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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Brauchen wir fremdes Brotkorn?

Freund gesucht, als Feind gefürchtet wird Deutschland in der Weltpolitik erst
durch eine starke Flotte. Das muß das Lastsruin vönsöo aller Deutschen
werden!




Brauchen wir fremdes Brotkorn?

le Frage, ob die deutsche Landwirtschaft den Bedarf des deutschen
Volks an Brotkorn decken könne, wird angesichts des näher
rückender Ablaufs unsrer Handelsverträge mit den Hauptkorn¬
ländern schon lebhaft erörtert. Ganz neuerdings sind darüber
von besonders beachtenswerten Stellen Urteile abgegeben worden,
über die hier kurz berichtet werden soll.

Es ist nötig, bei dieser Frage eine Bemerkung vorauszuschicken.
Wenn man fragt, ob bei intensivster Ausbeutung der heute zum Getreide¬
bau verwendbaren Flächen die moderne landwirtschaftliche Technik das zur
Ernährung des deutschen Volks erforderliche Brodgetreide in Deutschland
selbst erzeugen könne, so ist darauf entschieden mit Ja zu antworten. In
diesen: Falle würden wir wohl, ohne die Benutzung von Weizen und Korn
zu Viehfutter und zu industriellen Zwecken, Brauerei, Brennerei usw., oder
auch den Anbau von Hackfrüchten und Handelsgewächsen, sowie den Wald¬
bestand stark einschränken zu müssen, sogar noch einen Überschuß ans Ausland
abgeben können.

Aber dieser Fall ist eine praktisch ganz wertlose Hypothese, schon weil
er die Verstaatlichung der ganzen Landwirtschaft zur Voraussetzung hätte.
Solange das landwirtschaftliche Privatgrundeigentum, der landwirtschaftliche
Privatgrundbesitz und der landwirtschaftliche Privatbetrieb vorherrschen, wird es
hauptsächlich in dem Belieben und dem Vermögen der einzelnen Landwirte,
d. h. einzelner Privatleute liegen, ob sie den Getreidebau intensiv oder extensiv
betreiben, ob sie im Verhältnis zu der von ihnen bewirtschafteten Fläche viel
oder wenig Brotkvrn erzengen. Selbst die Einführung des landwirtschaftlichen
Befähigungsnachweises würde daran wenig ändern. Es würde trotzdem faule
und fleißige, leichtlebige und gewinnsüchtige, ja wohl auch immer noch dumme
und kluge Wirte geben. Der reiche Mann mit wenig Kindern wird immer
der Ausbeutung seines Guts anders gegenüberstehen als der verschuldete mit
zahlreicher Nachkommenschaft. Und man kann auch nur wünschen, daß nicht
das ganze Land zu einer Getreidemusterwirtschaft werde. Wenn wir auch in
die Klagen des Rittergutsbesitzers und Professors der Tonkunst Rudorf vor
einiger Zeit in deu Grenzboten über die Verkoppelung und über das Ver-


Brauchen wir fremdes Brotkorn?

Freund gesucht, als Feind gefürchtet wird Deutschland in der Weltpolitik erst
durch eine starke Flotte. Das muß das Lastsruin vönsöo aller Deutschen
werden!




Brauchen wir fremdes Brotkorn?

le Frage, ob die deutsche Landwirtschaft den Bedarf des deutschen
Volks an Brotkorn decken könne, wird angesichts des näher
rückender Ablaufs unsrer Handelsverträge mit den Hauptkorn¬
ländern schon lebhaft erörtert. Ganz neuerdings sind darüber
von besonders beachtenswerten Stellen Urteile abgegeben worden,
über die hier kurz berichtet werden soll.

Es ist nötig, bei dieser Frage eine Bemerkung vorauszuschicken.
Wenn man fragt, ob bei intensivster Ausbeutung der heute zum Getreide¬
bau verwendbaren Flächen die moderne landwirtschaftliche Technik das zur
Ernährung des deutschen Volks erforderliche Brodgetreide in Deutschland
selbst erzeugen könne, so ist darauf entschieden mit Ja zu antworten. In
diesen: Falle würden wir wohl, ohne die Benutzung von Weizen und Korn
zu Viehfutter und zu industriellen Zwecken, Brauerei, Brennerei usw., oder
auch den Anbau von Hackfrüchten und Handelsgewächsen, sowie den Wald¬
bestand stark einschränken zu müssen, sogar noch einen Überschuß ans Ausland
abgeben können.

