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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die Abschaffung des einjährigen Heeresdienstes")

n der letzten Zeit ist vielfach die Frage aufgetaucht, ob es nicht
vorteilhaft wäre, wenn das Vorrecht des einjährigen Dienstes
aufgehoben würde, also alle Diensttauglichen wenigstens zwei
Jahre dienen und unter denselben Bedingungen in der Kaserne
wohnen müßten.

Es unterliegt keinem Zweifel, daß der erste Vorteil davon der Schule zu
gute kommen würde. Die sogenannten Pressen würden wegfallen, die höhern
Schulen würden von all den Schülern entlastet werden, die sie nur um des
betreffenden Zeugnisses willen besuchen. Dadurch würden der Lehrplan und
der Unterricht an den höhern Schulen ohne Frage natürlicher und gesunder
werden. Denn schon längst ist die Abschlußprüfung am Ende der Untersekunda
als ein böser Fehlgriff erkannt worden. Darum war auch auf der Dresdner
Versammlung des deutschen Gymnasialvereins eine der ersten Thesen: "Die
Abschlußprüfung am Ende der Untersekunda ist zu verwerfen." Kurz, die Ab¬
schaffung des einjährigen Militärdienstes würde ungesucht eine der größten
und heilsamsten Reformen unsers höhern Schulwesens zur Folge haben.

Einen andern Vorteil davon hätte unser schwer bedrängter Mittelstand.
Es ist leider Sitte geworden, daß unsre Bauernsöhne in den wohlhabender"
Landstrichen als Einjährig-Freiwillige dienen. Bekanntlich ist das ziemlich
kostspielig, und heutzutage wirft ein Bauerngut nicht mehr soviel ab, um einen
oder gar mehrere Söhne bis zum achtzehnten oder zwanzigsten Jahre auf der
Schule zu erhalten und ihnen dann noch die Mittel zum einjährigen Dienst
zu gewähren. Aber der größte Schaden dabei ist der: ein junger Mann, der
bis zum achtzehnten Jahre auf der Schulbank gesessen, dann als Einjähriger



*) Obwohl wir den praktischen Forderungen dieses Aufsatzes nicht beistimmen können,
haben wir ihm den Raum nicht versagt, da er doch manches beachtenswerte enthält. Die
Fragen sind schon in frühern Artikeln der Grenzboten, so im Jahrgang 1897, I, S. 153, und
III, 619 berührt worden. Der Verfasser vergißt, daß die allgemeine Durchführung der zwei¬
jährigen Dienstzeit unsern Volkswohlstand schwer schädigen würde, namentlich unsern Welt¬
handel, der durch die Entwicklung der letzten Jahre vor ganz neue Aufgaben gestellt ist und
sich nicht von andern Handelsvölkern überflügeln lassen darf. Übrigens hat man in Frankreich
Die Red. mit der einheitlichen Dienstzeit keine guten Erfahrungen gemacht.


Die Abschaffung des einjährigen Heeresdienstes")

n der letzten Zeit ist vielfach die Frage aufgetaucht, ob es nicht
vorteilhaft wäre, wenn das Vorrecht des einjährigen Dienstes
aufgehoben würde, also alle Diensttauglichen wenigstens zwei
Jahre dienen und unter denselben Bedingungen in der Kaserne
wohnen müßten.

Es unterliegt keinem Zweifel, daß der erste Vorteil davon der Schule zu
gute kommen würde. Die sogenannten Pressen würden wegfallen, die höhern
Schulen würden von all den Schülern entlastet werden, die sie nur um des
betreffenden Zeugnisses willen besuchen. Dadurch würden der Lehrplan und
der Unterricht an den höhern Schulen ohne Frage natürlicher und gesunder
werden. Denn schon längst ist die Abschlußprüfung am Ende der Untersekunda
als ein böser Fehlgriff erkannt worden. Darum war auch auf der Dresdner
Versammlung des deutschen Gymnasialvereins eine der ersten Thesen: „Die
Abschlußprüfung am Ende der Untersekunda ist zu verwerfen." Kurz, die Ab¬
schaffung des einjährigen Militärdienstes würde ungesucht eine der größten
und heilsamsten Reformen unsers höhern Schulwesens zur Folge haben.

