Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Das deutsche Lesebuch esebuch -- ein sonderbarer Name! Als ob nicht jedes Buch, Wie uns so der Bildungsstand des Volkes einen Schluß zu machen er¬ So wird man eine Entwicklungsgeschichte des deutschen Volksschullesebuchs Bürger verfolgt die Wurzeln des deutschen Lesebuchs bis zu den ganz F. Bürger, Entwicklungsgeschichte des Volksschullesebuchs. Leipzig, Diirrsche Buch¬
handlung, 189L. X, 630 Seiten. Preis 14 Mark. Das deutsche Lesebuch esebuch — ein sonderbarer Name! Als ob nicht jedes Buch, Wie uns so der Bildungsstand des Volkes einen Schluß zu machen er¬ So wird man eine Entwicklungsgeschichte des deutschen Volksschullesebuchs Bürger verfolgt die Wurzeln des deutschen Lesebuchs bis zu den ganz F. Bürger, Entwicklungsgeschichte des Volksschullesebuchs. Leipzig, Diirrsche Buch¬
handlung, 189L. X, 630 Seiten. Preis 14 Mark. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0570" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231740"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341869_231169/figures/grenzboten_341869_231169_231740_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Das deutsche Lesebuch</head><lb/> <p xml:id="ID_1860"> esebuch — ein sonderbarer Name! Als ob nicht jedes Buch,<lb/> sofern es überhaupt wirklich eins ist und nicht ein Notenheft<lb/> oder eine Bildermappe oder ein Ansichtskartenalbum, ein Lese¬<lb/> buch, d. h. ein Buch zum Lesen wäre. Und doch gestehn wir<lb/> dem Namen eine gewisse Berechtigung zu, denn wir können uns<lb/> alle einer Zeit erinnern — auf welcher hohen Stufe der Bildung<lb/> wir uns heute auch fühlen mögen —, wo es in der That nur ein Lesebuch für<lb/> uns gab, das Buch, das uns als kleinen Buben der Lehrer in die Hand gab,<lb/> um uns darin lesen zu lehren. Freilich lernten wir darin noch ungeheuer viel<lb/> mehr, ohne daß wir uns heute dessen bewußt wären. Es ist schwer zu sagen,<lb/> welchen Einfluß auf die erste und grundlegende Bildung unsrer Begriffe und<lb/> Vorstellungen, unsrer Wünsche und Träume unser erstes Lesebuch gehabt hat;<lb/> daß es einen solchen Einfluß gehabt hat, und oft wohl keinen schwachen, ist<lb/> ganz gewiß. Gilt das aber von uns, die wir uns wohl alle mit großer<lb/> Selbstverständlichkeit zu den „Gebildeten" des Volkes rechnen, wie viel mehr<lb/> von der großen Masse des Volkes, für die gewiß in vielen Fällen selbst heute<lb/> noch das Lesebuch der Schule überhaupt das Lesebuch im Leben geblieben ist.<lb/> Bedenken wir dies, so kann nicht zweifelhaft sein, daß das Lesebuch der Volks¬<lb/> schule einer der wichtigsten Mitarbeiter an der Bildung des Volkes ist, daß<lb/> es die Macht hat, einen starken Einfluß zum Guten oder zum Schlimmen auf<lb/> Kopf und Herz des Volkes auszuüben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1861"> Wie uns so der Bildungsstand des Volkes einen Schluß zu machen er¬<lb/> laubt auf die geistige Nahrung, die ihm das Schulbuch geboten hat, so spiegelt<lb/> sich umgekehrt im Lesebuche der Volksschule in gewisser Weise das ganze<lb/> geistige Leben einer bestimmten Zeit wieder, die religiösen Überzeugungen,<lb/> die nationalen Gedanken oder Wünsche, der ideale oder nüchterne Sinn, der<lb/> litterarische Geschmack der Verfasser, die mit ihren Werken dem aufwachsenden<lb/> Geschlechte das beste und notwendigste zu geben gemeint haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1862"> So wird man eine Entwicklungsgeschichte des deutschen Volksschullesebuchs<lb/> gewiß als einen wichtigen Ausschnitt aus der Geschichte des geistigen Lebens<lb/> unsers Volkes überhaupt ansehen dürfen. Eine solche Geschichte des Lesebuchs<lb/> liegt uns vor in dem kürzlich erschienenen Werke des Seminardirektors Fer¬<lb/> dinand Bürger, auf dessen Bedeutung und reichen Inhalt hinzuweisen der<lb/> Zweck dieser Zeilen ist.