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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Die Schweiz im neunzehnten Jahrhundert

em Beispiele des großen Nachbars folgend, schafft sich auch die
Schweiz einen Spiegel zur Selbstbeschauung an und faßt ihn
in den Rahmen des ablaufenden Jahrhunderts. Das geschieht in
dem Werke: Die Schweiz im neunzehnten Jahrhundert.*)
Der erste Band liegt uns vollständig vor, vom zweiten die erste
Lieferung. Der zweite Band wird darstellen: Schule, Kirche, Wissenschaften,
Litteratur, Presse, Kunst, und zwar wirken bei der Darstellung der Zustände
der vier verschiednen Kirchengemeinschaften zusammen der bekannte katholische
Sozialpolitiker und Nationalrat Decurtius, die Protestanten Emil Blösch und
Gaston Frommel und der christkatholische Bischof Herzog. Der dritte Band
soll behandeln die wirtschaftliche und soziale Entwicklung, die Arbeiterbewegung
und den Sozialismus, Landwirtschaft, Industrie und Handel, Verkehrswege,
Hygieine, die malerische Schweiz und den Alpinismus, die Nationalfeste und
Festspiele, Leben, Sitten und Gebräuche.

Als Einleitung zum ersten Bande hat der Luzerner Staatsarchivar
Dr. Th. von Liebenau eine Schilderung der Schweizer Zustände am Ende
des achtzehnten Jahrhunderts gegeben. Chauvinismus kann man ihm nicht
vorwerfen. Es habe nicht an Stimmen gefehlt, schreibt er, die die Schweiz
als das glücklichste Land Europas, als den Hort der Freiheit gepriesen hätten.
"Aber wie Tacitus beim Vergleiche des entarteten Rom mit dem naturwüchsigen
Germanien sich über die Gebrechen des letztern täuschte, so zeichneten auch die
philosophisch gebildeten Fremden in ihrer Voreingenommenheit für das durch
Schönheit und Mannigfaltigkeit des Bodens, blühende Industrie und weitver¬
breitete Bildung ausgezeichnete Schweizerland, bewußt oder unbewußt, ein
Trugbild." Allzu bescheiden! Was der Verfasser selbst erzählt von dem all¬
gemein verbreiteten Wohlstande, von der geringen Zahl und guten Versorgung
der Armen, von der herrschenden Rechtschaffenheit, Ordnungsliebe und Gesetz-
ichkeit, die alle Polizei überflüssig machte, von den stattlichen Bauernhäusern
und der damals im übrigen Europa noch seltnen Reinlichkeit der Gasthäuser
beweist zur Genüge, daß die Unterthanen der benachbarten kleinen und großen



*) Herausgegeben von schweizerischen Schriftstellern unter Leitung von Paul Seivpel,
Professor am eidgenössischen Polytechnikum in Zürich. Mit zahlreichen Illustrationen. Schmid
und Francke in Bern und F. Payot in Lausanne.


Die Schweiz im neunzehnten Jahrhundert

em Beispiele des großen Nachbars folgend, schafft sich auch die
Schweiz einen Spiegel zur Selbstbeschauung an und faßt ihn
in den Rahmen des ablaufenden Jahrhunderts. Das geschieht in
dem Werke: Die Schweiz im neunzehnten Jahrhundert.*)
Der erste Band liegt uns vollständig vor, vom zweiten die erste
Lieferung. Der zweite Band wird darstellen: Schule, Kirche, Wissenschaften,
Litteratur, Presse, Kunst, und zwar wirken bei der Darstellung der Zustände
der vier verschiednen Kirchengemeinschaften zusammen der bekannte katholische
Sozialpolitiker und Nationalrat Decurtius, die Protestanten Emil Blösch und
Gaston Frommel und der christkatholische Bischof Herzog. Der dritte Band
soll behandeln die wirtschaftliche und soziale Entwicklung, die Arbeiterbewegung
und den Sozialismus, Landwirtschaft, Industrie und Handel, Verkehrswege,
Hygieine, die malerische Schweiz und den Alpinismus, die Nationalfeste und
Festspiele, Leben, Sitten und Gebräuche.

