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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Geheimmittel

garder hat. Auch viele Gärten kleinerer Besitzer, Grafen und Freiherren, sind
dem Publikum geöffnet und sind sehenswert. Erst dieser Tage habe ich die
Stolbergischen Schloßgärten in Roßla und Wermgerode bewundert. Warum
ist ein solcher Schloßgarten so ganz anders geartet als ein städtischer Park,
das Erzeugnis der Millionenstiftung in einer amerikanischen Großstadt? Ich
trete in den durchaus nicht anspruchsvollen Schloßgarten von Ballenstedt, und
das erste, was ich sehe, ist eine prächtige Bluthunde, höchst geschmackvoll in
grünes Laubwerk hineinkomponiert, und daneben auf dem Grasplatz eine gerade
ihre veilchenblauen Blütentrauben entfaltende Paulownia, um deren Fuß sich ein
Epheugcbüsch in höchst seltsamer Weise ausbreitet. Ich sehe hier auch uralte
Stechpalmen, eine süddeutsche Bekanntschaft. Worin liegt denn der Unter¬
schied? Hier steht vor dem Schloß ein einfacher Granitobelisk im Vlumen-
rondell, den der Herzog der letzten Herzogin von Anhalt-Bernburg, Friederike
von Holstein-Glücksburg, gesetzt hat. Warum ist er soviel würdiger, an¬
sprechender als alle die mühseligen Siegesdenkmäler, die ich die letzten Tage
gesehen habe? Weil es der Gedanke eines einzigen Mannes von Geschmack
ist, der hier Ausdruck gesucht hat. Und so ist es mit den Gärten. Das
Auge eines Herrn, der nicht bloß sorgsam ist, sondern Geschmack hat, ruht
auf diesen Bäumen. Ihm sollen sie gefallen, daneben ist ihre Betrachtung
auch dem Publikum erlaubt, das aber ganz zufrieden ist, wenn es nichts
dazu zu sagen hat. Nur ein geschichtlicher Zufall, wie er im Aufgeben eines
breiten Festungswalles liegt, der Höhen und Tiefen zu Parkanlagen darbietet,
hat städtische Gartenanlagen von originaler Schönheit ins Leben gerufen;
oder aber die Nachahmung der Werke der Fürsten, wie in München. Die
öffentlichen Gärten unsrer amerikanischen Großstädte haben alle etwas Kaltes,
und außerdem gehören sie zu den bestmelkcnden Kühen im Stalle unsrer
munizipalen Politiker. Auch das giebt dem Freistaatenmann zu denken.




Geheimmittel
Hermann Schelenz Line Plauderei von

istig spielte im Paradiese die Schlange das Geheimnisvolle,
womit der Baum des Erkenntnisses umwoben war, zuerst Frau
Eva gegenüber aus; und znerst fiel die Menschenmutter, dann
ihr folgsamer Mann dem unseligen Drang zum Opfer, dem Ge¬
heimnis nachzuspüren. Unwiderstehlich reizte das Geheimnis den
Jüngling, den schützenden Schleier vor dem Bilde von Sais zu lüften; das


Geheimmittel

garder hat. Auch viele Gärten kleinerer Besitzer, Grafen und Freiherren, sind
dem Publikum geöffnet und sind sehenswert. Erst dieser Tage habe ich die
Stolbergischen Schloßgärten in Roßla und Wermgerode bewundert. Warum
ist ein solcher Schloßgarten so ganz anders geartet als ein städtischer Park,
das Erzeugnis der Millionenstiftung in einer amerikanischen Großstadt? Ich
trete in den durchaus nicht anspruchsvollen Schloßgarten von Ballenstedt, und
das erste, was ich sehe, ist eine prächtige Bluthunde, höchst geschmackvoll in
grünes Laubwerk hineinkomponiert, und daneben auf dem Grasplatz eine gerade
ihre veilchenblauen Blütentrauben entfaltende Paulownia, um deren Fuß sich ein
Epheugcbüsch in höchst seltsamer Weise ausbreitet. Ich sehe hier auch uralte
Stechpalmen, eine süddeutsche Bekanntschaft. Worin liegt denn der Unter¬
schied? Hier steht vor dem Schloß ein einfacher Granitobelisk im Vlumen-
rondell, den der Herzog der letzten Herzogin von Anhalt-Bernburg, Friederike
von Holstein-Glücksburg, gesetzt hat. Warum ist er soviel würdiger, an¬
sprechender als alle die mühseligen Siegesdenkmäler, die ich die letzten Tage
gesehen habe? Weil es der Gedanke eines einzigen Mannes von Geschmack
ist, der hier Ausdruck gesucht hat. Und so ist es mit den Gärten. Das
Auge eines Herrn, der nicht bloß sorgsam ist, sondern Geschmack hat, ruht
auf diesen Bäumen. Ihm sollen sie gefallen, daneben ist ihre Betrachtung
auch dem Publikum erlaubt, das aber ganz zufrieden ist, wenn es nichts
dazu zu sagen hat. Nur ein geschichtlicher Zufall, wie er im Aufgeben eines
breiten Festungswalles liegt, der Höhen und Tiefen zu Parkanlagen darbietet,
hat städtische Gartenanlagen von originaler Schönheit ins Leben gerufen;
oder aber die Nachahmung der Werke der Fürsten, wie in München. Die
öffentlichen Gärten unsrer amerikanischen Großstädte haben alle etwas Kaltes,
und außerdem gehören sie zu den bestmelkcnden Kühen im Stalle unsrer
munizipalen Politiker. Auch das giebt dem Freistaatenmann zu denken.




