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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Skizzen aus unserm heutigen Volksleben

sich gegen diese Art von Reform mit Händen und Füßen mehren. Denn es
ist nicht leicht, sich ohne weiteres einen andern Beruf zu wählen, nachdem der,
dem man sich bisher gewidmet hat, durch längeres Rückwärtsreformieren
schließlich zu Tode reformiert worden ist. Aber sie können ganz ruhig sein.
Die Kunst wird nicht vom Schreibtisch der Gelehrten und auch nicht in den
Nachtcafes unsrer Großstädte und noch weniger beim Glase Absinth auf den
Pariser Boulevards gemacht. Sie wird vielmehr gemacht von gesunden, lebens¬
kräftigen und normalempfindenden Menschen. Und sie entwickelt sich nicht auf
Grund der archaisierenden Schrullen einiger Kunstgelehrten, sondern kraft der
ihr innewohnenden Gesetze, die sich aus ihrer Technik und aus ihrer historischen
Entwicklung ergeben.

Was nun die Geschichte des Holzschnitts betrifft, so zeigt sie zweierlei mit
voller Deutlichkeit, nämlich erstens, daß der Schwerpunkt der historischen Ent¬
wicklung dieser Technik nicht in der Illustration, sondern im Einzelblatt liegt,
und zweitens, daß der Holzschnitt von Anfang an Ersatz für die Malerei gewesen
ist und deshalb von jeher danach gestrebt hat, die Wirkungen der Malerei,
soweit es seine jeweilige Technik erlaubte, nachzuahmen. Das wird allerdings
denen, die den dekorativen Charakter des alten Holzschnitts immer so sehr be¬
tonen und ihn dem modernen Holzschnitt gewissermaßen als ein Ideal vor Augen
halten, sehr sonderbar vorkommen, läßt sich aber dennoch leicht nachweisen.

(Schluß folgt)




Skizzen aus unserm heutigen Volksleben
Fritz Anders von
Dritte Reihe
^. (Lin 5tadtjubiläum

er Umstand, daß sich der Herr Oberprediger an einem heißen Sommer-
nachmittage, um den Fliegen seines Wohnzimmers zu entgeh", in die
Sakristei feste und in alten Schriften blätterte, war für die amt¬
liche und außeramtliche Thätigkeit der Leiter unsers freundlichen
Städtchens von "ungeahnter" Bedeutung. Denn bei dieser Gelegen¬
heit fiel dem Herrn Oberprediger ein Pergamentstreifen in die Hände,
auf dem zu lesen war: N< Üiclsril: vim Rsmsu tzekormiz vor ruck anas mon eincör
Imsviove-n, äat doddöll AbsKNsbon asu ^kvizlsrn to ^vvdeeköii "tat block vim
duos borner Lumltlovo g-obtor Hannssn Ammern xM swvnstÄl to ovnsr
ileotUllisM. . . Hier war der Streifen abgeschnitten, doch las man auf der Ruck-


Skizzen aus unserm heutigen Volksleben

sich gegen diese Art von Reform mit Händen und Füßen mehren. Denn es
ist nicht leicht, sich ohne weiteres einen andern Beruf zu wählen, nachdem der,
dem man sich bisher gewidmet hat, durch längeres Rückwärtsreformieren
schließlich zu Tode reformiert worden ist. Aber sie können ganz ruhig sein.
Die Kunst wird nicht vom Schreibtisch der Gelehrten und auch nicht in den
Nachtcafes unsrer Großstädte und noch weniger beim Glase Absinth auf den
Pariser Boulevards gemacht. Sie wird vielmehr gemacht von gesunden, lebens¬
kräftigen und normalempfindenden Menschen. Und sie entwickelt sich nicht auf
Grund der archaisierenden Schrullen einiger Kunstgelehrten, sondern kraft der
ihr innewohnenden Gesetze, die sich aus ihrer Technik und aus ihrer historischen
Entwicklung ergeben.

