Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.Über Jakob Vurckhardts Griechische Kulturgeschichte A. p, von 1 akob Burckhardt las vermöge seiner einzigen Vielseitigkeit in den Über Jakob Vurckhardts Griechische Kulturgeschichte A. p, von 1 akob Burckhardt las vermöge seiner einzigen Vielseitigkeit in den <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0039" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230471"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341869_230431/figures/grenzboten_341869_230431_230471_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Über Jakob Vurckhardts Griechische Kulturgeschichte<lb/><note type="byline"> A. p,</note> von </head><lb/> <div n="2"> <head> 1</head><lb/> <p xml:id="ID_84" next="#ID_85"> akob Burckhardt las vermöge seiner einzigen Vielseitigkeit in den<lb/> sechziger Jahren vor seinen Basler Zuhörern auch über poli¬<lb/> tische Geschichte des Altertums. Er fand aber keinen Gefallen<lb/> daran, das Detail drückte ihn, vielleicht auch die Unsicherheit<lb/> der Überlieferung, an der sich wenigstens in der griechischen<lb/> Geschichte jedes ernsthafte Bemühen zersplittern muß in Einzeluntersuchungen,<lb/> deren kümmerliche gesicherte Ergebnisse dann nicht mehr hinreichen zu einer<lb/> ausführlichen Darstellung, wie sie der Nichtfachmann erwartet, wenn sie ihn<lb/> überhaupt interessieren soll. Die Unschuld des Erzählens ohne Anstoß ist<lb/> dahin; sie war eben der Preis für die kritische Erkenntnis, die immer eine<lb/> schlechte Erzählerin sein wird. Während nun Burckhardt über römische Ge¬<lb/> schichte „einmal und nicht wieder" las, machte er aus dem Kolleg über<lb/> griechische mit der Zeit etwas ganz andres: „über den Geist des Altertums,<lb/> einigermaßen im Sinne der Kultur der Renaissance," bezeichnet er es in einem<lb/> Briefe von 1868. An der politischen Geschichte der Griechen interessierten ihn<lb/> bloß die großen Züge, die er, wie einst Voltaire oder Herder, zu einer Art<lb/> Philosophie der Geschichte zusammenfügte. Das Kreuz und die Summe aller<lb/> Hindernisse für den berufsmäßigen Forscher, die ganz trostlose Chronologie der<lb/> griechischen Geschichte, brauchte ihn nicht zu bemühen. Daß damit nichts an¬<lb/> zufangen war, wußte er übrigens so gut wie einer. Wir werden das gleich<lb/> sehen. Es ging ihm, wie es vielen gegangen ist, die sich mit den Griechen<lb/> beschäftigt haben. Verglichen mit dem, was uus dieses begabte Volk an Poesie<lb/> und bildender Kunst geschenkt hat, erscheint sein politisches Leben so voller<lb/> Thorheit, daß man es zwar gelten läßt als Beispielsammlung zu den Ver¬<lb/> fehlungen, die Aristoteles in seiner Politik immer nur kurz hervorhebt, aber<lb/> es noch heute mit Nutzen betrachten, daraus lernen, wie aus der politischen<lb/> Geschichte der Römer, kann man nicht. Die griechische Stadtverfassung hat<lb/> mit dein Maß von Lebenskraft, das sie gewähren konnte, nur einmal die<lb/> Probe bestanden, nur einmal eine weltgeschichtliche Aufgabe großen Stils glatt<lb/> gelöst, als sie die Perser nach Asien zurückschlug, sodnß sie niemals wieder-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0039]
[Abbildung]
Über Jakob Vurckhardts Griechische Kulturgeschichte
A. p, von
1
akob Burckhardt las vermöge seiner einzigen Vielseitigkeit in den
sechziger Jahren vor seinen Basler Zuhörern auch über poli¬
tische Geschichte des Altertums. Er fand aber keinen Gefallen
daran, das Detail drückte ihn, vielleicht auch die Unsicherheit
der Überlieferung, an der sich wenigstens in der griechischen
Geschichte jedes ernsthafte Bemühen zersplittern muß in Einzeluntersuchungen,
deren kümmerliche gesicherte Ergebnisse dann nicht mehr hinreichen zu einer
ausführlichen Darstellung, wie sie der Nichtfachmann erwartet, wenn sie ihn
überhaupt interessieren soll. Die Unschuld des Erzählens ohne Anstoß ist
dahin; sie war eben der Preis für die kritische Erkenntnis, die immer eine
schlechte Erzählerin sein wird. Während nun Burckhardt über römische Ge¬
schichte „einmal und nicht wieder" las, machte er aus dem Kolleg über
griechische mit der Zeit etwas ganz andres: „über den Geist des Altertums,
einigermaßen im Sinne der Kultur der Renaissance," bezeichnet er es in einem
Briefe von 1868. An der politischen Geschichte der Griechen interessierten ihn
bloß die großen Züge, die er, wie einst Voltaire oder Herder, zu einer Art
Philosophie der Geschichte zusammenfügte. Das Kreuz und die Summe aller
Hindernisse für den berufsmäßigen Forscher, die ganz trostlose Chronologie der
griechischen Geschichte, brauchte ihn nicht zu bemühen. Daß damit nichts an¬
zufangen war, wußte er übrigens so gut wie einer. Wir werden das gleich
sehen. Es ging ihm, wie es vielen gegangen ist, die sich mit den Griechen
beschäftigt haben. Verglichen mit dem, was uus dieses begabte Volk an Poesie
und bildender Kunst geschenkt hat, erscheint sein politisches Leben so voller
Thorheit, daß man es zwar gelten läßt als Beispielsammlung zu den Ver¬
fehlungen, die Aristoteles in seiner Politik immer nur kurz hervorhebt, aber
es noch heute mit Nutzen betrachten, daraus lernen, wie aus der politischen
Geschichte der Römer, kann man nicht. Die griechische Stadtverfassung hat
mit dein Maß von Lebenskraft, das sie gewähren konnte, nur einmal die
Probe bestanden, nur einmal eine weltgeschichtliche Aufgabe großen Stils glatt
gelöst, als sie die Perser nach Asien zurückschlug, sodnß sie niemals wieder-
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