Als Einleitung zum ersten Bande hat der Luzerner Staatsarchivar
Dr. Th. von Liebenau eine Schilderung der Schweizer Zustände am Ende
des achtzehnten Jahrhunderts gegeben. Chauvinismus kann man ihm nicht
vorwerfen. Es habe nicht an Stimmen gefehlt, schreibt er, die die Schweiz
als das glücklichste Land Europas, als den Hort der Freiheit gepriesen hätten.
„Aber wie Tacitus beim Vergleiche des entarteten Rom mit dem naturwüchsigen
Germanien sich über die Gebrechen des letztern täuschte, so zeichneten auch die
philosophisch gebildeten Fremden in ihrer Voreingenommenheit für das durch
Schönheit und Mannigfaltigkeit des Bodens, blühende Industrie und weitver¬
breitete Bildung ausgezeichnete Schweizerland, bewußt oder unbewußt, ein
Trugbild." Allzu bescheiden! Was der Verfasser selbst erzählt von dem all¬
gemein verbreiteten Wohlstande, von der geringen Zahl und guten Versorgung
der Armen, von der herrschenden Rechtschaffenheit, Ordnungsliebe und Gesetz-
ichkeit, die alle Polizei überflüssig machte, von den stattlichen Bauernhäusern
und der damals im übrigen Europa noch seltnen Reinlichkeit der Gasthäuser
beweist zur Genüge, daß die Unterthanen der benachbarten kleinen und großen



*) Herausgegeben von schweizerischen Schriftstellern unter Leitung von Paul Seivpel,
Professor am eidgenössischen Polytechnikum in Zürich. Mit zahlreichen Illustrationen. Schmid
und Francke in Bern und F. Payot in Lausanne.
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[0590] [Abbildung] Die Schweiz im neunzehnten Jahrhundert em Beispiele des großen Nachbars folgend, schafft sich auch die Schweiz einen Spiegel zur Selbstbeschauung an und faßt ihn in den Rahmen des ablaufenden Jahrhunderts. Das geschieht in dem Werke: Die Schweiz im neunzehnten Jahrhundert.*) Der erste Band liegt uns vollständig vor, vom zweiten die erste Lieferung. Der zweite Band wird darstellen: Schule, Kirche, Wissenschaften, Litteratur, Presse, Kunst, und zwar wirken bei der Darstellung der Zustände der vier verschiednen Kirchengemeinschaften zusammen der bekannte katholische Sozialpolitiker und Nationalrat Decurtius, die Protestanten Emil Blösch und Gaston Frommel und der christkatholische Bischof Herzog. Der dritte Band soll behandeln die wirtschaftliche und soziale Entwicklung, die Arbeiterbewegung und den Sozialismus, Landwirtschaft, Industrie und Handel, Verkehrswege, Hygieine, die malerische Schweiz und den Alpinismus, die Nationalfeste und Festspiele, Leben, Sitten und Gebräuche. Als Einleitung zum ersten Bande hat der Luzerner Staatsarchivar Dr. Th. von Liebenau eine Schilderung der Schweizer Zustände am Ende des achtzehnten Jahrhunderts gegeben. Chauvinismus kann man ihm nicht vorwerfen. Es habe nicht an Stimmen gefehlt, schreibt er, die die Schweiz als das glücklichste Land Europas, als den Hort der Freiheit gepriesen hätten. „Aber wie Tacitus beim Vergleiche des entarteten Rom mit dem naturwüchsigen Germanien sich über die Gebrechen des letztern täuschte, so zeichneten auch die philosophisch gebildeten Fremden in ihrer Voreingenommenheit für das durch Schönheit und Mannigfaltigkeit des Bodens, blühende Industrie und weitver¬ breitete Bildung ausgezeichnete Schweizerland, bewußt oder unbewußt, ein Trugbild." Allzu bescheiden! Was der Verfasser selbst erzählt von dem all¬ gemein verbreiteten Wohlstande, von der geringen Zahl und guten Versorgung der Armen, von der herrschenden Rechtschaffenheit, Ordnungsliebe und Gesetz- ichkeit, die alle Polizei überflüssig machte, von den stattlichen Bauernhäusern und der damals im übrigen Europa noch seltnen Reinlichkeit der Gasthäuser beweist zur Genüge, daß die Unterthanen der benachbarten kleinen und großen *) Herausgegeben von schweizerischen Schriftstellern unter Leitung von Paul Seivpel, Professor am eidgenössischen Polytechnikum in Zürich. Mit zahlreichen Illustrationen. Schmid und Francke in Bern und F. Payot in Lausanne.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/590>, abgerufen am 15.01.2025.