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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Lnndesgrenze oft nur komisch wirkt, wenn nämlich die abgeschobne" Gauner
manchmal schon wieder früher in die Stadt zurückgekehrt sind, als die ab¬
schiebenden, unterwegs aber erst einmal einkehrenden Polizeiorgane, das gehört
zum Scherz im Ernst. Eine vernünftige, sachgemäße und energische Hand¬
habung der Polizeiaufsicht kann gefährliche Verbrecher doch etwas im Zaume
halte" und ihnen das Leben doch etwas sauer machen. Würde man der Polizei
diese Macht nehmen, dann würde ihre vielgehörte Klage, wir haben nicht genug
Rechtstitel. den prostituierten Dirnen und ihren Beschützern das Handwerk zu
legen, erst recht fühlbar werden. Von feiten vieler Richter hört man die
Klage, die Polizei brächte die geringfügigsten Bagatellen, die eine Strafe gar
nicht lohnten, zur Anzeige und Aburteilung, die Polizei erhebt dagegen die
Klage, ein großer Teil der Richter verhänge ja doch nnr so geringe Strafen,
die so leichtfertig von den Dirnen aufgefaßt würden, daß es sich gar nicht ver¬
lohne, gegen dieses lichtscheue Gesindel energisch vorzugehn. Dies ist der beste
Beweis, daß die Polizei eine Machtbefugnis haben muß, die als Strafe em¬
pfunden wird. Das ist die Polizeiaufsicht mit ihren Wirkungen und Nach¬
wirkungen. Solch eine diskretionäre Gewalt kann natürlich in den Händen
Subalterner Seelen viel Unheil anrichten. Soll sie Gutes wirken, so gehören
dazu pflichttreue, weise, abwägende und die Wirkung des geschriebnen und ge-
sprochnen Befehls empfindende Beamte. Will man aber die Ausweisungspolitik,
der sehr beherzigenswerte Motive zu Grunde liegen, ausbauen, sodaß sie wirk¬
lich als eine exemplarische Strafe empfunden wird, dann sollten sich die ein¬
zelnen deutschen Bundesstaaten zu solchen Experimenten zu gut sein, dann
schaffe man den Ort zu einer administrativen Deportation.


Heinrich Reuß


Nikolaus Lenau und Gustav Schwab
Mit ungedruckten Briefen und zum Teil nach neuen ÄZuellen
Adolf Wilhelm Lrnst von

mein verließ Ende Juni 1831 die österreichische Hauptstadt. Der
Aufenthalt in Wien war ihm verleidet; er sehnte sich fort, hinaus
in die Welt. Sein leidenschaftliches Hcrzenserlebnis mit der
seiner Liebe völlig unwürdigen Bertha hatte seine Seele um¬
schattet. Hatte er einst in einem Briefe an seinen Jugendfreund
Fritz Klehle geschrieben, daß sein Gemüt, von dem Odem dieses warmen, füh¬
lenden Mädchens angefacht, manche Blüte seliger Empfindung treibe, kurz, daß


Lnndesgrenze oft nur komisch wirkt, wenn nämlich die abgeschobne» Gauner
manchmal schon wieder früher in die Stadt zurückgekehrt sind, als die ab¬
schiebenden, unterwegs aber erst einmal einkehrenden Polizeiorgane, das gehört
zum Scherz im Ernst. Eine vernünftige, sachgemäße und energische Hand¬
habung der Polizeiaufsicht kann gefährliche Verbrecher doch etwas im Zaume
halte» und ihnen das Leben doch etwas sauer machen. Würde man der Polizei
diese Macht nehmen, dann würde ihre vielgehörte Klage, wir haben nicht genug
Rechtstitel. den prostituierten Dirnen und ihren Beschützern das Handwerk zu
legen, erst recht fühlbar werden. Von feiten vieler Richter hört man die
Klage, die Polizei brächte die geringfügigsten Bagatellen, die eine Strafe gar
nicht lohnten, zur Anzeige und Aburteilung, die Polizei erhebt dagegen die
Klage, ein großer Teil der Richter verhänge ja doch nnr so geringe Strafen,
die so leichtfertig von den Dirnen aufgefaßt würden, daß es sich gar nicht ver¬
lohne, gegen dieses lichtscheue Gesindel energisch vorzugehn. Dies ist der beste
Beweis, daß die Polizei eine Machtbefugnis haben muß, die als Strafe em¬
pfunden wird. Das ist die Polizeiaufsicht mit ihren Wirkungen und Nach¬
wirkungen. Solch eine diskretionäre Gewalt kann natürlich in den Händen
Subalterner Seelen viel Unheil anrichten. Soll sie Gutes wirken, so gehören
dazu pflichttreue, weise, abwägende und die Wirkung des geschriebnen und ge-
sprochnen Befehls empfindende Beamte. Will man aber die Ausweisungspolitik,
der sehr beherzigenswerte Motive zu Grunde liegen, ausbauen, sodaß sie wirk¬
lich als eine exemplarische Strafe empfunden wird, dann sollten sich die ein¬
zelnen deutschen Bundesstaaten zu solchen Experimenten zu gut sein, dann
schaffe man den Ort zu einer administrativen Deportation.


