Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Deutsche Kinderlieder und Kinderspiele
(Schluß)

evor wir so vom Jammer des Dreißigjährigen Krieges weiter zur
Reformationszeit gehn, sei noch etwas Lustigeres erwähnt. Die ersten
Versuche mit der Luftschiffahrt machte in Deutschland ein Franzose,
und im ganzen Reiche wurde es in Wort und Bild verbreitet, wie
der kühne Reisende in Gesellschaft einer jungen Dame aufgestiegen
sei. Noch heute singen die Kinder davon:^)

und Wissen sogar:

Thatsächlich hat der Mann freilich, wie ich glaube, Blanchard geheißen.

Mit seinem richtigen Namen erscheint dagegen der große Reformator in der
Kinderdichtuug, nicht freundlich beleuchtet, in dem, was ich im Sinne habe, sondern
feindselig, also gewiß von gegnerischer Seite; doch in verschiedner Weise. Die
beiden ersten der drei Versehe", die ich nennen will, suchen ihn nur lächerlich zu
machen: ^)

Doktor Martin Luther
Hat Hosen ohne Futter,
Schuh ohne Sohlen,
Die Strumpf hat er gestohlen.
Doktor Martin Luther
Hesse den Rock ohne Futter,
Steewel ohne Sahle,
De West hefft a gestahle.

Das folgende aber mag aus ernsthafter Verleumdung hervorgegangen sein:




') Dünger 112,- auch Haupt, Neues Lausitzer Magazin, 45. Bd., 1869, S. 240.
2) Frischbier, Preußische Volksreime und Volksspiele. Berlin, 1867. Ur. 319. 320.
321. Eine jüngere Abwandlung dieses Spottspruches liegt vor in dein berlinischen:
Bei Brendicke, Berliner Wortschatz zu den Zeiten Kaiser Wilhelms I. Berlin, 1897. S. 64.


Deutsche Kinderlieder und Kinderspiele
(Schluß)

evor wir so vom Jammer des Dreißigjährigen Krieges weiter zur
Reformationszeit gehn, sei noch etwas Lustigeres erwähnt. Die ersten
Versuche mit der Luftschiffahrt machte in Deutschland ein Franzose,
und im ganzen Reiche wurde es in Wort und Bild verbreitet, wie
der kühne Reisende in Gesellschaft einer jungen Dame aufgestiegen
sei. Noch heute singen die Kinder davon:^)

und Wissen sogar:

Thatsächlich hat der Mann freilich, wie ich glaube, Blanchard geheißen.

Mit seinem richtigen Namen erscheint dagegen der große Reformator in der
Kinderdichtuug, nicht freundlich beleuchtet, in dem, was ich im Sinne habe, sondern
feindselig, also gewiß von gegnerischer Seite; doch in verschiedner Weise. Die
beiden ersten der drei Versehe», die ich nennen will, suchen ihn nur lächerlich zu
machen: ^)

Doktor Martin Luther
Hat Hosen ohne Futter,
Schuh ohne Sohlen,
Die Strumpf hat er gestohlen.
Doktor Martin Luther
Hesse den Rock ohne Futter,
Steewel ohne Sahle,
De West hefft a gestahle.

Das folgende aber mag aus ernsthafter Verleumdung hervorgegangen sein:




