Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Wirkungen der Polizeiaufsicht träfe muß sein, sagt ein altes Sprichwort, an dessen Ernst man In § 38 des deutschen Reichsstrafgesetzbuchs ist der höhern Landespolizei¬ Wirkungen der Polizeiaufsicht träfe muß sein, sagt ein altes Sprichwort, an dessen Ernst man In § 38 des deutschen Reichsstrafgesetzbuchs ist der höhern Landespolizei¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0451" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231621"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341869_231169/figures/grenzboten_341869_231169_231621_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Wirkungen der Polizeiaufsicht</head><lb/> <p xml:id="ID_1498"> träfe muß sein, sagt ein altes Sprichwort, an dessen Ernst man<lb/> sich immer erinnern muß, wenn man sich in den vielfach auf<lb/> eine Verminderung der staatlichen Strafgewalt berechneten litte¬<lb/> rarischen Kämpfen der Gegenwart ein besonnenes und gemäßigtes<lb/> Urteil bewahren will. Der modernen Gefängnistechnik macht<lb/> man den nicht ganz unberechtigten Vorwurf, daß sie vielfach der Humanitäts-<lb/> henchelei verfallen sei. Mittelstadt hat gegen das Krankhafte dieses Strebens<lb/> ernste Worte in seiner bekannten Schrift gegen die Freiheitsstrafen gesprochen;<lb/> und über die Krohiiischen Gefängnisreformen hat der bekannte Strafrechtslehrer<lb/> Dr. Johannes Neckeben die Schale seines Spotts und seiner bitter ernst ge¬<lb/> meinten Ironie in einer prächtigen, leider nicht genügend bekannt gewordnen<lb/> Satire reichlich ausgegossen (Ein Vorblick auf das Jahr 2000, oder ein Tag<lb/> in einer Strafanstalt des einundzwanzigsten Jahrhunderts, ein gefängniswissen¬<lb/> schaftlicher Zukunftstraum. Breslau, 1891). Zu den von den modernen Ge¬<lb/> fängnistechnikern vielfach bekämpften Opfern gehört nun auch die staatliche<lb/> Polizeiaufsicht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1499" next="#ID_1500"> In § 38 des deutschen Reichsstrafgesetzbuchs ist der höhern Landespolizei¬<lb/> behörde die Befugnis zugesprochen, in den durch das Gesetz vorhergesehnen<lb/> Fällen entlassene Strafgefangne bis zur Dauer von fünf Jahren unter Polizei¬<lb/> aufsicht zu stellen. Zu den Wirkungen der Polizeiaufsicht gehört nach Z 39<lb/> desselben Gesetzbuchs, daß den zur Polizeiaufsicht Verurteilten der Aufenthalt<lb/> an einzelnen bestimmten Orten untersagt werden kann. Diese Polizeiaufsicht<lb/> ist eine Nebenstrafe, die den Zweck hat, die Aufmerksamkeit der Polizei auf ein<lb/> gemeingefährliches Individuum wach zu erhalten, die aber auch das weitere<lb/> Ziel verfolgt, eine verbüßte Freiheitsstrafe gewissermaßen zu verlängern und<lb/> dadurch einen moralischen Druck auf die Lebensweise eines Menschen auszu¬<lb/> üben, der ihn nach wiedererlangter Freiheit jeden Augenblick an die vergangne<lb/> Zeit erinnern und vor Rückfall bewahre» soll. Das zuerst genannte Ziel wird<lb/> Wohl in den meisten, das an zweiter Stelle genannte dagegen in den seltensten<lb/> Füllen erreicht. In der Praxis trifft die Strafe der Polizeiaufsicht meisten¬<lb/> teils die gewerbmäßigen Kuppler. Einbrecher und Hehler. Die letzte Kategorie<lb/> wird namentlich durch die Machtbefugnis der Polizeiaufsicht betroffen, daß<lb/> Haussuchungen hinsichtlich der Zeit keinerlei Beschränkungen unterliegen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0451]
[Abbildung]
Wirkungen der Polizeiaufsicht
träfe muß sein, sagt ein altes Sprichwort, an dessen Ernst man
sich immer erinnern muß, wenn man sich in den vielfach auf
eine Verminderung der staatlichen Strafgewalt berechneten litte¬
rarischen Kämpfen der Gegenwart ein besonnenes und gemäßigtes
Urteil bewahren will. Der modernen Gefängnistechnik macht
man den nicht ganz unberechtigten Vorwurf, daß sie vielfach der Humanitäts-
henchelei verfallen sei. Mittelstadt hat gegen das Krankhafte dieses Strebens
ernste Worte in seiner bekannten Schrift gegen die Freiheitsstrafen gesprochen;
und über die Krohiiischen Gefängnisreformen hat der bekannte Strafrechtslehrer
Dr. Johannes Neckeben die Schale seines Spotts und seiner bitter ernst ge¬
meinten Ironie in einer prächtigen, leider nicht genügend bekannt gewordnen
Satire reichlich ausgegossen (Ein Vorblick auf das Jahr 2000, oder ein Tag
in einer Strafanstalt des einundzwanzigsten Jahrhunderts, ein gefängniswissen¬
schaftlicher Zukunftstraum. Breslau, 1891). Zu den von den modernen Ge¬
fängnistechnikern vielfach bekämpften Opfern gehört nun auch die staatliche
Polizeiaufsicht.
In § 38 des deutschen Reichsstrafgesetzbuchs ist der höhern Landespolizei¬
behörde die Befugnis zugesprochen, in den durch das Gesetz vorhergesehnen
Fällen entlassene Strafgefangne bis zur Dauer von fünf Jahren unter Polizei¬
aufsicht zu stellen. Zu den Wirkungen der Polizeiaufsicht gehört nach Z 39
desselben Gesetzbuchs, daß den zur Polizeiaufsicht Verurteilten der Aufenthalt
an einzelnen bestimmten Orten untersagt werden kann. Diese Polizeiaufsicht
ist eine Nebenstrafe, die den Zweck hat, die Aufmerksamkeit der Polizei auf ein
gemeingefährliches Individuum wach zu erhalten, die aber auch das weitere
Ziel verfolgt, eine verbüßte Freiheitsstrafe gewissermaßen zu verlängern und
dadurch einen moralischen Druck auf die Lebensweise eines Menschen auszu¬
üben, der ihn nach wiedererlangter Freiheit jeden Augenblick an die vergangne
Zeit erinnern und vor Rückfall bewahre» soll. Das zuerst genannte Ziel wird
Wohl in den meisten, das an zweiter Stelle genannte dagegen in den seltensten
Füllen erreicht. In der Praxis trifft die Strafe der Polizeiaufsicht meisten¬
teils die gewerbmäßigen Kuppler. Einbrecher und Hehler. Die letzte Kategorie
wird namentlich durch die Machtbefugnis der Polizeiaufsicht betroffen, daß
Haussuchungen hinsichtlich der Zeit keinerlei Beschränkungen unterliegen.
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