Heinrich Reuß


Nikolaus Lenau und Gustav Schwab
Mit ungedruckten Briefen und zum Teil nach neuen ÄZuellen
Adolf Wilhelm Lrnst von

mein verließ Ende Juni 1831 die österreichische Hauptstadt. Der
Aufenthalt in Wien war ihm verleidet; er sehnte sich fort, hinaus
in die Welt. Sein leidenschaftliches Hcrzenserlebnis mit der
seiner Liebe völlig unwürdigen Bertha hatte seine Seele um¬
schattet. Hatte er einst in einem Briefe an seinen Jugendfreund
Fritz Klehle geschrieben, daß sein Gemüt, von dem Odem dieses warmen, füh¬
lenden Mädchens angefacht, manche Blüte seliger Empfindung treibe, kurz, daß


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[0459] Lnndesgrenze oft nur komisch wirkt, wenn nämlich die abgeschobne» Gauner manchmal schon wieder früher in die Stadt zurückgekehrt sind, als die ab¬ schiebenden, unterwegs aber erst einmal einkehrenden Polizeiorgane, das gehört zum Scherz im Ernst. Eine vernünftige, sachgemäße und energische Hand¬ habung der Polizeiaufsicht kann gefährliche Verbrecher doch etwas im Zaume halte» und ihnen das Leben doch etwas sauer machen. Würde man der Polizei diese Macht nehmen, dann würde ihre vielgehörte Klage, wir haben nicht genug Rechtstitel. den prostituierten Dirnen und ihren Beschützern das Handwerk zu legen, erst recht fühlbar werden. Von feiten vieler Richter hört man die Klage, die Polizei brächte die geringfügigsten Bagatellen, die eine Strafe gar nicht lohnten, zur Anzeige und Aburteilung, die Polizei erhebt dagegen die Klage, ein großer Teil der Richter verhänge ja doch nnr so geringe Strafen, die so leichtfertig von den Dirnen aufgefaßt würden, daß es sich gar nicht ver¬ lohne, gegen dieses lichtscheue Gesindel energisch vorzugehn. Dies ist der beste Beweis, daß die Polizei eine Machtbefugnis haben muß, die als Strafe em¬ pfunden wird. Das ist die Polizeiaufsicht mit ihren Wirkungen und Nach¬ wirkungen. Solch eine diskretionäre Gewalt kann natürlich in den Händen Subalterner Seelen viel Unheil anrichten. Soll sie Gutes wirken, so gehören dazu pflichttreue, weise, abwägende und die Wirkung des geschriebnen und ge- sprochnen Befehls empfindende Beamte. Will man aber die Ausweisungspolitik, der sehr beherzigenswerte Motive zu Grunde liegen, ausbauen, sodaß sie wirk¬ lich als eine exemplarische Strafe empfunden wird, dann sollten sich die ein¬ zelnen deutschen Bundesstaaten zu solchen Experimenten zu gut sein, dann schaffe man den Ort zu einer administrativen Deportation. Heinrich Reuß Nikolaus Lenau und Gustav Schwab Mit ungedruckten Briefen und zum Teil nach neuen ÄZuellen Adolf Wilhelm Lrnst von mein verließ Ende Juni 1831 die österreichische Hauptstadt. Der Aufenthalt in Wien war ihm verleidet; er sehnte sich fort, hinaus in die Welt. Sein leidenschaftliches Hcrzenserlebnis mit der seiner Liebe völlig unwürdigen Bertha hatte seine Seele um¬ schattet. Hatte er einst in einem Briefe an seinen Jugendfreund Fritz Klehle geschrieben, daß sein Gemüt, von dem Odem dieses warmen, füh¬ lenden Mädchens angefacht, manche Blüte seliger Empfindung treibe, kurz, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/459>, abgerufen am 15.01.2025.