*)</p><lb/> <p xml:id="ID_1863" next="#ID_1864"> Bürger verfolgt die Wurzeln des deutschen Lesebuchs bis zu den ganz<lb/> vereinzelten Vorläufern in mittelalterlicher Zeit. Den ersten eigentlich trieb-<lb/> sähigen Keim dazu aber sieht auch er in der Geistesbewegung der Reformation</p><lb/> <note xml:id="FID_226" place="foot"> F. Bürger, Entwicklungsgeschichte des Volksschullesebuchs. Leipzig, Diirrsche Buch¬<lb/> handlung, 189L. X, 630 Seiten. Preis 14 Mark.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0570]
[Abbildung]
Das deutsche Lesebuch
esebuch — ein sonderbarer Name! Als ob nicht jedes Buch,
sofern es überhaupt wirklich eins ist und nicht ein Notenheft
oder eine Bildermappe oder ein Ansichtskartenalbum, ein Lese¬
buch, d. h. ein Buch zum Lesen wäre. Und doch gestehn wir
dem Namen eine gewisse Berechtigung zu, denn wir können uns
alle einer Zeit erinnern — auf welcher hohen Stufe der Bildung
wir uns heute auch fühlen mögen —, wo es in der That nur ein Lesebuch für
uns gab, das Buch, das uns als kleinen Buben der Lehrer in die Hand gab,
um uns darin lesen zu lehren. Freilich lernten wir darin noch ungeheuer viel
mehr, ohne daß wir uns heute dessen bewußt wären. Es ist schwer zu sagen,
welchen Einfluß auf die erste und grundlegende Bildung unsrer Begriffe und
Vorstellungen, unsrer Wünsche und Träume unser erstes Lesebuch gehabt hat;
daß es einen solchen Einfluß gehabt hat, und oft wohl keinen schwachen, ist
ganz gewiß. Gilt das aber von uns, die wir uns wohl alle mit großer
Selbstverständlichkeit zu den „Gebildeten" des Volkes rechnen, wie viel mehr
von der großen Masse des Volkes, für die gewiß in vielen Fällen selbst heute
noch das Lesebuch der Schule überhaupt das Lesebuch im Leben geblieben ist.
Bedenken wir dies, so kann nicht zweifelhaft sein, daß das Lesebuch der Volks¬
schule einer der wichtigsten Mitarbeiter an der Bildung des Volkes ist, daß
es die Macht hat, einen starken Einfluß zum Guten oder zum Schlimmen auf
Kopf und Herz des Volkes auszuüben.
Wie uns so der Bildungsstand des Volkes einen Schluß zu machen er¬
laubt auf die geistige Nahrung, die ihm das Schulbuch geboten hat, so spiegelt
sich umgekehrt im Lesebuche der Volksschule in gewisser Weise das ganze
geistige Leben einer bestimmten Zeit wieder, die religiösen Überzeugungen,
die nationalen Gedanken oder Wünsche, der ideale oder nüchterne Sinn, der
litterarische Geschmack der Verfasser, die mit ihren Werken dem aufwachsenden
Geschlechte das beste und notwendigste zu geben gemeint haben.
So wird man eine Entwicklungsgeschichte des deutschen Volksschullesebuchs
gewiß als einen wichtigen Ausschnitt aus der Geschichte des geistigen Lebens
unsers Volkes überhaupt ansehen dürfen. Eine solche Geschichte des Lesebuchs
liegt uns vor in dem kürzlich erschienenen Werke des Seminardirektors Fer¬
dinand Bürger, auf dessen Bedeutung und reichen Inhalt hinzuweisen der
Zweck dieser Zeilen ist.*)
Bürger verfolgt die Wurzeln des deutschen Lesebuchs bis zu den ganz
vereinzelten Vorläufern in mittelalterlicher Zeit. Den ersten eigentlich trieb-
sähigen Keim dazu aber sieht auch er in der Geistesbewegung der Reformation
F. Bürger, Entwicklungsgeschichte des Volksschullesebuchs. Leipzig, Diirrsche Buch¬
handlung, 189L. X, 630 Seiten. Preis 14 Mark.
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