stalling, 1897 (n- u. d. T. Schriften des Oldenburger Landesvereins für Altertums¬
kunde und Landesgeschichte; Band Is).


Eine Fahrt nach dein Haterlande

01, sollte meinen, daß in einer Zeit, wo die Eisenbahnen die
unwirtlichsten Gegenden Asiens und Amerikas durchschneiden,
ja wo der Augenblick nahe zu rücken scheint, wo die Land¬
straßen beinahe schon überwundue Verkehrswege genannt werden
dürfen, kein Fleckchen unsers eignen Vaterlands von dem be¬
lebenden Strome des modernen Verkehrs unberührt bliebe. Und trotzdem
giebt es noch derartige Einsiedeleien; eine von ihnen ist das Snterland, von
dessen Dasein kaum über die engsten Grenzen der Nachbarschaft die Kunde
gedrungen ist, obwohl wir in ihm ein Stückchen Erde vor nus haben, das
nach Geschichte und Kultur, nach seinen Bewohnern und der Scholle, auf der
sie sitzen, gleich eigentümlich ist. Seine genane Kenntnis ist uns erst in neuster
Zeit von dem Archivar des Großherzoglichen Haus- und Staatsarchivs in Olden¬
burg, Dr. Sello und von einem Sohne dieses Landes, Dr. Julius Bröriug,
in vorzüglicher Weise erschlossen worden, von denen jener als scharfsinniger
.Historiker, dieser mit seiner Heimatliebe und der sorgsamen Einzelbeschreibung
auf uns zu wirken weiß.

Das Saterland ist der nordwestliche Teil des vldcnlmrgischen Verwaltuugs-
muts Friesoythe; es hat bei einer Länge von 23,3 Kilometern, einer mittlern
Breite von etwa 10 Kilometern einen Flächeninhalt von 149 Quadratkilometern.
Es wird von einem Flusse der Länge nach durchflossen, der Saker-Ems, die
nus den beiden am Hümling entspringenden Flüßchen Ode und Marta ent¬
steht, von dein „gemeinen freien Strom durch das Sagaterlnnd nach Fries-
lnnd fließend," wie die Saker-Ems 1588 etwas euphemistisch von ihren An¬
wohnern bezeichnet wird; euphemistisch, wenn man die Größe des Gewässers
ins Auge faßt, aber in Wahrheit stimmt der Ausdruck, denn der Fluß ist jähr
hundertelang fast die einzige Lebensader gewesen, die das Ländchen mit der
Außenwelt verband; man benutzte zum Landverkehre durch die unwirtlichen