Geheimmittel
Hermann Schelenz Line Plauderei von

istig spielte im Paradiese die Schlange das Geheimnisvolle,
womit der Baum des Erkenntnisses umwoben war, zuerst Frau
Eva gegenüber aus; und znerst fiel die Menschenmutter, dann
ihr folgsamer Mann dem unseligen Drang zum Opfer, dem Ge¬
heimnis nachzuspüren. Unwiderstehlich reizte das Geheimnis den
Jüngling, den schützenden Schleier vor dem Bilde von Sais zu lüften; das


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[0610] Geheimmittel garder hat. Auch viele Gärten kleinerer Besitzer, Grafen und Freiherren, sind dem Publikum geöffnet und sind sehenswert. Erst dieser Tage habe ich die Stolbergischen Schloßgärten in Roßla und Wermgerode bewundert. Warum ist ein solcher Schloßgarten so ganz anders geartet als ein städtischer Park, das Erzeugnis der Millionenstiftung in einer amerikanischen Großstadt? Ich trete in den durchaus nicht anspruchsvollen Schloßgarten von Ballenstedt, und das erste, was ich sehe, ist eine prächtige Bluthunde, höchst geschmackvoll in grünes Laubwerk hineinkomponiert, und daneben auf dem Grasplatz eine gerade ihre veilchenblauen Blütentrauben entfaltende Paulownia, um deren Fuß sich ein Epheugcbüsch in höchst seltsamer Weise ausbreitet. Ich sehe hier auch uralte Stechpalmen, eine süddeutsche Bekanntschaft. Worin liegt denn der Unter¬ schied? Hier steht vor dem Schloß ein einfacher Granitobelisk im Vlumen- rondell, den der Herzog der letzten Herzogin von Anhalt-Bernburg, Friederike von Holstein-Glücksburg, gesetzt hat. Warum ist er soviel würdiger, an¬ sprechender als alle die mühseligen Siegesdenkmäler, die ich die letzten Tage gesehen habe? Weil es der Gedanke eines einzigen Mannes von Geschmack ist, der hier Ausdruck gesucht hat. Und so ist es mit den Gärten. Das Auge eines Herrn, der nicht bloß sorgsam ist, sondern Geschmack hat, ruht auf diesen Bäumen. Ihm sollen sie gefallen, daneben ist ihre Betrachtung auch dem Publikum erlaubt, das aber ganz zufrieden ist, wenn es nichts dazu zu sagen hat. Nur ein geschichtlicher Zufall, wie er im Aufgeben eines breiten Festungswalles liegt, der Höhen und Tiefen zu Parkanlagen darbietet, hat städtische Gartenanlagen von originaler Schönheit ins Leben gerufen; oder aber die Nachahmung der Werke der Fürsten, wie in München. Die öffentlichen Gärten unsrer amerikanischen Großstädte haben alle etwas Kaltes, und außerdem gehören sie zu den bestmelkcnden Kühen im Stalle unsrer munizipalen Politiker. Auch das giebt dem Freistaatenmann zu denken. Geheimmittel Hermann Schelenz Line Plauderei von istig spielte im Paradiese die Schlange das Geheimnisvolle, womit der Baum des Erkenntnisses umwoben war, zuerst Frau Eva gegenüber aus; und znerst fiel die Menschenmutter, dann ihr folgsamer Mann dem unseligen Drang zum Opfer, dem Ge¬ heimnis nachzuspüren. Unwiderstehlich reizte das Geheimnis den Jüngling, den schützenden Schleier vor dem Bilde von Sais zu lüften; das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/610>, abgerufen am 15.01.2025.