Einen andern Vorteil davon hätte unser schwer bedrängter Mittelstand.
Es ist leider Sitte geworden, daß unsre Bauernsöhne in den wohlhabender»
Landstrichen als Einjährig-Freiwillige dienen. Bekanntlich ist das ziemlich
kostspielig, und heutzutage wirft ein Bauerngut nicht mehr soviel ab, um einen
oder gar mehrere Söhne bis zum achtzehnten oder zwanzigsten Jahre auf der
Schule zu erhalten und ihnen dann noch die Mittel zum einjährigen Dienst
zu gewähren. Aber der größte Schaden dabei ist der: ein junger Mann, der
bis zum achtzehnten Jahre auf der Schulbank gesessen, dann als Einjähriger



*) Obwohl wir den praktischen Forderungen dieses Aufsatzes nicht beistimmen können,
haben wir ihm den Raum nicht versagt, da er doch manches beachtenswerte enthält. Die
Fragen sind schon in frühern Artikeln der Grenzboten, so im Jahrgang 1897, I, S. 153, und
III, 619 berührt worden. Der Verfasser vergißt, daß die allgemeine Durchführung der zwei¬
jährigen Dienstzeit unsern Volkswohlstand schwer schädigen würde, namentlich unsern Welt¬
handel, der durch die Entwicklung der letzten Jahre vor ganz neue Aufgaben gestellt ist und
sich nicht von andern Handelsvölkern überflügeln lassen darf. Übrigens hat man in Frankreich
Die Red. mit der einheitlichen Dienstzeit keine guten Erfahrungen gemacht.
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[0704] [Abbildung] Die Abschaffung des einjährigen Heeresdienstes") n der letzten Zeit ist vielfach die Frage aufgetaucht, ob es nicht vorteilhaft wäre, wenn das Vorrecht des einjährigen Dienstes aufgehoben würde, also alle Diensttauglichen wenigstens zwei Jahre dienen und unter denselben Bedingungen in der Kaserne wohnen müßten. Es unterliegt keinem Zweifel, daß der erste Vorteil davon der Schule zu gute kommen würde. Die sogenannten Pressen würden wegfallen, die höhern Schulen würden von all den Schülern entlastet werden, die sie nur um des betreffenden Zeugnisses willen besuchen. Dadurch würden der Lehrplan und der Unterricht an den höhern Schulen ohne Frage natürlicher und gesunder werden. Denn schon längst ist die Abschlußprüfung am Ende der Untersekunda als ein böser Fehlgriff erkannt worden. Darum war auch auf der Dresdner Versammlung des deutschen Gymnasialvereins eine der ersten Thesen: „Die Abschlußprüfung am Ende der Untersekunda ist zu verwerfen." Kurz, die Ab¬ schaffung des einjährigen Militärdienstes würde ungesucht eine der größten und heilsamsten Reformen unsers höhern Schulwesens zur Folge haben. Einen andern Vorteil davon hätte unser schwer bedrängter Mittelstand. Es ist leider Sitte geworden, daß unsre Bauernsöhne in den wohlhabender» Landstrichen als Einjährig-Freiwillige dienen. Bekanntlich ist das ziemlich kostspielig, und heutzutage wirft ein Bauerngut nicht mehr soviel ab, um einen oder gar mehrere Söhne bis zum achtzehnten oder zwanzigsten Jahre auf der Schule zu erhalten und ihnen dann noch die Mittel zum einjährigen Dienst zu gewähren. Aber der größte Schaden dabei ist der: ein junger Mann, der bis zum achtzehnten Jahre auf der Schulbank gesessen, dann als Einjähriger *) Obwohl wir den praktischen Forderungen dieses Aufsatzes nicht beistimmen können, haben wir ihm den Raum nicht versagt, da er doch manches beachtenswerte enthält. Die Fragen sind schon in frühern Artikeln der Grenzboten, so im Jahrgang 1897, I, S. 153, und III, 619 berührt worden. Der Verfasser vergißt, daß die allgemeine Durchführung der zwei¬ jährigen Dienstzeit unsern Volkswohlstand schwer schädigen würde, namentlich unsern Welt¬ handel, der durch die Entwicklung der letzten Jahre vor ganz neue Aufgaben gestellt ist und sich nicht von andern Handelsvölkern überflügeln lassen darf. Übrigens hat man in Frankreich Die Red. mit der einheitlichen Dienstzeit keine guten Erfahrungen gemacht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/704>, abgerufen am 24.07.2024.