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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Line Frühlingsfahrt nach den Abruzzen uns nach Apulien

Es ist eine tiefbewegende Tragödie dieses Schicksal des einst so strahlenden
Hoffräuleins und nun bethörten Mädchens, wie sie mit ihrer Schmach, mit
ihrem Schmerze um die betrogne Liebe und um das tote Söhnchen von dem
gebeugten Vater heimgeholt wird, und dabei als warnender Sonnenstrahl die
Liebe der ältern Schwester, die ihr bei all ihren Irrwegen die Treue hielt.

Ferner werden uns Briefe des Vetters Sir Richard Leveson, des Ad¬
mirals, an Lady Anne mitgeteilt, voll frischer Natürlichkeit und Anhänglichkeit.
Dann (als Anne Witwe geworden war) neue Bewerbungen um die gewiß nicht
sehr günstig situierte, mit Kindern reich gesegnete Frau, die aber nur für ihre
Kinder zu leben und zu sorgen fortfährt. So fließt ihr Leben dahin, still
und segensreich, in ihrer anspruchslosen Zurückgezogenheit doch ein Ruhe¬
punkt für alle, die ihr näher treten. Das Leben und Walten von Anne Lady
Newdegate, der Schwester Mary Fittons, ist für die Shakespeareforschung nur
von möglicher und auch dann nur von mittelbarer Bedeutung. Wer aber,
nicht im Dienste nüchterner Forschung gebunden, seiner Lust zum Fabulieren
freien Flug gewähren darf und einen historischen Roman aus der Shakespeare¬
zeit wagen will, der wird in dem Geplauder des Familienarchivs zu Arbury
gar manche wertvolle Anregung dazu finden. Ich glaube freilich, unser sinniges
Publikum wird aus dem Buche der Lady Newdigate-Newdegate allein schon
Genuß schöpfen können, ans diesem Spiegelbilde ungeschmückten, schönen
Menschentums, wie es sich in der großen Zeit der Elisabeth und Shakespeares
in der Stille eines englischen Landedelsitzes offenbart hat.




Eine Frühlingsfahrt nach den Abruzzen
und nach Apulien
Hermann Lhrenbcrg von(Fortsetzung)

inen besondern Genuß gewinnt man, wenn man an der roma¬
nischen Kirche S. Angelo vorbei zum hochgelegnen Kastell empor¬
steigt; hier wird man fast geblendet durch den Anblick der un¬
mittelbar vor uns aufragenden, im weißesten Schnee erglän¬
zenden Monti Sibillini und des Gran Sasso, während in der
Tiefe die vieltürmige Stadt und nach dem Meere zu das wohlgepflegtc
Thal des Tronto sichtbar werden. Und sodann, wenn man in der Stadt


Line Frühlingsfahrt nach den Abruzzen uns nach Apulien

Es ist eine tiefbewegende Tragödie dieses Schicksal des einst so strahlenden
Hoffräuleins und nun bethörten Mädchens, wie sie mit ihrer Schmach, mit
ihrem Schmerze um die betrogne Liebe und um das tote Söhnchen von dem
gebeugten Vater heimgeholt wird, und dabei als warnender Sonnenstrahl die
Liebe der ältern Schwester, die ihr bei all ihren Irrwegen die Treue hielt.

Ferner werden uns Briefe des Vetters Sir Richard Leveson, des Ad¬
mirals, an Lady Anne mitgeteilt, voll frischer Natürlichkeit und Anhänglichkeit.
Dann (als Anne Witwe geworden war) neue Bewerbungen um die gewiß nicht
sehr günstig situierte, mit Kindern reich gesegnete Frau, die aber nur für ihre
Kinder zu leben und zu sorgen fortfährt. So fließt ihr Leben dahin, still
und segensreich, in ihrer anspruchslosen Zurückgezogenheit doch ein Ruhe¬
punkt für alle, die ihr näher treten. Das Leben und Walten von Anne Lady
Newdegate, der Schwester Mary Fittons, ist für die Shakespeareforschung nur
von möglicher und auch dann nur von mittelbarer Bedeutung. Wer aber,
nicht im Dienste nüchterner Forschung gebunden, seiner Lust zum Fabulieren
freien Flug gewähren darf und einen historischen Roman aus der Shakespeare¬
zeit wagen will, der wird in dem Geplauder des Familienarchivs zu Arbury
gar manche wertvolle Anregung dazu finden. Ich glaube freilich, unser sinniges
Publikum wird aus dem Buche der Lady Newdigate-Newdegate allein schon
Genuß schöpfen können, ans diesem Spiegelbilde ungeschmückten, schönen
Menschentums, wie es sich in der großen Zeit der Elisabeth und Shakespeares
in der Stille eines englischen Landedelsitzes offenbart hat.