') Dünger 112,- auch Haupt, Neues Lausitzer Magazin, 45. Bd., 1869, S. 240.
2) Frischbier, Preußische Volksreime und Volksspiele. Berlin, 1867. Ur. 319. 320.
321. Eine jüngere Abwandlung dieses Spottspruches liegt vor in dein berlinischen:
Bei Brendicke, Berliner Wortschatz zu den Zeiten Kaiser Wilhelms I. Berlin, 1897. S. 64.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0370" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231540"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341869_231169/figures/grenzboten_341869_231169_231540_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Deutsche Kinderlieder und Kinderspiele<lb/>
(Schluß)</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1173" next="#ID_1174"> evor wir so vom Jammer des Dreißigjährigen Krieges weiter zur<lb/>
Reformationszeit gehn, sei noch etwas Lustigeres erwähnt. Die ersten<lb/>
Versuche mit der Luftschiffahrt machte in Deutschland ein Franzose,<lb/>
und im ganzen Reiche wurde es in Wort und Bild verbreitet, wie<lb/>
der kühne Reisende in Gesellschaft einer jungen Dame aufgestiegen<lb/>
sei.  Noch heute singen die Kinder davon:^)</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_33" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_1174" prev="#ID_1173" next="#ID_1175"> und Wissen sogar:</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_34" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_1175" prev="#ID_1174"> Thatsächlich hat der Mann freilich, wie ich glaube, Blanchard geheißen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1176" next="#ID_1177"> Mit seinem richtigen Namen erscheint dagegen der große Reformator in der<lb/>
Kinderdichtuug, nicht freundlich beleuchtet, in dem, was ich im Sinne habe, sondern<lb/>
feindselig, also gewiß von gegnerischer Seite; doch in verschiedner Weise. Die<lb/>
beiden ersten der drei Versehe», die ich nennen will, suchen ihn nur lächerlich zu<lb/>
machen: ^)</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_35" type="poem">
            <l> Doktor Martin Luther<lb/>
Hat Hosen ohne Futter,<lb/>
Schuh ohne Sohlen,<lb/>
Die Strumpf hat er gestohlen.</l>
            <l> Doktor Martin Luther<lb/>
Hesse den Rock ohne Futter,<lb/>
Steewel ohne Sahle,<lb/>
De West hefft a gestahle.</l>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_1177" prev="#ID_1176"> Das folgende aber mag aus ernsthafter Verleumdung hervorgegangen sein:</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_36" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
          <note xml:id="FID_159" place="foot"> ') Dünger 112,- auch Haupt, Neues Lausitzer Magazin, 45. Bd., 1869, S. 240.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_160" place="foot"> 2) Frischbier, Preußische Volksreime und Volksspiele.  Berlin, 1867.  Ur. 319. 320.<lb/>
321. Eine jüngere Abwandlung dieses Spottspruches liegt vor in dein berlinischen:<lb/><lg xml:id="POEMID_37" type="poem"><l/></lg><lb/>
Bei Brendicke, Berliner Wortschatz zu den Zeiten Kaiser Wilhelms I. Berlin, 1897. S. 64.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0370] [Abbildung] Deutsche Kinderlieder und Kinderspiele (Schluß) evor wir so vom Jammer des Dreißigjährigen Krieges weiter zur Reformationszeit gehn, sei noch etwas Lustigeres erwähnt. Die ersten Versuche mit der Luftschiffahrt machte in Deutschland ein Franzose, und im ganzen Reiche wurde es in Wort und Bild verbreitet, wie der kühne Reisende in Gesellschaft einer jungen Dame aufgestiegen sei. Noch heute singen die Kinder davon:^) und Wissen sogar: Thatsächlich hat der Mann freilich, wie ich glaube, Blanchard geheißen. Mit seinem richtigen Namen erscheint dagegen der große Reformator in der Kinderdichtuug, nicht freundlich beleuchtet, in dem, was ich im Sinne habe, sondern feindselig, also gewiß von gegnerischer Seite; doch in verschiedner Weise. Die beiden ersten der drei Versehe», die ich nennen will, suchen ihn nur lächerlich zu machen: ^) Doktor Martin Luther Hat Hosen ohne Futter, Schuh ohne Sohlen, Die Strumpf hat er gestohlen. Doktor Martin Luther Hesse den Rock ohne Futter, Steewel ohne Sahle, De West hefft a gestahle. Das folgende aber mag aus ernsthafter Verleumdung hervorgegangen sein: ') Dünger 112,- auch Haupt, Neues Lausitzer Magazin, 45. Bd., 1869, S. 240. 2) Frischbier, Preußische Volksreime und Volksspiele. Berlin, 1867. Ur. 319. 320. 321. Eine jüngere Abwandlung dieses Spottspruches liegt vor in dein berlinischen: Bei Brendicke, Berliner Wortschatz zu den Zeiten Kaiser Wilhelms I. Berlin, 1897. S. 64.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/370
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/370>, abgerufen am 15.01.2025.