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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Die Fürsorge für entlassene Strafgefcnigne

vor der Stadt gelegnen Baugeländes beantragt; die Stadtverordneten hatten
es aber abgelehnt, und so war das betreffende Gelände von einem Konsortium
einiger Privatleute für zwei Millionen Mark gekauft worden. Heute, nach
Ablauf eines Jahres, hat dieses Konsortium dasselbe Gelände für -- drei
Millionen Mark weiter verkauft. Eine Million Mark Profit in einem Jahre
an einem Grundstück -- man braucht sich wirklich nicht zu Wundern, wenn ein
Arbeiter, der wegen der hohen Mietpreise gezwungen ist, in jenen alten, un¬
gesunden Wohnungen zu leben, und nun von solchen Spekulationen und Profiten
liest, die Fäuste ballt und die Gesellschaftsordnung, die solches zuläßt, zum
T x. Z. eufel wünscht.




Die Fürsorge für entlassene 5"trafgefangne

r kommt aus dem Zuchthaus! Gemieden, geächtet -- losgerissen
von Freundschaft und Verwandtschaft, von allen Mitteln ent¬
blößt, so steht er da in der Welt, die ihm inzwischen fremd ge¬
worden ist. Wohl schaut er sich um nach einem Rettungsanker;
er sucht Arbeit: aber wer giebt sie ihm? Wo waren Sie zuletzt
in Stellung? Die Frage kehrt überall wieder, und wenn er beschämt die
Augen niederschlägt, dann zuckt der vorsichtige Arbeitgeber bedauernd die Achseln.
So kommt es, daß selbst der reuige Verbrecher, der mit den besten Vorsätzen
die Strafanstalt verlassen hat, doch nach kurzer Zeit wieder dahin zurückkehrt,
weil er das nicht gefunden hat, was ihn einzig und allein wieder zu einem
nützlichen Mitgliede der bürgerlichen Gesellschaft Hütte machen können: nämlich
ehrliche Arbeit, die ihn redlich nährte. -- Das ist gewöhnlich der Grundton,
worauf alle die Artikel gestimmt sind, die von den Vereinen zur Fürsorge für
entlassene Strafgefangne in die Blätter gebracht werden, damit sie für ihre Sache
Propaganda machen.

Es ist gewiß etwas Schönes um die edeln Bestrebungen warmherziger
Menschenfreunde, durch die man dem Armen und Elenden in seiner Not bei¬
zuspringen gedenkt, aber es giebt auch ganz ebenso gewiß kein kläglicheres
Schauspiel, als wenn solche Bestrebungen von Leuten ausgehen, die von den
thatsächlichen Verhältnissen auf diesem Gebiete gar keine Ahnung haben, und
die nun, lediglich vom krankhaften Humanitätsdusel getrieben, nicht eine nütz¬
liche Wohlfahrtseinrichtung, sondern ein häßliches Zerrbild zustande bringen.
Zu diesen Mißgeburten unsrer mit fragwürdigen Wohlthätigkeitsanstalten aller
Art schon mehr als überreich gesegneten Zeit gehören zweifellos auch die


Die Fürsorge für entlassene Strafgefcnigne

vor der Stadt gelegnen Baugeländes beantragt; die Stadtverordneten hatten
es aber abgelehnt, und so war das betreffende Gelände von einem Konsortium
einiger Privatleute für zwei Millionen Mark gekauft worden. Heute, nach
Ablauf eines Jahres, hat dieses Konsortium dasselbe Gelände für — drei
Millionen Mark weiter verkauft. Eine Million Mark Profit in einem Jahre
an einem Grundstück — man braucht sich wirklich nicht zu Wundern, wenn ein
Arbeiter, der wegen der hohen Mietpreise gezwungen ist, in jenen alten, un¬
gesunden Wohnungen zu leben, und nun von solchen Spekulationen und Profiten
liest, die Fäuste ballt und die Gesellschaftsordnung, die solches zuläßt, zum
T x. Z. eufel wünscht.




Die Fürsorge für entlassene 5»trafgefangne

r kommt aus dem Zuchthaus! Gemieden, geächtet — losgerissen
von Freundschaft und Verwandtschaft, von allen Mitteln ent¬
blößt, so steht er da in der Welt, die ihm inzwischen fremd ge¬
worden ist. Wohl schaut er sich um nach einem Rettungsanker;
er sucht Arbeit: aber wer giebt sie ihm? Wo waren Sie zuletzt
in Stellung? Die Frage kehrt überall wieder, und wenn er beschämt die
Augen niederschlägt, dann zuckt der vorsichtige Arbeitgeber bedauernd die Achseln.
So kommt es, daß selbst der reuige Verbrecher, der mit den besten Vorsätzen
die Strafanstalt verlassen hat, doch nach kurzer Zeit wieder dahin zurückkehrt,
weil er das nicht gefunden hat, was ihn einzig und allein wieder zu einem
nützlichen Mitgliede der bürgerlichen Gesellschaft Hütte machen können: nämlich
ehrliche Arbeit, die ihn redlich nährte. — Das ist gewöhnlich der Grundton,
worauf alle die Artikel gestimmt sind, die von den Vereinen zur Fürsorge für
entlassene Strafgefangne in die Blätter gebracht werden, damit sie für ihre Sache
Propaganda machen.

Es ist gewiß etwas Schönes um die edeln Bestrebungen warmherziger
Menschenfreunde, durch die man dem Armen und Elenden in seiner Not bei¬
zuspringen gedenkt, aber es giebt auch ganz ebenso gewiß kein kläglicheres
Schauspiel, als wenn solche Bestrebungen von Leuten ausgehen, die von den
thatsächlichen Verhältnissen auf diesem Gebiete gar keine Ahnung haben, und
die nun, lediglich vom krankhaften Humanitätsdusel getrieben, nicht eine nütz¬
liche Wohlfahrtseinrichtung, sondern ein häßliches Zerrbild zustande bringen.
Zu diesen Mißgeburten unsrer mit fragwürdigen Wohlthätigkeitsanstalten aller
Art schon mehr als überreich gesegneten Zeit gehören zweifellos auch die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/260>, abgerufen am 23.07.2024.