Eine Frühlingsfahrt nach den Abruzzen
und nach Apulien
Hermann Lhrenbcrg von(Fortsetzung)

inen besondern Genuß gewinnt man, wenn man an der roma¬
nischen Kirche S. Angelo vorbei zum hochgelegnen Kastell empor¬
steigt; hier wird man fast geblendet durch den Anblick der un¬
mittelbar vor uns aufragenden, im weißesten Schnee erglän¬
zenden Monti Sibillini und des Gran Sasso, während in der
Tiefe die vieltürmige Stadt und nach dem Meere zu das wohlgepflegtc
Thal des Tronto sichtbar werden. Und sodann, wenn man in der Stadt


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[0087] Line Frühlingsfahrt nach den Abruzzen uns nach Apulien Es ist eine tiefbewegende Tragödie dieses Schicksal des einst so strahlenden Hoffräuleins und nun bethörten Mädchens, wie sie mit ihrer Schmach, mit ihrem Schmerze um die betrogne Liebe und um das tote Söhnchen von dem gebeugten Vater heimgeholt wird, und dabei als warnender Sonnenstrahl die Liebe der ältern Schwester, die ihr bei all ihren Irrwegen die Treue hielt. Ferner werden uns Briefe des Vetters Sir Richard Leveson, des Ad¬ mirals, an Lady Anne mitgeteilt, voll frischer Natürlichkeit und Anhänglichkeit. Dann (als Anne Witwe geworden war) neue Bewerbungen um die gewiß nicht sehr günstig situierte, mit Kindern reich gesegnete Frau, die aber nur für ihre Kinder zu leben und zu sorgen fortfährt. So fließt ihr Leben dahin, still und segensreich, in ihrer anspruchslosen Zurückgezogenheit doch ein Ruhe¬ punkt für alle, die ihr näher treten. Das Leben und Walten von Anne Lady Newdegate, der Schwester Mary Fittons, ist für die Shakespeareforschung nur von möglicher und auch dann nur von mittelbarer Bedeutung. Wer aber, nicht im Dienste nüchterner Forschung gebunden, seiner Lust zum Fabulieren freien Flug gewähren darf und einen historischen Roman aus der Shakespeare¬ zeit wagen will, der wird in dem Geplauder des Familienarchivs zu Arbury gar manche wertvolle Anregung dazu finden. Ich glaube freilich, unser sinniges Publikum wird aus dem Buche der Lady Newdigate-Newdegate allein schon Genuß schöpfen können, ans diesem Spiegelbilde ungeschmückten, schönen Menschentums, wie es sich in der großen Zeit der Elisabeth und Shakespeares in der Stille eines englischen Landedelsitzes offenbart hat. Eine Frühlingsfahrt nach den Abruzzen und nach Apulien Hermann Lhrenbcrg von(Fortsetzung) inen besondern Genuß gewinnt man, wenn man an der roma¬ nischen Kirche S. Angelo vorbei zum hochgelegnen Kastell empor¬ steigt; hier wird man fast geblendet durch den Anblick der un¬ mittelbar vor uns aufragenden, im weißesten Schnee erglän¬ zenden Monti Sibillini und des Gran Sasso, während in der Tiefe die vieltürmige Stadt und nach dem Meere zu das wohlgepflegtc Thal des Tronto sichtbar werden. Und sodann, wenn man in der Stadt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/87>, abgerufen am 15.01.2025.