Was nun die Geschichte des Holzschnitts betrifft, so zeigt sie zweierlei mit
voller Deutlichkeit, nämlich erstens, daß der Schwerpunkt der historischen Ent¬
wicklung dieser Technik nicht in der Illustration, sondern im Einzelblatt liegt,
und zweitens, daß der Holzschnitt von Anfang an Ersatz für die Malerei gewesen
ist und deshalb von jeher danach gestrebt hat, die Wirkungen der Malerei,
soweit es seine jeweilige Technik erlaubte, nachzuahmen. Das wird allerdings
denen, die den dekorativen Charakter des alten Holzschnitts immer so sehr be¬
tonen und ihn dem modernen Holzschnitt gewissermaßen als ein Ideal vor Augen
halten, sehr sonderbar vorkommen, läßt sich aber dennoch leicht nachweisen.

(Schluß folgt)




Skizzen aus unserm heutigen Volksleben
Fritz Anders von
Dritte Reihe
^. (Lin 5tadtjubiläum

er Umstand, daß sich der Herr Oberprediger an einem heißen Sommer-
nachmittage, um den Fliegen seines Wohnzimmers zu entgeh», in die
Sakristei feste und in alten Schriften blätterte, war für die amt¬
liche und außeramtliche Thätigkeit der Leiter unsers freundlichen
Städtchens von „ungeahnter" Bedeutung. Denn bei dieser Gelegen¬
heit fiel dem Herrn Oberprediger ein Pergamentstreifen in die Hände,
auf dem zu lesen war: N< Üiclsril: vim Rsmsu tzekormiz vor ruck anas mon eincör
Imsviove-n, äat doddöll AbsKNsbon asu ^kvizlsrn to ^vvdeeköii «tat block vim
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[0234] Skizzen aus unserm heutigen Volksleben sich gegen diese Art von Reform mit Händen und Füßen mehren. Denn es ist nicht leicht, sich ohne weiteres einen andern Beruf zu wählen, nachdem der, dem man sich bisher gewidmet hat, durch längeres Rückwärtsreformieren schließlich zu Tode reformiert worden ist. Aber sie können ganz ruhig sein. Die Kunst wird nicht vom Schreibtisch der Gelehrten und auch nicht in den Nachtcafes unsrer Großstädte und noch weniger beim Glase Absinth auf den Pariser Boulevards gemacht. Sie wird vielmehr gemacht von gesunden, lebens¬ kräftigen und normalempfindenden Menschen. Und sie entwickelt sich nicht auf Grund der archaisierenden Schrullen einiger Kunstgelehrten, sondern kraft der ihr innewohnenden Gesetze, die sich aus ihrer Technik und aus ihrer historischen Entwicklung ergeben. Was nun die Geschichte des Holzschnitts betrifft, so zeigt sie zweierlei mit voller Deutlichkeit, nämlich erstens, daß der Schwerpunkt der historischen Ent¬ wicklung dieser Technik nicht in der Illustration, sondern im Einzelblatt liegt, und zweitens, daß der Holzschnitt von Anfang an Ersatz für die Malerei gewesen ist und deshalb von jeher danach gestrebt hat, die Wirkungen der Malerei, soweit es seine jeweilige Technik erlaubte, nachzuahmen. Das wird allerdings denen, die den dekorativen Charakter des alten Holzschnitts immer so sehr be¬ tonen und ihn dem modernen Holzschnitt gewissermaßen als ein Ideal vor Augen halten, sehr sonderbar vorkommen, läßt sich aber dennoch leicht nachweisen. (Schluß folgt) Skizzen aus unserm heutigen Volksleben Fritz Anders von Dritte Reihe ^. (Lin 5tadtjubiläum er Umstand, daß sich der Herr Oberprediger an einem heißen Sommer- nachmittage, um den Fliegen seines Wohnzimmers zu entgeh», in die Sakristei feste und in alten Schriften blätterte, war für die amt¬ liche und außeramtliche Thätigkeit der Leiter unsers freundlichen Städtchens von „ungeahnter" Bedeutung. Denn bei dieser Gelegen¬ heit fiel dem Herrn Oberprediger ein Pergamentstreifen in die Hände, auf dem zu lesen war: N< Üiclsril: vim Rsmsu tzekormiz vor ruck anas mon eincör Imsviove-n, äat doddöll AbsKNsbon asu ^kvizlsrn to ^vvdeeköii «tat block vim duos borner Lumltlovo g-obtor Hannssn Ammern xM swvnstÄl to ovnsr ileotUllisM. . . Hier war der Streifen abgeschnitten, doch las man auf der Ruck-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/234>, abgerufen am 15.01.2025.