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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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allgemeinen nicht ohne eine gewisse Selbsterziehung des Herzens, dessen freud¬
lose Anwandlungen zu bekämpfen nicht am wenigsten den rechten Mann macht.

Ein geistvoller ältlicher Franzose sprach den hübschen Gedanken aus: I/esxrit,,
o'sse la^sunössö ass visilwräs. Sicherlich kann der Besitz von Geist auch dem Al¬
ternden ein Gefühl der Selbstgewißheit, der heitern Freude an sich selbst geben
ähnlich wie das warme Blut und die königliche Phantasie den jungen Jahren.
Aber der beste Ersatz ist das doch nicht. Abgesehen davon, daß Geist nicht sür
jedermann ans den Wolken herniederregnet und man sich nicht bloß unter die
Traufe zu stellen braucht, um davon durchtränkt zu werden, und auch ab¬
gesehen davon, daß "Geist" mehr nur glühende Funken giebt, als daß er ein
stetes Feuer bedeutete: er ist eben nicht das Beste. Besser ist es, sich ein
Maß von Freudigkeit des Gemüts zu bewahren, von innerer Poesie also, die
das schönste Ergebnis der gesamten lebenslangen Erziehung ist und die vor¬
nehmste Gewähr zur Fähigkeit des Erziehers.




Skizzen aus unserm heutigen Volksleben
Fritz Anders von
Neue Folge
^Z. Vom Herrn-Spielen

er Schäfer Heinrich Ricks stand auf seinen Stock gelehnt unter dem
alten wilden Birnbaum auf dem Franzosenberg in dem bischen
Schatten, den der Baum gab. Seine Schafe drängten sich zusammen
und suchten eins vom Schatten des andern zu profitieren, und seine
Hunde lagen zu seinen Füßen und zeigten der Welt mit keuchenden
Eifer ihre roten Zungen. Es war ein warmer Sommertag. Heinrich
Ricks philosophierte, wie das so Schäferart ist. Zu seinen Füßen lag die Dorf-
flnr, dort die großen Pläne des Ritterguts, und dort das in kleine Streifen zer¬
teilte Land, das aussah wie eine buntkcirrierte Schürze, die Ackerteilc der Bauern
und kleinen Leute. Da war auch nicht eine Hand breit Erde, die nicht jemand be¬
sessen hätte. Und wer etwas hatte, der hielt es fest; es wäre anch nicht mit Geld
möglich gewesen, in die Reihe zu kommen. Die ihr Teil Acker hatten, das waren
die Besitzer, und die kein Teil erwischt hatten, das waren die Arbeiter, die Tage¬
löhner, die Lumpen in der Welt. Die einen haben Land, arbeiten oder arbeiten
auch nicht und ernten; die andern haben kein Land, arbeiten und ernten nicht. Ist
das recht? Zum Beispiel da drüben liegen fünfzig Frauen und Kinder den ganze"
Tag auf den Knieen und ziehen Zuckerrüben, und der Herr von Großmann reitet
über den Acker und sieht zu, was sie machen. Hernach haben die Arbeiter jeder
eine Mark bis eine Mark fünfzig, und der Herr zweihundert Zentner Rüben auf
den Morgen, den Zentner zu einer Mark. Und was so ein Knecht ist, der muß
sich das ganze Jahr mit den Pferden plagen, muß sich alle Tage schicken und


allgemeinen nicht ohne eine gewisse Selbsterziehung des Herzens, dessen freud¬
lose Anwandlungen zu bekämpfen nicht am wenigsten den rechten Mann macht.

Ein geistvoller ältlicher Franzose sprach den hübschen Gedanken aus: I/esxrit,,
o'sse la^sunössö ass visilwräs. Sicherlich kann der Besitz von Geist auch dem Al¬
ternden ein Gefühl der Selbstgewißheit, der heitern Freude an sich selbst geben
ähnlich wie das warme Blut und die königliche Phantasie den jungen Jahren.
Aber der beste Ersatz ist das doch nicht. Abgesehen davon, daß Geist nicht sür
jedermann ans den Wolken herniederregnet und man sich nicht bloß unter die
Traufe zu stellen braucht, um davon durchtränkt zu werden, und auch ab¬
gesehen davon, daß „Geist" mehr nur glühende Funken giebt, als daß er ein
stetes Feuer bedeutete: er ist eben nicht das Beste. Besser ist es, sich ein
Maß von Freudigkeit des Gemüts zu bewahren, von innerer Poesie also, die
das schönste Ergebnis der gesamten lebenslangen Erziehung ist und die vor¬
nehmste Gewähr zur Fähigkeit des Erziehers.