*) Georg Sello, Saterlands Geschichte und Verfassung; mit einer Nachbildung
der Karte des Saterlands von 1588. Oldenburg und Leipzig, bei Schulze, 1896.
**) Dr. Julius Bröring, Das Saterland, eine Darstellung von Land, Leben und
Leuten in Wort und Bild; erster Teil. Mit Titelbild und zwölf Abbildungen. Oldenburg, bei
Gerhard Stalling, 1897 (n- u. d. T. Schriften des Oldenburger Landesvereins für Altertums¬
kunde und Landesgeschichte; Band Is).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0141" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/232693"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341871_232551/figures/grenzboten_341871_232551_232693_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Eine Fahrt nach dein Haterlande</head><lb/>
          <p xml:id="ID_400"> 01, sollte meinen, daß in einer Zeit, wo die Eisenbahnen die<lb/>
unwirtlichsten Gegenden Asiens und Amerikas durchschneiden,<lb/>
ja wo der Augenblick nahe zu rücken scheint, wo die Land¬<lb/>
straßen beinahe schon überwundue Verkehrswege genannt werden<lb/>
dürfen, kein Fleckchen unsers eignen Vaterlands von dem be¬<lb/>
lebenden Strome des modernen Verkehrs unberührt bliebe. Und trotzdem<lb/>
giebt es noch derartige Einsiedeleien; eine von ihnen ist das Snterland, von<lb/>
dessen Dasein kaum über die engsten Grenzen der Nachbarschaft die Kunde<lb/>
gedrungen ist, obwohl wir in ihm ein Stückchen Erde vor nus haben, das<lb/>
nach Geschichte und Kultur, nach seinen Bewohnern und der Scholle, auf der<lb/>
sie sitzen, gleich eigentümlich ist. Seine genane Kenntnis ist uns erst in neuster<lb/>
Zeit von dem Archivar des Großherzoglichen Haus- und Staatsarchivs in Olden¬<lb/>
burg, Dr. Sello und von einem Sohne dieses Landes, Dr. Julius Bröriug,<lb/>
in vorzüglicher Weise erschlossen worden, von denen jener als scharfsinniger<lb/>
.Historiker, dieser mit seiner Heimatliebe und der sorgsamen Einzelbeschreibung<lb/>
auf uns zu wirken weiß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_401" next="#ID_402"> Das Saterland ist der nordwestliche Teil des vldcnlmrgischen Verwaltuugs-<lb/>
muts Friesoythe; es hat bei einer Länge von 23,3 Kilometern, einer mittlern<lb/>
Breite von etwa 10 Kilometern einen Flächeninhalt von 149 Quadratkilometern.<lb/>
Es wird von einem Flusse der Länge nach durchflossen, der Saker-Ems, die<lb/>
nus den beiden am Hümling entspringenden Flüßchen Ode und Marta ent¬<lb/>
steht, von dein &#x201E;gemeinen freien Strom durch das Sagaterlnnd nach Fries-<lb/>
lnnd fließend," wie die Saker-Ems 1588 etwas euphemistisch von ihren An¬<lb/>
wohnern bezeichnet wird; euphemistisch, wenn man die Größe des Gewässers<lb/>
ins Auge faßt, aber in Wahrheit stimmt der Ausdruck, denn der Fluß ist jähr<lb/>
hundertelang fast die einzige Lebensader gewesen, die das Ländchen mit der<lb/>
Außenwelt verband; man benutzte zum Landverkehre durch die unwirtlichen</p><lb/>
          <note xml:id="FID_35" place="foot"> *) Georg Sello, Saterlands Geschichte und Verfassung; mit einer Nachbildung<lb/>
der Karte des Saterlands von 1588. Oldenburg und Leipzig, bei Schulze, 1896.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_36" place="foot"> **) Dr. Julius Bröring, Das Saterland, eine Darstellung von Land, Leben und<lb/>
Leuten in Wort und Bild; erster Teil. Mit Titelbild und zwölf Abbildungen. Oldenburg, bei<lb/>
Gerhard Stalling, 1897 (n- u. d. T. Schriften des Oldenburger Landesvereins für Altertums¬<lb/>
kunde und Landesgeschichte; Band Is).</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0141] [Abbildung] Eine Fahrt nach dein Haterlande 01, sollte meinen, daß in einer Zeit, wo die Eisenbahnen die unwirtlichsten Gegenden Asiens und Amerikas durchschneiden, ja wo der Augenblick nahe zu rücken scheint, wo die Land¬ straßen beinahe schon überwundue Verkehrswege genannt werden dürfen, kein Fleckchen unsers eignen Vaterlands von dem be¬ lebenden Strome des modernen Verkehrs unberührt bliebe. Und trotzdem giebt es noch derartige Einsiedeleien; eine von ihnen ist das Snterland, von dessen Dasein kaum über die engsten Grenzen der Nachbarschaft die Kunde gedrungen ist, obwohl wir in ihm ein Stückchen Erde vor nus haben, das nach Geschichte und Kultur, nach seinen Bewohnern und der Scholle, auf der sie sitzen, gleich eigentümlich ist. Seine genane Kenntnis ist uns erst in neuster Zeit von dem Archivar des Großherzoglichen Haus- und Staatsarchivs in Olden¬ burg, Dr. Sello und von einem Sohne dieses Landes, Dr. Julius Bröriug, in vorzüglicher Weise erschlossen worden, von denen jener als scharfsinniger .Historiker, dieser mit seiner Heimatliebe und der sorgsamen Einzelbeschreibung auf uns zu wirken weiß. Das Saterland ist der nordwestliche Teil des vldcnlmrgischen Verwaltuugs- muts Friesoythe; es hat bei einer Länge von 23,3 Kilometern, einer mittlern Breite von etwa 10 Kilometern einen Flächeninhalt von 149 Quadratkilometern. Es wird von einem Flusse der Länge nach durchflossen, der Saker-Ems, die nus den beiden am Hümling entspringenden Flüßchen Ode und Marta ent¬ steht, von dein „gemeinen freien Strom durch das Sagaterlnnd nach Fries- lnnd fließend," wie die Saker-Ems 1588 etwas euphemistisch von ihren An¬ wohnern bezeichnet wird; euphemistisch, wenn man die Größe des Gewässers ins Auge faßt, aber in Wahrheit stimmt der Ausdruck, denn der Fluß ist jähr hundertelang fast die einzige Lebensader gewesen, die das Ländchen mit der Außenwelt verband; man benutzte zum Landverkehre durch die unwirtlichen *) Georg Sello, Saterlands Geschichte und Verfassung; mit einer Nachbildung der Karte des Saterlands von 1588. Oldenburg und Leipzig, bei Schulze, 1896. **) Dr. Julius Bröring, Das Saterland, eine Darstellung von Land, Leben und Leuten in Wort und Bild; erster Teil. Mit Titelbild und zwölf Abbildungen. Oldenburg, bei Gerhard Stalling, 1897 (n- u. d. T. Schriften des Oldenburger Landesvereins für Altertums¬ kunde und Landesgeschichte; Band Is).

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/141
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/141>, abgerufen am 05.12.2024.