Aber dieser Fall ist eine praktisch ganz wertlose Hypothese, schon weil
er die Verstaatlichung der ganzen Landwirtschaft zur Voraussetzung hätte.
Solange das landwirtschaftliche Privatgrundeigentum, der landwirtschaftliche
Privatgrundbesitz und der landwirtschaftliche Privatbetrieb vorherrschen, wird es
hauptsächlich in dem Belieben und dem Vermögen der einzelnen Landwirte,
d. h. einzelner Privatleute liegen, ob sie den Getreidebau intensiv oder extensiv
betreiben, ob sie im Verhältnis zu der von ihnen bewirtschafteten Fläche viel
oder wenig Brotkvrn erzengen. Selbst die Einführung des landwirtschaftlichen
Befähigungsnachweises würde daran wenig ändern. Es würde trotzdem faule
und fleißige, leichtlebige und gewinnsüchtige, ja wohl auch immer noch dumme
und kluge Wirte geben. Der reiche Mann mit wenig Kindern wird immer
der Ausbeutung seines Guts anders gegenüberstehen als der verschuldete mit
zahlreicher Nachkommenschaft. Und man kann auch nur wünschen, daß nicht
das ganze Land zu einer Getreidemusterwirtschaft werde. Wenn wir auch in
die Klagen des Rittergutsbesitzers und Professors der Tonkunst Rudorf vor
einiger Zeit in deu Grenzboten über die Verkoppelung und über das Ver-


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[0021] Brauchen wir fremdes Brotkorn? Freund gesucht, als Feind gefürchtet wird Deutschland in der Weltpolitik erst durch eine starke Flotte. Das muß das Lastsruin vönsöo aller Deutschen werden! Brauchen wir fremdes Brotkorn? le Frage, ob die deutsche Landwirtschaft den Bedarf des deutschen Volks an Brotkorn decken könne, wird angesichts des näher rückender Ablaufs unsrer Handelsverträge mit den Hauptkorn¬ ländern schon lebhaft erörtert. Ganz neuerdings sind darüber von besonders beachtenswerten Stellen Urteile abgegeben worden, über die hier kurz berichtet werden soll. Es ist nötig, bei dieser Frage eine Bemerkung vorauszuschicken. Wenn man fragt, ob bei intensivster Ausbeutung der heute zum Getreide¬ bau verwendbaren Flächen die moderne landwirtschaftliche Technik das zur Ernährung des deutschen Volks erforderliche Brodgetreide in Deutschland selbst erzeugen könne, so ist darauf entschieden mit Ja zu antworten. In diesen: Falle würden wir wohl, ohne die Benutzung von Weizen und Korn zu Viehfutter und zu industriellen Zwecken, Brauerei, Brennerei usw., oder auch den Anbau von Hackfrüchten und Handelsgewächsen, sowie den Wald¬ bestand stark einschränken zu müssen, sogar noch einen Überschuß ans Ausland abgeben können. Aber dieser Fall ist eine praktisch ganz wertlose Hypothese, schon weil er die Verstaatlichung der ganzen Landwirtschaft zur Voraussetzung hätte. Solange das landwirtschaftliche Privatgrundeigentum, der landwirtschaftliche Privatgrundbesitz und der landwirtschaftliche Privatbetrieb vorherrschen, wird es hauptsächlich in dem Belieben und dem Vermögen der einzelnen Landwirte, d. h. einzelner Privatleute liegen, ob sie den Getreidebau intensiv oder extensiv betreiben, ob sie im Verhältnis zu der von ihnen bewirtschafteten Fläche viel oder wenig Brotkvrn erzengen. Selbst die Einführung des landwirtschaftlichen Befähigungsnachweises würde daran wenig ändern. Es würde trotzdem faule und fleißige, leichtlebige und gewinnsüchtige, ja wohl auch immer noch dumme und kluge Wirte geben. Der reiche Mann mit wenig Kindern wird immer der Ausbeutung seines Guts anders gegenüberstehen als der verschuldete mit zahlreicher Nachkommenschaft. Und man kann auch nur wünschen, daß nicht das ganze Land zu einer Getreidemusterwirtschaft werde. Wenn wir auch in die Klagen des Rittergutsbesitzers und Professors der Tonkunst Rudorf vor einiger Zeit in deu Grenzboten über die Verkoppelung und über das Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/21>, abgerufen am 15.01.2025.