Skizzen aus unserm heutigen Volksleben
Fritz Anders von
Neue Folge
^Z. Vom Herrn-Spielen

er Schäfer Heinrich Ricks stand auf seinen Stock gelehnt unter dem
alten wilden Birnbaum auf dem Franzosenberg in dem bischen
Schatten, den der Baum gab. Seine Schafe drängten sich zusammen
und suchten eins vom Schatten des andern zu profitieren, und seine
Hunde lagen zu seinen Füßen und zeigten der Welt mit keuchenden
Eifer ihre roten Zungen. Es war ein warmer Sommertag. Heinrich
Ricks philosophierte, wie das so Schäferart ist. Zu seinen Füßen lag die Dorf-
flnr, dort die großen Pläne des Ritterguts, und dort das in kleine Streifen zer¬
teilte Land, das aussah wie eine buntkcirrierte Schürze, die Ackerteilc der Bauern
und kleinen Leute. Da war auch nicht eine Hand breit Erde, die nicht jemand be¬
sessen hätte. Und wer etwas hatte, der hielt es fest; es wäre anch nicht mit Geld
möglich gewesen, in die Reihe zu kommen. Die ihr Teil Acker hatten, das waren
die Besitzer, und die kein Teil erwischt hatten, das waren die Arbeiter, die Tage¬
löhner, die Lumpen in der Welt. Die einen haben Land, arbeiten oder arbeiten
auch nicht und ernten; die andern haben kein Land, arbeiten und ernten nicht. Ist
das recht? Zum Beispiel da drüben liegen fünfzig Frauen und Kinder den ganze»
Tag auf den Knieen und ziehen Zuckerrüben, und der Herr von Großmann reitet
über den Acker und sieht zu, was sie machen. Hernach haben die Arbeiter jeder
eine Mark bis eine Mark fünfzig, und der Herr zweihundert Zentner Rüben auf
den Morgen, den Zentner zu einer Mark. Und was so ein Knecht ist, der muß
sich das ganze Jahr mit den Pferden plagen, muß sich alle Tage schicken und


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[0504] allgemeinen nicht ohne eine gewisse Selbsterziehung des Herzens, dessen freud¬ lose Anwandlungen zu bekämpfen nicht am wenigsten den rechten Mann macht. Ein geistvoller ältlicher Franzose sprach den hübschen Gedanken aus: I/esxrit,, o'sse la^sunössö ass visilwräs. Sicherlich kann der Besitz von Geist auch dem Al¬ ternden ein Gefühl der Selbstgewißheit, der heitern Freude an sich selbst geben ähnlich wie das warme Blut und die königliche Phantasie den jungen Jahren. Aber der beste Ersatz ist das doch nicht. Abgesehen davon, daß Geist nicht sür jedermann ans den Wolken herniederregnet und man sich nicht bloß unter die Traufe zu stellen braucht, um davon durchtränkt zu werden, und auch ab¬ gesehen davon, daß „Geist" mehr nur glühende Funken giebt, als daß er ein stetes Feuer bedeutete: er ist eben nicht das Beste. Besser ist es, sich ein Maß von Freudigkeit des Gemüts zu bewahren, von innerer Poesie also, die das schönste Ergebnis der gesamten lebenslangen Erziehung ist und die vor¬ nehmste Gewähr zur Fähigkeit des Erziehers. Skizzen aus unserm heutigen Volksleben Fritz Anders von Neue Folge ^Z. Vom Herrn-Spielen er Schäfer Heinrich Ricks stand auf seinen Stock gelehnt unter dem alten wilden Birnbaum auf dem Franzosenberg in dem bischen Schatten, den der Baum gab. Seine Schafe drängten sich zusammen und suchten eins vom Schatten des andern zu profitieren, und seine Hunde lagen zu seinen Füßen und zeigten der Welt mit keuchenden Eifer ihre roten Zungen. Es war ein warmer Sommertag. Heinrich Ricks philosophierte, wie das so Schäferart ist. Zu seinen Füßen lag die Dorf- flnr, dort die großen Pläne des Ritterguts, und dort das in kleine Streifen zer¬ teilte Land, das aussah wie eine buntkcirrierte Schürze, die Ackerteilc der Bauern und kleinen Leute. Da war auch nicht eine Hand breit Erde, die nicht jemand be¬ sessen hätte. Und wer etwas hatte, der hielt es fest; es wäre anch nicht mit Geld möglich gewesen, in die Reihe zu kommen. Die ihr Teil Acker hatten, das waren die Besitzer, und die kein Teil erwischt hatten, das waren die Arbeiter, die Tage¬ löhner, die Lumpen in der Welt. Die einen haben Land, arbeiten oder arbeiten auch nicht und ernten; die andern haben kein Land, arbeiten und ernten nicht. Ist das recht? Zum Beispiel da drüben liegen fünfzig Frauen und Kinder den ganze» Tag auf den Knieen und ziehen Zuckerrüben, und der Herr von Großmann reitet über den Acker und sieht zu, was sie machen. Hernach haben die Arbeiter jeder eine Mark bis eine Mark fünfzig, und der Herr zweihundert Zentner Rüben auf den Morgen, den Zentner zu einer Mark. Und was so ein Knecht ist, der muß sich das ganze Jahr mit den Pferden plagen, muß sich alle Tage schicken und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/504>, abgerufen am 03.07.2024.